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"Bettelstudent" beim Lehár-Festival Bad Ischl Die Mauer muss weg

Fassaden sind selten dauerhaft, weder die privaten, noch die politischen, und schon gar nicht die aus Beton. So sieht es Regisseurin Angela Schweiger bei ihrer Deutung von Carl Millöckers Erfolgsoperette im Salzkammergut. Das Publikum schätzt die deutlichen Anspielungen auf das Wendejahr 1989 und Europas Kampf um Freiheit.

„Bettelstudent“ beim Lehár-Festival Bad Ischl | Bildquelle: fotohofer.at

Bildquelle: fotohofer.at

Heutzutage bezahlen manche Leute ja schweres Geld dafür, dass sie im Netz in eine beliebige Rolle schlüpfen können. Dort leben sie dann als Avatare ihre Fantasien aus, spielen den Abenteurer, den Poltergeist oder den Feenkönig, und wer will, kann damit im richtigen Leben weitermachen und sich in bizarren Kostümen unters Volk mischen, Stichwort Cosplay. So gesehen ist Carl Millöckers "Bettelstudent" von 1882 das Stück der Stunde, denn in dieser Operette spielen alle Beteiligten mehr oder weniger freiwillig irgendwelche Fantasierollen und verlieren sich in einer virtuellen Welt. Der aufständische Graf ist politischer Gefangener, der mittellose Liedermacher gibt den Draufgänger, der mächtige Gouverneur spielt den Beleidigten und der verarmte Hochadel macht auf vornehm.

Politische Antwort auf bekannte Fragen

Aber was passiert, wenn all diese Fassaden einstürzen? Hält die Liebe das aus? Regisseurin Angela Schweiger gibt in ihrer Inszenierung beim Lehár-Festival in Bad Ischl eine überraschend politische Antwort: Die Mauer muss weg! Und damit meint sie sowohl die Mauer, die wir alle gern privat um unsere Schwächen herum aufrichten, als auch die Mauer zwischen Nationen, konkret die Mauer, die 1989 überklettert wurde. Deshalb konfrontiert Bühnenbildner Markus Olzinger die Zuschauer mit viel tristem Beton. Ja, so düster und farblos war Osteuropa im Allgemeinen und der Handlungsort Krakau im Besonderen. Klar, die Mauer stand in Berlin, aber als Symbol für Unterdrückung macht sie auch in Polens Kulturmetropole Sinn.

Spannung zwischen Besatzern und Widerstand zentrales Thema

Aus heutiger Sicht durchaus heikel, dass der "Bettelstudent" seine Liebesprobleme im Jahr 1704 lösen muss, zu einer Zeit, als Polen mal wieder von auswärtigen Mächten besetzt war, in diesem Fall von den Sachsen unter August dem Starken. Ist für die Handlung nicht ganz unwichtig, denn die beginnt ja im Gefängnis und macht die Spannung zwischen Besatzern und Widerstand zum Thema. Dass Angela Schweiger die europäische Wende- und Protestzeit von 1989 zitiert, macht insofern Sinn. Allerdings war Krakau bekanntlich zeitweise auch von Nazis besetzt, regiert vom berüchtigten Generalgouverneur Hans Frank, doch dieser Zeitbezug hätte die Operette eindeutig überfordert. Gleichwohl drängt er sich förmlich auf.

Temporeiche Inszenierung

„Bettelstudent“ beim Lehár-Festival Bad Ischl | Bildquelle: fotohofer.at Bildquelle: fotohofer.at Wie auch immer: In dieser knapp dreistündigen, ausgesprochen temporeichen Inszenierung, wird der "Bettelstudent" mit all seinen Bedeutungsebenen absolut ernst genommen und funktioniert gerade deshalb umso besser als anspielungsreiche Unterhaltung. Hier müssen alle erst mal ihre eigenen, privaten Fassaden einreißen und zur Belohnung fällt dann auch die verhasste Zitadelle, wo die Unterdrückten eingesperrt sind. Das ist keineswegs so politisch bemüht, wie es klingen mag: Der Witz ist stets treffend, schwungvoll, ansteckend, ganz selten klamaukig. Eine so gescheite wie ironische Deutung von Carl Millöckers Erfolgsoperette: Am Ende obsiegen die "Battle Students", also die Studenten der Protestfront.

Begeisterter Applaus am Ende

Der begeisterte Applaus war verdient, nicht zuletzt wegen Dirigent Marius Burkert, der den Saal umgehend in Tanzlaune versetzte und damit Chor und Ballett ansteckte. Durchweg alle Solisten überzeugten, allen voran Paul Schweinester in der Titelrolle und Christoph Gerardus als treuer Mitkämpfer Jan. Martin Achrainer als sächsischer Oberst Ollendorf verzichtete auf wohlfeile Mundart-Komik und machte aus dem Trottel vom Dienst einen überraschend sympathischen Charakter. Corinna Koller als Laura und Loes Cools als Bronislawa hatten das Problem, dass Frauenrollen zu Millöckers Zeiten noch arg passiv und bieder angelegt waren. Dafür machten sie das Beste draus, stimmlich wie schauspielerisch. Wahres Operettenglück beim Lehár-Festival in der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl, mit satirischem Biss und mehr als einem Quäntchen Widerstandsgeist. Noch ist Polen nicht verloren - und der Rest der Welt darf mitfiebern!

Sendung: "Allegro" am 15. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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