Auf einer fernen Insel regieren die Frauen, während sich die Männer dem Haushalt widmen: Die Geschlechter-Satire fand 1795 bei der Uraufführung wenig Beifall, erweist sich in Salzburg jedoch als umjubelte Wiederentdeckung.
Bildquelle: Tobias Witzgall / Landestheater Salzburg
Gut, dass der Komponist Antonio Salieri (1750 – 1825) in der Mozartstadt Salzburg kein Hausverbot hat. Hätte ja durchaus sein können, schließlich muss Salieri seit dem Theaterstück "Amadeus" aus dem Jahr 1979 mit dem nicht gerade schmeichelhaften Image eines vom Neid zerfressenen Karrieristen klarkommen, der den genialen Konkurrenten Mozart in den Tod getrieben hat. Ist zwar reine Erfindung des Dramatikers Peter Shaffer, aber weil das Stück so erfolgreich war und auch verfilmt wurde, wird Salieri dem breiteren Publikum ungeachtet der historischen Fakten wohl noch jahrelang vor allem als fiktiver Bösewicht in Erinnerung bleiben.
Bildquelle: Tobias Witzgall / Landestheater Salzburg
Umso bemerkenswerter, dass ausgerechnet das Salzburger Landestheater mit "Die Verdrehte Welt" eine weitgehend vergessene Salieri-Oper auf den Spielplan setzte. Und wie es häufiger vorkommt: Gerade, weil das Werk 1795 bei der Uraufführung am Wiener Burgtheater floppte, ist es heute umso aktueller. Damals, unmittelbar nach der Französischen Revolution, hatte das weitgehend adelige Publikum keine Lust auf Umstürze aller Art, auch nicht auf die satirische Umkehrung der Geschlechterrollen. Bei Salieri und dessen Textdichter Caterino Tammaso Mazzolà (der Motive des berühmten Komödienschreibers Carlo Goldoni verwendete) haben die Frauen auf einer fernen Insel die Macht übernommen, kommandieren als Soldaten, während sich die Männer (ganz in rosa) dem Haushalt widmen und nach Komplimenten sehnen. "Verdrehte Welt", aber natürlich keine "verkehrte" Welt, denn wie sich bald herausstellt, sind manche Männer geradezu erleichtert, ihr traditionelles Rollenbild hinter sich zu lassen.
War Salieri wirklich ein Intrigant? Der BR-KLASSIK-Zoom forscht nach.
Regisseurin Alexandra Liedtke inszenierte das mit viel Ironie und feministischem Elan, aber völlig unangestrengt und weitgehend ohne Klamauk, und weil Dirigent Carlo Benedetto Cimento dazu im Orchestergraben geradezu ein Feuerwerk an Esprit zündete, gab es am Ende zurecht stehende Ovationen. Das klang deutlich mehr nach Rossini als nach Mozart und damit ausgesprochen unterhaltsam, temporeich, ja streckenweise rasant, denn Salieri stürzt seine Solisten von ihren Arien ständig in Duette, Terzette, Quartette, Quintette, in fulminante Wettstreite aus Eifersucht, Liebe und Hysterie. Ein Wunder, dass sie zwischendurch noch zum Luftschnappen kommen. Sehr modern, dieses Thema, sehr mitreißend, diese Musik und sehr überzeugend, diese szenische Umsetzung.
Bühnenbildner Philip Rubner hat sich vom Barocktheater inspirieren lassen, schließlich waren Moralstücke in einer "verdrehten" Welt damals sehr in Mode. In der Guckkastenbühne stehen berühmte Gemälde herum: Raffaels "Sixtinische Madonna", da Vincis "Mona Lisa", auch Botticellis "Geburt der Venus" wird zitiert, natürlich feministisch umgedeutet: Diesmal steht zur Gaudi der Zuschauer ein halbnackter Mann in der berühmten Muschel. Und als ein paar Historienschinken eingeblendet werden, auf denen massenweise wichtige Männer bei mutmaßlich noch wichtigeren Anlässen wichtige Mienen aufsetzen, ist die Heiterkeit groß: Höchste Zeit für ein paar unerschrockene Amazonen!
Bildquelle: Tobias Witzgall / Landestheater Salzburg
Dank Kostümbildnerin Johanna Lakner, die "Barbie" und "Ken" auf die Schippe nahm, und der fabelhaften Solisten wurde das keine altbackene Transvestiten-Sause, sondern ein kluger Abend über die Lächerlichkeit überkommener Rollenbilder. Am Ende dürfen die Liebespaare tatsächlich wählen, in welcher Welt sie glücklich werden wollen, in der alten oder neuen Ordnung, im konventionellen Europa oder doch lieber auf der fantasiereicheren fernen Insel. Wenn es so einfach wäre, die gesellschaftlichen Verhältnisse passend zu machen! Aber in der Oper darf ja geträumt werden – mit Salieri macht es sogar richtig Spaß.
Dank der spielfreudigen Solisten, allen voran Daniele Macciantelli als forsche Generalin, George Humphreys als der von ihr angehimmelte Graf und Hazel McBain als liebestolle Obristin kam über zweieinhalb Stunden trotz der vorhersehbaren Handlung keine Routine auf. In jeder Hinsicht ein Vergnügen und eine Salieri-Wiederentdeckung, die hoffentlich anderswo nachgespielt wird. "Reif für die Insel" sind in diesen Zeiten ja viele!
Autor des Artikels: Peter Jungblut
Sendung: "Allegro" am 28. April 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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