"Oh! Oh! Amelio!" – ein Titel wie ein Jubelschrei. Aus der rasanten Komödienhandlung des französischen Farcen-Meisters Georges Feydeau hat jetzt, 100 Jahre später, der Kabarettist Thomas Pigor eine Operette gemacht. Am Mittwoch feierte sie Uraufführung am Münchner Gärtnerplatztheater. Ein Abend voller Geschlechterklischees, garniert mit pointierter Musik.
Bildquelle: Anna Schnauss
Dabei geht es Pigor vor allem um Unterhaltung – "und sonst nix!" Das macht schon die große Eröffnungsnummer klar, dargeboten von männlichen und weiblichen Bunnies in Riesenzylindern. Große Show also und schön schräg! Wir befinden uns nämlich im Nachtclub, in dem die Titelfigur als Traverstiekünstler Amelia von Tschüssikowski auftritt. Eigentlich heißt sie Amelio und mit Nachnamen Täschner, wie Mutter "Däschner" im schönsten Fränkisch verrät. Natürlich spielt Pigor diese Rolle selbst, ein Rassau ohne Mariechen, und warnt das Publikum schon mal vorsorglich vor diversen Triggern im Stück wie blöden Witzen, Klischees oder wie dem, dass Homosexuelle darin gut wegkämen. Und da hat sie recht!
Ensemble | Bildquelle: Anna Schnauss Aber auch im Stück ist die fränkische Mutter allgegenwärtig, bringt mit ihrer Mundart fast sämtliche Figuren zur Verzweiflung, manchmal freilich auch die Handlung ins Stocken. Die ist weitgehend von Feydeau übernommen. Im Zentrum steht die Beziehung Amelios zu seinem Freund Étienne, der für 28 Tage nach Amerika muss und die gemeinsame Freundin Marika bittet, während dieser Zeit gut auf Amelio aufzupassen. Marika wiederum braucht Amelio als Bräutigam für eine Scheinhochzeit, um endlich an das Erbe ihrer marzowinischen Tante Putzebumskaja zu kommen. Damit nicht genug, hat es auch noch der lüsterne Filmproduzent Prinz auf Amelio abgesehen, allerdings in der Annahme, der Travestiekünstler sei eine Amelia.
An Klischees herrscht also wirklich kein Mangel und die Missverständnisse nehmen nun ihren hundertminütigen Lauf: Gejagt von Tante Putzebumskaja und Produzent Prinz wechselt Amelio ständig die Kleider und das Geschlecht. Marika hilft ihm dabei so gut sie kann und landet schließlich schwer alkoholisiert mit ihm im Bett. Am nächsten Morgen wachen beide dort auf und wissen von nichts. Ein schöner Moment der Irritation, der allerdings folgenlos bleibt, weil es dem Stück dann doch an emotionaler Fallhöhe fehlt. Vor allem bei den drei Hauptfiguren macht sich das bemerkbar.
Julia Sturzlbaum (Marika Waldhoff), Christian Schleinzer (Amelio von Tschüssikowski) | Bildquelle: Anna Schnauss Die haben es in dieser "frivolen Fummel-Farce" ohnehin nicht leicht, aber wenn Amelio schon Amelia von Tschüssikowski ist, warum hat Christian Schleinzer dann keine entsprechenden große Travestienummer – wie Zaza in La cage aux folles, an die er wohl nicht umsonst erinnert? Und warum erhalten Armin Kahl und Julia Sturzlbaum, beide darstellerisch exzellent, keine Möglichkeit ebenfalls mehr zu zeigen? Sie machen das Beste daraus, haben aber gegen die überdrehten Chargenrollen kaum eine Chance, besonders nicht gegen die fast schon meta-operettige, liebestolle Putzebumskaja von Dagmar Hellberg oder den schmierigen Film-Prinz von Alexander Franzen: "Wir sind in einem Kasperltheater und ich bin das Krokodil".
Thomas Pigor und Konrad Kosselleck haben einen wilden Stilmix zwischen Kasatschok und Rap komponiert, dem das dazu aufgebotene Salonorchester unter Andreas Partilla einen nostalgischen 20er Jahre-Touch gibt. Am gelungensten sind die witzigen Chansons im Stil der Zeit – wie etwa Pigors bieder-bösem Schwulenmütter-Couplet. Da hat er seine Operette tatsächlich "ins Hier und Jetzt" geholt, wie es so schön im Programmheft heißt.
Ansonsten kann auch Pigors Fassung trotz allen Geschlechterwechsels nicht verhehlen, dass die Vorlage schon über hundert Jahre auf dem Buckel hat und man sich manchmal vorkommt wie in der Komödie im Bayerischen Hof. Das wird verstärkt durch Gabi Rothmüllers Regie, die das Stück zwar als Kabarett-Revue gekonnt in Szene setzt, es aber damit gründlich missversteht. Denn bei Feydeau muss man die Handlung, so sehr sie auch Klamotte sein mag, toternst nehmen, sonst funktionieren weder seine Situationskomik noch das Timing. Kabarett macht eben noch keine Operette – trotz Pigors unwiderstehlich fränkischem Mutterwitz. Das Publikum war auch so begeistert: jeder Gag ein Lacher! Und das ist schließlich die Hauptsache, geht es doch "um Unterhaltung – und sonst nix!"
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