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Kritik - Premiere von "Mahagonny" in Stuttgart Evangelium nach Brecht

Eine antikapitalistische "Gardinenpredigt" ganz im Sinne des epischen Theaters, wie es einst Bertolt Brecht erfand. Regisseurin Ulrike Schwab zeigte eine sehr traditionelle Deutung vom Aufstieg und Fall einer Vergnügungsmetropole, in der alles erlaubt ist - außer, kein Geld zu haben. Als böse Satire funktioniert das immer noch.

Szene aus "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" in Stuttgart 2024. | Bildquelle: Martin Sigmund

Bildquelle: Martin Sigmund

Auf Armut steht in Mahagonny bekanntlich die Höchststrafe: Der Tod am Galgen. Alles andere ist verzeihlich, ja sogar ausdrücklich erlaubt, insbesondere Mord, Raub und Unzucht, denn warum sollen die Menschen besser sein als die Verhältnisse, in denen sie leben? Der Hurrikan, der Mahagonny bedroht und alle menschlichen Werte dem Erdboden gleichmachen könnte, das ist natürlich der Kapitalismus. So sahen es Bertolt Brecht und Kurt Weill. Ihr "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" ist die Passionsgeschichte des Arbeiters Jim Mahoney, der mit seinen hart erarbeiteten Dollars in die Wüstenmetropole kommt, um sich hemmungslos zu amüsieren und dabei zwangsläufig zugrunde geht, denn sehr schnell ist der Geldbeutel leer, nach Völlerei, Sex, Wetten und Saufen.

Traditionelle Bilder im ironischen Retro-Stil

Ersatzweise zahlen will für Mahoney niemand, auch keiner im Publikum im Staatstheater Stuttgart: "Du bist mir nah", singt ein Kumpel, aber Geld, das ist halt noch mal was anderes. Ulrike Schwab zeigt das bibelhafte Gleichnis, dieses Evangelium nach Brecht, in sehr traditionellen Bildern, die die Ausstatterinnen Pia Dederichs und Lena Schmid im ironischen Retro-Stil entworfen hatten. Die "Brecht-Gardine" wurde ja längst sprichwörtlich, sollte einst das Publikum vom "romantischen Glotzen" abhalten und zum kritischen Nachdenken anregen und geht heute allenfalls als Persiflage durch. Gardinen gab es in diesem Fall reichlich, es wurde auch emsig mit dem Revolver gefuchtelt und geknallt, ausgelassen und vulgär gefeiert. Wer jemals in Las Vegas war, der weiß, welche Art Vergnügungswahnsinn hier kritisiert wird: Die Flucht in den Konsum. "Geld macht sinnlich", wer wüsste das nicht, allerdings auch unvorsichtig und furchtbar müde.

Cornelius Meister dirigiert fast zu schön

Szene aus "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" in Stuttgart 2024. | Bildquelle: Martin Sigmund Szene aus "Mahagonny" in Stuttgart. | Bildquelle: Martin Sigmund Das bleibt aktuell und ist in Stuttgart über zweieinhalb Stunden durchaus amüsant anzusehen, weil Ulrike Schwab moralisches Getue und politische Aktualisierung konsequent vermied und auf so absurde wie theatertaugliche Bilder setzte. Die Botschaft kam an, obwohl das Ganze unter dem Dirigat von Cornelius Meister rein musikalisch doch sehr "opernhaft" wirkte und weit weg war vom anarchischen Songspiel, der Urfassung dieses Werks. Es wurde volltönend und arios gesungen, obwohl Schönklang hier eigentlich fehl am Platz ist: Das Stück verträgt absichtlich schräge Töne, auch irritierende Instrumente, die die allzu bequeme Hörhaltung unterlaufen.

Sarkastischer Gospel-Klassiker

Immerhin: Am Ende wurde der Gospel-Klassiker "When The Saints Go Marching In" angestimmt, von Schlagzeug und E-Gitarre untermalt. Das war herrlich sarkastisch, nachdem die Bühne mit Toten übersät war und der Prediger pathetisch dazu aufgefordert hatte, keine Angst vor dem Ende auf Erden zu haben, weil danach ja eh nichts mehr kommt.

Ein unterhaltsamer Bilderbogen mit hautnaher Erotik

Alisa Kolosova war eine vergleichsweise gut gelaunte Witwe Begbick als kriminelle Puffmutter, Ida Ränzlöv eine sehr selbstsichere, verführerische und mit allen Wassern gewaschene Liebesdienerin Jenny. Kai Kluge als Jim Mahoney wirkte eine Spur zu poetisch und melancholisch für diesen wilden Draufgänger. Insgesamt ein unterhaltsamer Bilderbogen aus den Innereien des modernen Geldkreislaufs. Und dass ein Herr aus dem Publikum hautnahe Erotik aushalten musste, bei dem kurzzeitig sein Gürtel abhandenkam, war einen Sonderapplaus wert.

Sendung"Allegro" am Freitag, 13. Mai ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Sonntag, 12.Mai, 21:04 Uhr

Fred Keller

Mahagonny

Stuttgart hatte seinerzeit eine tolle Mahagonny Produktion von Günther Rennert. Vaclav Neumann dirigierte, ich erinnere mich an Anja Silja, Martha Mödl, Gerhard Stolze.

Sonntag, 12.Mai, 13:05 Uhr

Elisabeth

Opernabend

Gut, dass Du Hosenträger anhast!

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