Kann man Hector Berlioz' Légende-dramatique "La damnation du Faust" ("Fausts Verdammnis") überhaupt als Oper bezeichnen? Ist sie nicht vielmehr ein Konzert in vier Sätzen, eine "Legende in vier Teilen", wie Berlioz sein Werk auch nannte? Vielleicht eher ein Oratorium? Eine szenische Aufführung fand zu Berlioz' Lebzeiten nie statt, lediglich konzertant wurde das Stück gegeben. Zur Saisoneröffnung 2022 lässt das Landestheater Coburg Fausts Gang in die Hölle auch nicht im Theater spielen, sondern in der altehrwürdigen Coburger Morizkirche, in der auch schon Martin Luther selbst gepredigt hatte.
Bildquelle: Annemone Taake/Landestheater Coburg
Kritik
"Fausts Verdammnis" in Coburg
Das Spiel um Faust soll bei Regisseur Neill Barry Moss als Schachspiel zwischen Gott und Teufel verstanden werden. | Bildquelle: Annemone Taake/Landestheater Coburg Österlich festlich mit Blumen und grünen Bändern ist diese evangelische Kirche für die Aufführung geschmückt: In der Mitte ein Podest mit einem Apfelbäumchen, der Boden dort ein Schachbrettmuster, denn das Spiel um den Intellektuellen Faust, der alle Lebenslust verloren zu haben scheint, soll als Schachspiel zwischen Gott und Teufel verstanden werden. Beide beobachten das Geschehen meist von zwei Jägerhochsitzen am Rande des Podests.
So sehr Berlioz Goethe verehrte und ihm auch persönlich schrieb, mit "Fausts Verdammnis" hatte er im 19. Jahrhundert wenig Erfolg, vor allem nicht in Deutschland. Man habe sich dort entrüstet, meinte Berlioz, dass ein Franzose so unverschämt sein könne, das deutsche nationale Hauptwerk zu komponieren.
Die lose Szenenfolge hat keine stringente Handlung, es sind eher Assoziationen und Gedanken zu Goethes Werk, doch die Uneindeutigkeit der Form ermöglicht Regisseur Neil Barry Moss in seiner Inszenierung unterschiedliche Spielweisen auszuprobieren: eine Predigt zum Beispiel, in der, wie Spruchbänder zeigen, gegen die sieben Todsünden gepredigt wird, aber auch ein Begräbnis, eine Taufe und Hochzeit. Der alte Faust wird begraben, sein Sarg durch das Kirchenschiff getragen und doch feiert er auch wieder Auferstehung. Margarete und Faust treten in stummen Rollen mehrfach auf, als Kinder und altes Ehepaar. Ein Zusatz ist auch die Rolle "Gott", die Neill Barry Moss aus Goethes Vorspiel entliehen hat; dieser Gegenspieler von Méphistophélès: eine Frau, gespielt von Nicole Horny. Moss hat aber nicht nur die Bühne ausgestattet, sondern auch den Figuren trashige Kostüme verpasst und insbesondere ihre Haare bunt gefärbt. Auf den Videoeinspielungen nahe des Altars sieht man harmlose Freuden des Landvolks – die Faust ja verachtet –, beim Höllenritt bisweilen aber auch Comics.
Berlioz' Legende verlangt großes Orchester: Effektvoll hallt in der Kirche vor allem der Höllenritt, schwungvoll wiederum der Ohrwurm des beliebten Rákóczi Marsch, aber das Philharmonische Orchester unter dem Generalmusikdirektor Daniel Carter betört auch immer wieder mit Himmelsklängen. Um auf eine Chorstärke von 75 zu kommen, musste der Chor des Landtheaters um den Symphonischen Chor Bambergs verstärkt werden.
Ein Globe-Theater in Coburg: 2023 eröffnet die Ausweichspielstätte des Landestheaters.
Das Bühnenbild: trashige Kostüme, bunt gefärbte Haare, Videoeinspielungen und über allem in leuchtenden Großbuchstaben "GOETHE ÜBER ALLEM". | Bildquelle: Annemone Taake/Landestheater Coburg Durchwegs überzeugend waren an diesem Abend die Sängerinnen und Sänger. Heldisch ist vor allem Faust im Einsatz: ein Mann ständig in Selbstmordgedanken, der als einzigen Wunsch hat, lediglich für einen Augenblick ein zweites Mal Margarete zu sehen. Jason Kim musste kurzfristig einspringen – er hatte Berlioz' Faust bereits in Oldenburg gesungen. Der Teufel ein beinahe humorvoller Kommentator: der Coburger Wotan Michael Lion. Und in all dem Höllenwirbel plötzlich tief berührend: Emily Lorini als Margarete. Sie muss ins Gefängnis, nicht als Kindsmörderin, sondern weil sie unbeabsichtigt ihrer Mutter einen giftigen Schlaftrunk gegeben hat.
Das Kirchenschiff als Ort der Öffentlichkeit des Theaters. In der Morizkirche einigen sich Gott und Teufel schließlich lässig im Schach mit einem Remis, und Margarete und Faust werden trotz Höllenritts ein Ehepaar. In großen Leuchtbuchstaben ist vorne beim Altar nicht Gott, sondern "GOETHE ÜBER ALLEM" zu sehen.
Sendung: "Allegro" am 26. September 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Montag, 26.September, 16:17 Uhr
Patrick Schnur
La damnation de Faust
Für mich als Mitsänger (symphonischer Chor Bamberg) ist die Musik von Hector Berlioz, die Daniel Carter und die einzelnen Solisten und Register des philharmonischen Orchesters mit so vielen herrlichen Farben und wunderschön ausgewogenem Klang interpretiert oft mitreißend und oft unsagbar seelenerwärmend und ausdrucksstark. Einfach herrlich. Die z.T. schrägen Kostüme und Nebeldarsteller lockern die Atmosphäre auf. Bei der Beerdigungsszene, während des ungarischen Marsches ist überspitzt dargestellt, was es in der Wirklichkeit ja auch gibt, schräge u. weniger schräge Typen (edel daherschreitende, festlich gekleidete u. eher einfach auftretende in Zipfelmützen, aber liebenswert) herrlich lustig, die Reiterin auf dem knallbunten Luftballonpferdchen, die auf dem Höhepunkt hereinreitet u. versucht ihr Pferdchen in Zaum zu halten. Es ist eine Freude bei diesem wunderschönen Werk u. dieser Inszenierung mitzuwirken. Goethe als Klammer über allem und doch Gott der in Person immer präsent ist.