Für Dirigenten himmlisch, für Regisseure die Hölle: Richard Strauss‘ monumentale musikalische Fabel über unfruchtbare Frauen, verständnislose Männer und tückische Dämonen ist schwer bis unmöglich zu bebildern. David Hermann versuchte es am Staatstheater Stuttgart mit Untergangsvisionen und einer Prise Künstlicher Intelligenz. Das fand viel Anklang.
Bildquelle: Matthias Baus
Die sprichwörtlichen "So-da-Brücken" sind ja einigermaßen bekannt, also Brücken, die einfach "so da" in der Landschaft herumstehen, völlig funktionslos, weil sie irgendwann mal fehlgeplant wurden. "So-da-Tausendfüßler" wurden bisher noch nicht entdeckt, der erste krümmte sich jetzt auf der Bühne des Staatstheaters Stuttgart bei der Premiere von "Frau ohne Schatten". Ja, da räkelte sich wirklich so ein wirbelloses Ungetüm, als ob es aus dem Science-Fiction-Film "Im Land der Raketenwürmer" herübergeringelt kam. Und was sollte das?
Laut Regisseur David Hermann ist der Tausendfüßler einfach "so da". Er wird irgendwann abgestochen, dann ergießt sich Schleim und Gekröse über den Boden, das sogar essbar zu sein scheint. Und ganz am Ende dieser wirklich nicht leicht zu inszenierenden Richard-Strauss-Oper werden sogar neue Riesenwürmer geboren, ausgetragen in der Gebärmutter von Männern - wer den Kino-Klassiker "Rosemaries Baby" kennt, kann sich ungefähr vorstellen, was gemeint ist.
Bildquelle: Matthias Baus Was sich so grotesk anhört und auch ist, muss nicht abwegig sein. In dieser Märchen-Oper geht es um ungeborene Kinder, um Frauen, die nicht schwanger werden wollen oder können. Das ist heutzutage so, wie es Hugo von Hoffmannsthal einst dichtete, nicht mehr plausibel zu bebildern, rutscht im Gegenteil sehr schnell ab in den Kitsch oder in die unfreiwillige Komik. Da sind Regisseure mit Mut zum Risiko gefragt, und David Hermann beweist ihn. Er zeigt eine Apokalypse: Die Menschen hausen in einem riesigen Betonbunker, der aussieht wie ein Atom-Ei von innen (beeindruckendes Bühnenbild: Jo Schramm). Wasser steht am Boden, der erwähnte Wurm räkelt sich im Zentrum, der Färber Barak, seine Frau und die Angestellten laufen in Müllfetzen herum und scheinen ihn als Haustier liebgewonnen zu haben. Überwacht werden sie offenbar von einer Art Künstlichen Intelligenz, die Böses im Schilde führt und das Geschehen mit einem Computerauge beobachtet, das an einen Riesenkronleuchter erinnert.
Bildquelle: Matthias Baus Langweilig ist das alles nicht, anspielungsreich auch, aber ob es in sich stimmig ist? Das Ehedrama, das David Herrmann nach eigenen Worten inszenieren wollte, bleibt konturenlos, die XXL-Effekte erschlagen die Handlung und die Personen, zumal Dirigent Cornelius Meister dazu XXL-Musik beisteuert, nämlich den ganzen Farbenreichtum von Richard Strauss im gleißenden Glanz serviert. Das macht was her: So perfekt ausbalanciert, so sorgsam geprobt und so emotional gespielt ist die "Frau ohne Schatten" selten zu hören. Ja, es war laut und monumental, schließlich erinnern die Zwischenspiele mehr an eine symphonische Dichtung als an eine Oper, aber das Pathos war nicht hohl, sondern übervoll mit Ausdruckswillen.
Unter den Solisten begeisterte Evelyn Herlitzius als Amme mit ihrer unglaublichen Präsenz: Das muss man erst mal schaffen, auch dann im Mittelpunkt der Szene zu stehen, wenn man selbst gar nicht singt. Bei ihr passte die Mimik, die Körpersprache, die Konzentration, wenn die Artikulation auch mal an ihre Grenzen kommt und nicht jede Höhe mit Bravour gemeistert wird. Simone Schneider als Kaiserin wurde für ihre stimmliche Sensibilität gefeiert: Sie geriet nicht ins Schreien, trotz des tosenden Orchesters.
Bildquelle: Matthias Baus Iréne Theorin als Färberin zeigte sich stimmlich deutlich frischer und weniger angestrengt als in Wagner-Partien und zeichnete auch schauspielerisch ein anspruchsvolles Rollenporträt. Benjamin Bruns als Kaiser legte los, als ob er den "Siegfried" vor der Brust hatte, etwas weniger Verve und Lautstärke hätten ihn immer noch maskulin genug rübergebracht. Martin Gantner als Färber steuerte baritonales, samtiges Wonnegefühl bei: Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, was insofern nicht ganz zur Regie passte, weil sie ihn als durchaus jähzornig darstellen wollte. Das ging nicht ganz auf, so hausväterlich und gemütlich, wie er sich anhörte.
Am Ende einige wenige Protestrufe gegen die ungewöhnliche Regie und viel Beifall für alle Beteiligten, auch die Chöre. Womöglich geht die "Frau ohne Schatten" überhaupt nur noch als Rätselspiel, das die Zuschauer ratlos zurücklässt. Märchen sind ja psychoanalytische Herausforderungen und machen uns meist staunen. Insofern war die Premiere ein voller Erfolg.
Sendung: "Allegro" am 30. Oktober 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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