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Kritik – Ligeti-Konzertreihe in Salzburg Aimard überzeugt hochvirtuos

György Ligeti war unter den Komponisten der Avantgarde wahrscheinlich der populärste. Durch sein Orchesterstück "Atmosphères" wurde er weltberühmt, auch weit jenseits der Klassik-Szene. Denn Stanley Kubrick setzte das Stück in seinem Filmklassiker "2001 – Odyssee im Weltraum" ein. In diesem Jahr wäre Ligeti 100 Jahre alt geworden. Deshalb widmeten die Salzburger Festspiele ihm eine eigene Konzertreihe: "Zeit mit Ligeti". Am Wochenende startete sie mit vier Konzerten. Eine zentrale Rolle hatte dabei der Pianist Pierre-Laurent Aimard, der noch eng mit Ligeti zusammengearbeitet hat.

Pierre-Laurent Aimard spielt Werke von György Ligeti bei den Salzburger Festspielen | Bildquelle: SF/ Marco Borrelli

Bildquelle: SF/ Marco Borrelli

Pierre-Laurent Aimard ist der erste, der ein Metronom in Gang bringt. Eines von hundert, die dann alle gleichzeitig ticken, jedes in einem anderen Tempo. Sie klingen wie der prasselnde Salzburger Platzregen. Später, wenn die ersten verstummt sind, wie Schritte im Kies oder wie ein hinkender Fiakergaul. Am Ende bleibt ein einsam tickendes Metronom übrig, während bei seinen 99 Freunden die Lebensuhr längst abgelaufen ist. Ligetis "Poème symphonique für 100 Metronome" – ein zum Heulen komisches Symbol für die unerbittlich verrinnende Zeit.

Festspiel-Höhepunkt mit Aimard und Ligeti

So geht sie los, die Konzertreihe "Zeit mit Ligeti". Zeit mit Ligeti hat auch der Pianist Pierre-Laurent Aimard reichlich verbracht in seiner Karriere. Er war mit dem ungarischen Komponisten befreundet und hat einige seiner epochalen Klavieretüden uraufgeführt. In einem seltenen Kraftakt spielt Aimard am Sonntag alle 18 am Stück, ohne Pause – ein Festspiel-Höhepunkt, für den es am Ende sofort Standing Ovations gibt. Aimard kennt die höllisch vertrackten Stücke seit über 30 Jahren, gestaltet sie so souverän wie andere ihren Chopin oder Rachmaninoff und scheint auch noch Spaß daran zu haben: Mal reißt er die Augen weit auf, mal lacht er in sich hinein, wenn es besonders knifflig wird. Egal, ob es die fahlweißen späten Etüden sind oder die spektakulären Virtuosenstücke, ob es nach Melancholie und Verzweiflung klingt oder wie eine Kombination aus Herzrasen und Herzstolpern – immer sind die Stücke bei Aimard in besten Händen. Und oft fragt man sich, ob er davon wirklich nur zwei hat oder nicht vielleicht doch drei oder vier…

Die Salzburger Festspiele 2023 bei BR-KLASSIK

Lesen Sie alle Neuigkeiten rund um die Salzburger Festspiele in unserem Dossier.

"Zeit mit Ligeti" – auch eine Gelegenheit zu überprüfen, was aus dem reichen Oeuvre György Ligetis die Zeit überdauert hat. Das artifizielle zweite Streichquartett zum Beispiel, obwohl vom Minguet Quartett feinfühlig und nuancenreich gespielt, scheint inzwischen doch etwas gealtert, gerade weil es viele Spuren der 1960er-Jahre-Avantgarde in sich trägt. Die frühe Musica Ricercata dagegen, noch halb tonal, wirkt erstaunlich frisch. Vielleicht weil Pierre-Laurent Aimard aus jeder der elf Miniaturen den genialen Einfall herauskitzelt: ob Ligeti nun ein ganzes Stück lang nur mit einem einzigen Ton auskommt, ob er einen bittersüßen Walzer schreibt oder eine beklemmende Todesfuge. Das Frühwerk entpuppt sich als Meisterwerk.

Ligeti und Beethoven teilen denselben Humor

Zeit mit Ligeti, aber nicht nur mit Ligeti – das ist das Konzept der Salzburger Reihe. Da hat dann Samstagnacht auch ein reines Beethoven-Konzert Platz. Wenn Pierre-Laurent Aimard die Scherze in Beethovens Bagatellen lustvoll auskostet, die vielen Pointen, den hakenschlagenden Witz, dann begreift man: Ligeti und Beethoven, der Klassiker der Avantgarde und der Avantgardist der Klassik, teilen denselben koboldhaft kauzigen Humor.

Patterns bei Ligeti und Steve Reich

Percussionist Christoph Sietzen | Bildquelle: Stefan Sietzen Percussionist Christoph Sietzen | Bildquelle: Stefan Sietzen Im Nachtkonzert am Sonntag trifft Ligeti dann auf Steve Reich: Teilen doch beide das Interesse an sich verschiebenden Patterns und an afrikanischer Musik. Ligetis "Drei Stücke für zwei Klaviere", mit Akkuratesse und kammermusikalischer Sensibilität gespielt von Tamara Stefanovich und Nenad Lečić, werden umrahmt von Reichs Schlagzeug-Klassiker "Drumming". Wenn da das Motus Percussion Ensemble um den Drummer Christoph Sietzen mit Spaß und Spiellust loslegt, beginnt auch Igor Levit oben im Publikum den Rhythmus auf der Balustrade mitzuklopfen. Und auch, wenn das junge Ensemble im Finalsatz noch etwas unsicher wirkt, denkt man sich am Ende dieses Konzertwochenendes: Genau so müssen Festspiele sein!

Konzertreihe "Zeit für Ligeti"

Am 1. und 2. August finden bei den Salzburger Festspielen die nächsten Konzerte der Reihe "Zeit für Ligeti" statt - mit Tabea Zimmermann, Isabelle Faust, Les Siècles und Francois-Xavier Roth.

Sendung: "Allegro" am 31. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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