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Kritik - Münchner Philharmoniker Doppelrolle für Lahav Shani

Saisonauftakt bei den Münchner Philharmonikern: Am 200. Geburtstag von Anton Bruckner hat der designierte Chef Lahav Shani dessen Neunte Symphonie dirigiert – und sich mit Bachs d-Moll-Klavierkonzert auch als Pianist vorgestellt.

Lahav Shani bei der Münchner Philharmonikern. | Bildquelle: Tobias Hase

Bildquelle: Tobias Hase

Schon in den ersten Takten des d-Moll-Klavierkonzerts von Bach ist etwas spürbar von dem Musiziergeist, der Lahav Shani und die Münchner Philharmoniker in eine gemeinsame Zukunft tragen wird. Shani sitzt mit dem Rücken zum Publikum vor dem offenen Flügel ohne Deckel, mit direktem Blickkontakt zu den Musikerinnen und Musikern um ihn herum. Die Besetzung ist angemessen klein, die Streicher spielen mit schlankem Ton, und Shani schlägt zügige Tempi an – das hat Swing. Sein perlender Anschlag ist perfekt für Bachs Musik, Shani artikuliert klar und phrasiert hochmusikalisch. Das ist ganz zeitgemäßes, so inspiriertes wie inspirierendes Bach-Spiel. Im Adagio begleiten die Streicher vibratolos, atmen mit Shani, der Bachs verschlungene Linien ausdrucksvoll nachzeichnet und geschmackvoll ausziert – tief empfunden ist das. Den Schlusssatz nimmt er dann allerdings arg sportlich, um nicht zu sagen: verhetzt. Um zu zeigen, was er kann? Ein exzellenter Pianist ist Lahav Shani auf jeden Fall.

Bei Bruckner ist Verlass auf die Münchner Philharmoniker

Ein Abend der Gegensätze, der den Protestanten Bach spannungsvoll gegen den Katholiken Bruckner setzt. Am Ende seines Lebens hat Bruckner seine unvollendet gebliebene Neunte Symphonie halb resignativ, halb hoffnungsvoll "dem lieben Gott geweiht" – er hatte keine Kraft mehr und sah dem Tod entgegen. Shani dirigiert den einstündigen Torso am 200. Geburtstag von Anton Bruckner auswendig und ohne Stab, mit bloßen Händen formt er den Klang, immer hält er Bruckners weitgespannte melodische Entwicklungen im Fluss.

Alles wirkt organisch entwickelt bei ihm, wellenartig an- und abschwellend, gesanglich ausphrasiert. Dabei kann sich Shani auf den schwärmerisch aufblühenden Streicherklang der Münchner Philharmoniker verlassen, auf das weich abgefederte Blech und die prägnanten Holzbläser, unter denen der hier so wichtige Solo-Oboist Andrey Godik eigens hervorgehoben sei. Da spürt man die große Bruckner-Tradition des Orchesters, das 1932 unter Siegmund von Hausegger immerhin die Originalfassung der Neunten aus der Taufe gehoben hat – zuvor war sie nur in einer verfälschten Klanggestalt zu erleben.

Shani hat das Ganze im Blick

In den mystisch leeren Klang zu Beginn mischen sich später bedrohliche Untertöne, die sich zu dissonanten Aus- und Zusammenbrüchen verdichten. Shani disponiert das alles weiträumig, immer hat er das Ganze im Blick, ohne sich in Details zu sehr zu verzetteln. Das maschinenhaft aufstampfende Scherzo hat Kraft und Zug bei ihm, das heraufziehende Industriezeitalter zeigt seine grimmige Fratze – da lässt Shani das Orchester schon mal "brüllen" wie ein sich aufbäumendes Tier. Das ganz Mendelssohn-like flirrende Trio setzt einen schönen Kontrast dazu.

Zwischen Ligeti und Parsifal: Bruckners Schlusssatz

Höhe- und Endpunkt dieses dreisätzigen Fragments ist das wahrhaft himmelstürmende Schluss-Adagio. Vom kühnen Nonensprung zu Beginn bis zu den erhabenen Höhepunkten, die wie brausender Orgelklang wirken, kostet Shani das ganze Spektrum dieses weit in die Zukunft ragenden Satzes aus – zwischen Ligeti-haften Klangflächen und "Parsifal"-nahen Klangwelten. Mit Vehemenz lässt er die unerhört dissonanten Ballungen erodieren, die einem auch heute noch den Atem verschlagen. Bis dieses symphonische Schlusswort Bruckners nach all den Kämpfen seinen Frieden findet. Ganz zart, versöhnlich, transzendent verklingt der Abend bei Shani und seinem künftigen Orchester.

Vielversprechender Saisonauftakt

Ein vielversprechender, heftig bejubelter Saisonauftakt für die Münchner Philharmoniker. An Shanis körperbetonte Schlagtechnik werden sie sich noch gewöhnen müssen. Und der Dirigent kann in seiner Zeichengebung an Präzision und Feintuning noch zulegen, wie etliche Wackler zeigten – das wird sich bei den Folgeaufführungen bessern. Manches gerät ihm, dem 35-jährigen vitalen Pultstar, bei Bruckner auch einfach zu robust. Die Akustik der Isarphilharmonie im Gasteig HP8 reagiert bei Klangexzessen halt auch empfindlich. Und: Shanis Bruckner-Interpretation fehlt es vorerst noch an einem Quäntchen Magie. Aber, keine Frage, da kann sich viel entwickeln in den zwei Jahren, bis Lahav Shani im Herbst 2026 die neue Ära einläutet – dann als Chefdirigent.

Sendung: "Allegro" am 5. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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