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Kritik – "Die Judith von Shimoda" in Bregenz Effektvoller Schlussakkord

Mit einem Auftragswerk an den argentischen Komponisten Fabian Pansiello und der Uraufführung der Oper "Judith von Shimoda“ haben die Bregenzer Festspiele die Saison 2023 beschlossen. Eine Variation von Giacomo Puccinis "Madame Butterfly“, der großen Produktion auf der Seebühne. Wie Madame Butterfly ist nämlich auch Okichi, so heißt die Judith von Shimoda, eine japanische Geisha, die sich auf die amerikanischen Besatzer einlässt und dabei japanische Traditionen missachtet.

Die Judith von Shimoda - Heldin oer Verräterin?

Aber wer ist Okichi, in deren Verbindung mit dem amerikanischen Gouverneur Bertolt Brecht in einer Bearbeitung dieses Stoffes Parallelen zur Verbindung von Judith und Holofernes zieht. Der Reiz von Pansiellos Oper besteht darin, dass sie viele Rätsel aufgibt, die sich alle nicht eindeutig beantworten lassen. Ist Okichi überhaupt eine Heldin? Oder eine Verräterin? Sie hat zunächst gegen ihren Willen den amerikanischen Gouverneur besucht, ihm aber dann bei einer Erkrankung geholfen und durch soviel Zuwendung eine Belagerung der Amerikaner verhindert. Damit aber verstößt sie gegen japanische Sitten und Traditionen. Von den Nachbarn wird sie,  zuletzt Alkoholikerin,  nicht verehrt, sondern als "Amerika-Okichi“ beschimpft. Ist sie also wirklich mit der alttestamentarischen Judith oder Puccinis Madame Butterfly vergleichbar? Fragen, die immer wieder zum Mitdenken anregen.

Grundlage des Librettos ist ein Fragment von Bertolt Brecht

Vielschichtig und uneindeutig sind auch  die Vorlagen des Librettos: Neben einem japanischen Schauspiel von Nyanin Aishi ist es dessen Bearbeitung als Lehrstück durch Bertolt Brecht und Hella Wuolijoki im finnischen Exil, ein Dramenfragment, das erst 2006 entdeckt, rekonstruiert und ediert wurde. In welcher Zeit Pansiellos Oper spielt, bleibt – in produktiver Weise – unbestimmt, zumal Regisseurin Carmen Kruse in modernen, etwas stilisierten Gewändern spielen lässt. Welche Kolonialisierung und welcher weibliche Widerstand sind gemeint? Das 19. Jahrhundert, die Zeit von Brechts Exil oder die Gegenwart?

Sich ein Bildnis machen - Die Perspektive bestimmt die Person

Was der Zuschauer zu sehen bekommt, ist Theater im Theater: Im Lehrstück kommentieren und reflektieren die Schauspieler das Geschehen immer wieder und versuchen, es politisch einzuordnen. Das Publikum wohnt einer Aufführung über die Biographie der Geisha Okichi bei, wobei die kommentierenden Zuschauer auf der Bühne immer wieder gleich auch Figuren der Handlung werden. Letztendlich läuft Carmen Kruses Inszenierung auf Aktionsmalerei zu: Hergestellt wird im Verlaufe des Dramas das Bild einer wie auch immer gearteten Widerstandskämpferin, mit auf dem Boden gepinselten und mit Sand verschütteten Gesichtszügen, die sich in einer schief hängenden Spiegelwand verzerrt spiegeln.

Fabian Pansiellos Musik ist wenig eingängig

Lehrstück und frühe Oper scheinen sich nahe zu kommen. Ausdiskutiert wird die Frage nach dem Heldentum von Judith meist im parlando, im Sprechgesang mit vielen Obertönen. Auch an "Pierrot lunaire“ von Arnold Schönberg könnte man denken. Das Räsonnement des Publikums bisweilen elektronisch vervielfacht, als Publikumsgeraune, aber dazwischen auch eine Heldinnenballade eines Balladensängers -   wie die von "Mackie Messer“ wenngleich auch wieder sofort in Frage gestellt wird, ob Okichi überhaupt eine Ballade verdient. Sehr eingängig ist die Musik sicher nicht, manchmal nervt sie sogar. Aber das soll sie ja vielleicht auch. Während sich die Konturen der anderen Figuren verwischen, kann sich die Heldin (oder Nichtheldin), der Sopran Anna Davidson, als Okichi eindrucksvoll entfalten.

Effektvoller Schlussakkord und Bekenntnis zur Zukunft der Oper

Die "Neue Oper“ und das "Amadeus Ensemble“  können unter deren Leiter, dem Dirigenten Walter Kobéra, auf eine mehr als 30jährige Beschäftigung mit fast ausschließlich zeitgenössischer Oper zurückgreifen. Dem Profil der Bregenzer Festspiele kommt diese Zusammenarbeit, wie sie sich nun schon zum vierten Mal zeigt,  durchaus entgegen. Mag sein, dass die Uraufführung der "Judith von Shimoda“ nur eine Fußnote ist im Vergleich zu den großen Produktionen auf der Seebühne. Aber sie gibt dem Musiktheater der Festspiele als einem Ort offener Fragen Legitimität und Relevanz. Und sie zeigt, dass Oper mehr sein kann als Tourismusevent oder museales Spektakel.

Weitere Aufführung am 19.8. in der Werkstattbühne in Bregenz. Dann ab 2.11.2023 im Theater Akzent Wien.

Sendung: "Allegro" am 18. August 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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