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Kritik - Krzysztof Urbański bei den Münchner Philharmonikern Ein durchwachsener Abend

Der polnische Dirigent Krzysztof Urbański gilt als einer der möglichen Kandidaten für die Gergiev-Nachfolge bei den Münchner Philharmonikern. Er ist fraglos ein Sympathieträger – und vertraglich nicht gebunden. Auch ist er dem Orchester gut vertraut. Aber ist er auch musikalisch die erste Wahl? Diese Woche gastiert Urbański beim Orchester – gleich mit zwei Programmen. Am Mittwoch überzeugte er mit Mahler und Schostakowitsch nur teilweise.

Krzysztof Urbański dirigiert | Bildquelle: Sabrina Ceballos

Bildquelle: Sabrina Ceballos

Auf den ersten Blick: Was für ein ungewöhnliches Programm! Eine Mahler-Symphonie vor der Pause? Aber nach dem Schlussjubel für die Sechste Symphonie von Dmitrij Schostakowitsch erscheint die Dramaturgie des Abends völlig schlüssig. Mit der vorgeschalteten Vierten von Gustav Mahler ergab sich ein Programm des doppelbödigen Humors, des grellen Maskenspiels, des schönen Scheins. Denn in seiner Vierten hat sich Mahler die Narrenkappe aufgesetzt, da lässt er die Schellen klingen, aber auch Freund Hein zum Totentanz aufspielen. Was die Konzertmeisterin der Münchner Philharmoniker Naoka Aoki auf ihrer um einen Ganzton nach oben gestimmten zweiten Geige ganz fabel-, nein schauderhaft meisterte.

Mahler ohne Ecken und Kanten

Krzysztof Urbański dirigiert die Münchner Philharmoniker am 18. Januar 2023 | Bildquelle: Sebastian Widmann Krzysztof Urbański dirigiert die Münchner Philharmoniker am 18. Januar in der Isarphilharmonie. | Bildquelle: Sebastian Widmann Krzysztof Urbański ist ein charmanter Animateur am Pult, der ganz auf die Qualitäten der ihm seit Jahren vertrauten Musikerinnen und Musiker bauen kann. Die wunderbaren Holzbläser der Münchner Philharmoniker lässt er im Scherzo liebevoll durch die gebrochene Heurigen-Idylle tappen, die Streicher im ruhevollen Adagio herrlich aussingen. Grelle Aufschreie des Blechs freilich inbegriffen. Insgesamt eine eher gediegene Mahler-Interpretation, die nicht in die Extreme geht, der die Ecken und Kanten fehlen, die doch auch in dieser nur vermeintlich naiven Symphonie stecken. Ein Highlight dann zum Schluss: Der überraschend unmerkliche Auftritt der Sopranistin Christiane Karg vom linken Bühnenrand aus, die ohne Blickkontakt zum Dirigenten Mahlers ironische Vision vom paradiesischen Schlaraffenland mit Warmherzigkeit und großer Ausdruckskraft gestaltete. Schließlich war Mahler wie vor ihm Berlioz ein Raumklang-Pionier.

Schostakowitsch mit berückenden Momenten

Bei Schostakowitsch ist Urbański hörbar mehr zuhause, dieser smarte Tänzer am Pult. Das gesamte Programm dirigiert er auswendig mit seiner bisweilen manierierten Körpersprache und seiner eleganten Schlagtechnik – der etwas mehr Präzision freilich guttäte. Seine Sechste Symphonie fängt Schostakowitsch gleich mit einem riesigen Largo voller lastender Schwere und harmonisch kühner Leere an. Berückend sind in diesen Momenten die resignativen Flöten-Soli von Michael Martin Kofler. Ein wenig fehlt es Urbański in dieser großen Trauermusik an Dringlichkeit. Dafür kann er in den beiden folgenden Sätzen, vor allem im Kirmes-Trubel der finalen Offenbach-Scharade sein Showtalent voll ausleben. Ziemlich holterdiepolter geht’s aber auch hier zeitweilig zu.

Urbański wohl nicht Gergiev-Nachfolger

Dirigent Valery Gergiev | Bildquelle: picture-alliance/dpa Aufgrund seiner Putin-Treue trennten sich die Münchner Philharmoniker im März 2022 von ihrem Chefdirigenten Valery Gergiev. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Vielleicht lag's auch daran, dass gleich zwei komplette Programme parallel geprobt wurden für die Spanien-Tournee nächste Woche. Krzysztof Urbański ist ein Freund des Orchesters, Intendant Paul Müller schätzt ihn, die Münchner Philharmoniker musizieren sichtlich und hörbar gern mit ihm. Aber in die engere Wahl um die Gergiev-Nachfolge kommt er vermutlich nicht. Zumal in letzter Zeit eher Daniel Harding, Andris Nelsons oder auch Mirga Gražinytė-Tyla genannt wurden. Aber laut unbestätigten Medienberichten gibt es bereits einen Favoriten – und der gastiert diese Woche ausgerechnet beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks: der 34-jährige israelische Shootingstar Lahav Shani. Der stünde für einen längst fälligen Generationenwechsel. Und für einen künstlerischen Neuanfang nach den glücklosen Jahren unter James Levine, Christian Thielemann und Valery Gergiev. Aber wer weiß? Bislang ist alles noch reine Spekulation.

 Sendung: "Allegro" am 19. Januar 2023 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Freitag, 20.Januar, 18:05 Uhr

Wilfried Schneider

Unter Thielemann glücklos??

Ich weiß zwar nicht, welche Konzerte der Münchner Philharmoniker der unbeglückte Herr Fridemann Leipold zwischen 2004 und 2011 besucht hat, um sich ein so abwertendes Urteil über die Zeit mit Herrn Thielemann erlauben zu können. Aber Thielemann-Bashing gehört halt zum guten Ton und sorgt insbesondere bei der politischen Kaste für Punkte. Geschwätz halt, ohne Substanz und Wissen bzw. Hörvermögen. Das bewegt sich auf der gleichen Ebene wie die Handlung der von Sachkunde freien Ministerin und Verwaltungs-Betriebswirtin Klepsch in Dresden. Thielemann wird ohne Rücksprache mit dem Orchester ( Sächs. Zeitung, 21.05.2021) als "zu alt" geschasst ("Semper2030"!) und man holt sich den nur knapp zwei Jahre jüngeren Gatti als Nachfolger und "Erneuerer"! Nee, man wollte und will den Widerspruchsgeist Thielemann einfach loswerden. Weil: Politikern widerspricht man nicht folgenlos, auch wenn man zehn mal Recht hat. Also muss der Thielemann natürlich glücklos sein. Ob ihn das stört? Wohl eher nicht.

Freitag, 20.Januar, 07:55 Uhr

Guido Grass

Glücklos?

„[N]ach den glücklosen Jahren unter James Levine, Christian Thielemann und Valery Gergiev“? Dem kann ich so nicht folgen. James Levine hatte seinen Zenit bereits überschritten und blieb hinter den Erwartungen zurück. Seine damalige Berufung war seinerzeit zurecht nicht nur wegen der zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten Gerüchte umstritten. Unter Thielemann hat sich das Orchester gut weiter entwickelt und neue Freiheiten gewonnen; großartige Abende, die leider nur in wenigen CDs veröffentlicht sind, waren das Resultat. Auch Gergiev hat tolle Aufführungen geleitet, wobei m. E. das Niveau nicht so beständig war. Ich erinnere mich an eine sehr bewegende Bruckner 9. Wenige Monate später gelang jedoch nur eine sehr arme Vorstellung. Dennoch würde ich auch die Zeit mit Gergiev keineswegs als glücklos bezeichnen. Die Einschätzung des Rezensenten erscheint mir bezüglich der glücklosen Zeit unglücklich …

Donnerstag, 19.Januar, 12:59 Uhr

Hans Peter Schratt

F.Leipold: Ein durchwachsener Abend

Mir gefällt die Schlussbemerkung nicht "nach den glücklosen Jahren..." Mit Thielemann habe ich phantastische Abende erlebt (Mendelssohn, Bruckner, Beethoven), und will man Gergievs Bruckner-Zyklus in Sankt Florian vergessen, nur weil der Dirigent politisch nicht genehm ist? Und zwischendrin gab's einen Maazel, dessen Zeit ich jedenfalls nicht als glücklos bezeichen würde.

Donnerstag, 19.Januar, 10:38 Uhr

Yasin Möller

Dirigentenwahl

Man wird den politisch korrekten Entscheid treffen.

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