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Kritik - "La cage aux folles" an der Komischen Oper Berlin Wirklich traurige Aktualität

Ein rechtskonservativer Ideologe kämpft gegen Travestie und Homosexualität: Das wirkt angesichts des Kulturkriegs in Russland wie den USA erschreckend aktuell. Dieses betagte Musical hält mutig dagegen: "Ich bin, was ich bin." Dafür gab es Ovationen.

Szene aus "La cage aux folles" an der Komischen Oper Berlin, Januar 2023 | Bildquelle: Barrie Kosky

Bildquelle: Barrie Kosky

Ja, da tränen einem die Augen, aber nicht nur, weil Strass und Pailletten blenden, der Konfettiregen flirrt und die Geschichte so nostalgisch ist, sondern weil nicht mehr ganz klar ist, ob sich die Welt vorwärts oder rückwärts dreht. In den USA fordern rechte Republikaner heutzutage tatsächlich ein Ende der Travestie-Shows, weil sie jugendgefährdend seien. Und in Russland kämpft Putin nach eigenen Worten einen Krieg gegen Schwulenparaden und offen gelebte Homosexualität, für "traditionelle Familienwerte". Gerade wurden die einschlägigen Gesetze verschärft, Buchhandlungen auf "verdächtige" Literatur gefilzt, Regenbogensymbole als Schande bezeichnet. Selbst bunt angemalte Vogelfiguren gelten dort mittlerweile als unmoralisch.

Wird Putin nicht gefallen

Klingt irgendwie alles nach den fünfziger Jahren. So gesehen ist der "Käfig voller Narren" (La Cage aux Folles), ein Musical, das 1983 am New Yorker Broadway herauskam, von wirklich trauriger Aktualität. Damals, als Aids die Schlagzeilen bestimmte und die Darstellung gleichgeschlechtlicher Liebe auf der Bühne und im Film noch ziemlich revolutionär war, sorgte Hollywood-Star Harvey Fierstein ("Das Kuckucksei") mit seinem Stück für enorm viel Furore. Und jetzt, bei der Premiere in der Komischen Oper in Berlin, war der Jubel so groß, als ob abermals ein neues Kapitel in der Emanzipationsgeschichte aufgeschlagen wurde.

Das lag natürlich an unseren düsteren Zeiten, die Regisseur Barrie Kosky und seine Ausstatter Rufus Didwiszus (Bühne) und Klaus Bruns (Kostüme) optisch aber gar nicht thematisierten. Hätte ja durchaus sein können, dass der rechtsextreme Politiker und vermeintliche Saubermann, der in dem Stück die Travestie-Stars von Saint-Tropez in Angst und Schrecken versetzt, aussieht wie Putin, Trump oder Viktor Orban. Stattdessen war es ein unauffälliger Anzugsträger mit rot gestreifter Krawatte, der eigentlich nicht sonderlich einschüchternd und schon gar nicht nach Weihrauch aussah, wie es das überdimensionale Kreuz im Opus Dei-Look im Bühnenhintergrund nahelegte.

Zuschauer im Federschmuck

Szene aus "La cage aux folles" an der Komischen Oper Berlin, Januar 2023 | Bildquelle: Barrie Kosky Bildquelle: Barrie Kosky Nein, Barrie Kosky ging es weniger um die Umtriebe der ganz rechten Moralwächter und Fundamentalisten, ihm war die Aufforderung wichtig, im Leben keine Kompromisse zu machen, jedenfalls nicht, wenn es um die eigene Persönlichkeit geht, um Charakter und Identität. Sei, was du bist und zeige es, wo immer dich die Winde hintragen. Klar, dass es dafür im kunterbunten und experimentierfreudigen Berlin stehende Ovationen gab: Nicht wenige Zuschauer waren selbst in Federschmuck und Pailletten-Sakkos erschienen.

Was noch vor ein paar Jahren Regenbogen-Folklore gewesen wäre, ist jetzt wieder eine Demonstration für die Grundwerte des Westens, ganz ohne Patina. Und so störte die Retro-Optik überhaupt nicht: Nicht die super-maskulinen schwulen Erotikzeichnungen des einst viel gefeierten Tom of Finland (eigentlich Touko Valio Laaksonen), nicht die neongrellen Flamingo- und Palmen-Illustrationen wie aus betagten Fernsehkrimis wie "Miami Vice" oder "Magnum", nicht die Rauschgold-Engel mit Turmfrisuren und schon gar nicht der wunderbare 83-jährige Helmut Baumann als Gaststar, der jahrzehntelang in der Hauptrolle brilliert hatte und jetzt als gewiefte Restaurantbetreiberin Jacqueline vorbeischaute.

Der einzige Normale unter Verrückten

Szene aus "La cage aux folles" an der Komischen Oper Berlin, Januar 2023 | Bildquelle: Barrie Kosky Bildquelle: Barrie Kosky Seinen alten Part des Albin, genannt "Zaza", hatte der "Tatort"-bekannte Schweizer Fernsehschauspieler Stefan Kurt übernommen, und er war als Drag Queen-Diva absolut glaubwürdig und herrlich nobel in seiner Erscheinung. Im Grunde der einzige Normale unter lauter Verrückten. Peter Renz als sein Partner Georges gab den pflichtbewussten, souveränen Nachtclubbetreiber, den nichts aus der Ruhe bringt. Für die Hysterie war Kammerzofe Jacob zuständig, die Daniel Daniela Ojeda Yrueta mit akrobatischem Turbo-Tempo hinlegte.

Choreograph Otto Pichler gilt als Routinier zeitgemäßer Show-Unterhaltung, die bei ihm gern laut, schnell, überdreht ausfällt. Das kann über gut drei Stunden durchaus nerven, hier allerdings passte es perfekt. Und weil auch der holländische Dirigent Koen Schoots bei der Sause mit Esprit mitmachte, wurde es ein umjubelter Abend, der seine Botschaft in alle Richtungen sendete, nach Amerika wie Russland: Sei, wer du bist - und wenn es andere stört, dann erst recht.

Sendung: "Leporello" am 30. Januar 2023 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Montag, 30.Januar, 13:14 Uhr

Irina Eichhofer

La Cage aux Folles

Ein bezaubernder Abend und wie immer auf hohem Niveau. Vielen Dank an alle Teilnehmer. Super!!!!!!

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