Nach einem denkwürdigen Liederabend gemeinsam mit der Sopranistin Renée Fleming gab Jewgenij Kissin am Dienstag nun ein Solorezital bei den Salzburger Festspielen. Mit Bach, Mozart und Chopin in der ersten Konzerthälfte, Rachmaninow in der zweiten.
Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli
Dass Kissin sich bei Rachmaninow zuhause fühlt, ist keine Überraschung. Auch bei Chopin. Das wird gut werden, sagt man sich vor dem Abend beim Blick aufs Programm. Aber wie wird der Auftakt mit Bach und Mozart? Ist das nur die Vorspeise? Oder gar die Pflicht vor der Kür?
Der Bach jedenfalls liegt ihm. Die Chromatische Fantasie und Fuge ist ein Schwergewicht. Und Kissin hat hörbar Respekt davor. Schließlich ist es eines von Bachs bizarrsten und experimentierfreudigsten Klavierwerken. In einem harmonischen Höllenritt irrt dieses Stück durch die Tonarten. Alles gerät ins Gleiten, die Musik verliert buchstäblich den Boden unter den Füßen. Eigentlich ist die Chromatische Fantasie eine wilde Improvisation. Bach kann garnicht genug kriegen von den buchstäblich verrücktesten Expeditionen durch Tonarten. Das Staunen über die Fremdartigkeit dieser Klänge ist quasi mitkomponiert, die Angst vor dem Sich-Verirren in diesem Labyrinth der Harmonien, aber auch die Freude an den unbegrenzten Möglichkeiten. Kissin spielt das eine Spur zu gepflegt und respektvoll. Das könnte alles noch viel freier klingen, als wäre das wirklich eine aus dem Augenblick geborene Fantasie, die ihn genauso überrascht wie uns. Umso großartiger gelingt ihm die Fuge. Kissin ist eben nicht nur ein technisch überragender Virtuose, sondern auch ein Mastermind, ein intellektuell brillanter Musiker, der selbst komponiert. Wie er Bachs Kunst hörbar macht, Themen und Umkehrungen, Fragen und Antworten, Stimmen und Gegenstimmen herausarbeitet, das ist ein funkelndes kombinatorisches Vergnügen. Kissin, der Meister der Klarheit.
Lesen Sie alle Neuigkeiten rund um die Salzburger Festspiele in unserem Dossier.
Umso enttäuschender der Mozart. Die in Mannheim entstandene D-Dur-Klaviersonate KV 311 wirkt irgendwie steif. Kissin verzärtelt sie nicht, das ist gut. Aber er wirkt die ganze Zeit so, als wolle er bloß alles richtig machen. Die Sechzehntel lässt er brav und gleichmäßig abschnurren, die Pointen verschenkt er, das Andantino wird durch das zu langsame Tempo nicht ausdrucksvoller, sondern bloß fad. Immer dann, wenn sich Konflikte andeuten, und das ist ausgerechnet in dieser sonnigen Sonate selten, wird es besser. Damit kann Kissin, der eine schöne Aufnahme von Mozarts düsterem d-Moll-Konzert gemacht hat, gleich was anfangen. Aber für Mozarts Heiterkeit fehlen ihm schlicht der Charme, die Lässigkeit, der Humor.
Jewgenij Kissin bei seinem Klavierabend in Salzburg. Das Publikum erklatschte sich drei Zugaben. | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli Das alles ist gleich bei den ersten Tönen von Chopins fis-Moll-Polonaise vergessen. Sofort hat man das Gefühl: Diese Musik hat Kissin nicht nur im Kopf, sondern auch im Körper. Als würde er plötzlich in die Muttersprache wechseln. Chopins monumentale Polonaise ist alles andere als ein heiterer Gesellschaftstanz oder ein brillantes Salonstück. Sie erzählt von der Rebellion der aufständischen Polen gegen die russische Fremdherrschaft. Die Musik ist voller Wut, entfesselt dunkle Energien. Und Kissin stürzt sich rein, fokussiert die wilden Kräfte, bündelt sie meisterhaft.
Das gleiche gelingt ihm bei Rachmaninow. Dessen Études Tableaux sind alles andere als bloß effektvolles Virtuosenfutter für den Tastenlöwen. Bei Kissin, für den technische Herausforderungen sowieso keine wirklich aufregenden Probleme sind, macht aus dieser Musik abgründige Meditationen. Auch hier, in dieser aufgewühlten spätromantischen Gefühlswelt mit ihren Tonstrudeln und Akkordkaskaden erweist er sich als Meister der Klarheit. Und der Klangregie. Je mehr Töne, desto wichtiger die Prioritäten. Kissin meißelt Motive heraus, gibt dem Gewühle scharfe Kontur, ordnet alle Virtuosität der Erzählung unter. Drei Zugaben, standing ovation für einen fantastischen Abend mit kleiner Unwucht zu Beginn.
Sendung: "Allegro" am 9. August 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Mittwoch, 09.August, 18:01 Uhr
Gufo
Öde
Jeden Tag Salzburg und Bayreuth mag wie jeden Tag Trüffel und Kaviar sein. Aber es kommen auch wieder Tage auf BR-Klassik, wo Schmalhans Küchenmeister ist. Also genießen wir es und freuen uns des (musikalischen ) Lebens. Viva la musica!
Mittwoch, 09.August, 16:15 Uhr
Herbert Gurth
Wie öde ist denn das? Nur noch Salzburg und Bayreuth, als gäbe es sonstwo keine Kultur.
Ich pausiere erstmal beim Br-Klassik hören ...