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Kritik – "Nixon in China" in Berlin Küsschen für die Atomrakete

Aktueller kann diese Zeitoper von 1987 nicht sein: John Adams zeigt das Treffen von zwei egomanischen Spitzenpolitikern. Der eine wird seinen Krieg nicht los, der andere verbarrikadiert sich hinter seinem Fanatismus. Das überzeugt in der Inszenierung des Künstlerkollektivs "Hauen und Stechen" an der Deutschen Oper Berlin. Ein bildgewaltiger Hexensabbat des politischen Irrsinns.

Szene aus "Nixon in China" an der Deutschen Oper Berlin Juni 2024 | Bildquelle: Thomas Aurin/Deutsche Oper Berlin

Bildquelle: Thomas Aurin/Deutsche Oper Berlin

Nein, die Oper heißt nicht "Putin in Pjöngjang", aber der äußere Aufwand ist derselbe und der Inhalt eigentlich auch: Ein hilfloser Präsident weiß nicht, wie er seinen Krieg beenden kann und besucht zur Ablenkung einen Diktator, der sich selbst für einen messianischen Heilsbringer hält und nur noch pseudophilosophische Propagandafloskeln schwafelt. Beide reden völlig aneinander vorbei, hängen insgeheim ihren jeweils privaten Gedanken nach und widmen ihre zärtlichsten Gefühle nicht den eigenen Ehefrauen, sondern den Atomraketen, die das ein oder andere Küsschen bekommen. Könnte genauso gut auf Donald Trump passen oder Xi Jinping.

Minimal Music und Politspektakel

"Nixon in China" ist also, anders als der Titel nahelegt, eine völlig zeitlose Oper, auch, wenn sie einen bizarren Staatsbesuch im Februar 1972 in Peking zum Thema hat. Damals tobte in China die Kulturrevolution, die als zehnjähriges Chaos in die Geschichte einging und rund zwanzig Millionen Todesopfer forderte. Nixon hatte den Vietnam-Krieg und die Studentenunruhen am Hals, sein Außenminister Henry Kissinger erwies sich als trickreich, aber völlig erfolglos. Komponist John Adams ließ sich von dem Politspektakel zur stark rhythmischen Minimal Music inspirieren: Zuhörer kommen sich vor, als ob sie in ein Räderwerk hineingerissen werden, das niemals bremst, so ähnlich wie Charlie Chaplin in der berühmten Szene des Stummfilms "Moderne Zeiten". Und tatsächlich wurden die Menschen ja nicht nur in China in eine bluttriefende Revolutionsmaschine geworfen, aus der es kein Entrinnen gab.

Bildgewaltige Revue des Irrsinns

Szene aus "Nixon in China" an der Deutschen Oper Berlin Juni 2024 | Bildquelle: Thomas Aurin/Deutsche Oper Berlin Szene aus "Nixon in China" in Berlin. | Bildquelle: Thomas Aurin/Deutsche Oper Berlin Das Berliner Künstlerkollektiv "Hauen und Stechen", gegründet von Franziska Kronfoth und Julia Lwowski, inszenierte das an der Deutschen Oper Berlin als bildgewaltige Revue des Irrsinns, in dem lautstarke Kernwaffen-Explosionen nicht fehlen durften. Richard Nixon und seine Entourage landen in Peking mit einem Fallschirm, der sehr nach einem Atompilz aussieht. Danach prallen zwei Welten aufeinander: Die Amerikaner gruseln sich beim Kriegsballett der Roten Garden, bei der Besichtigung einer Schweinefarm und in der Volksklinik. Die Chinesen wedeln mit Mao-Bibeln, loben Karl Marx und blenden ihre Gäste mit einer grellen Folklore-Show. Das ist bei diesem technischen Aufwand und dem rasanten Tempo ausgesprochen unterhaltsam anzusehen und wird über dreieinhalb Stunden keine Minute langweilig, auch wenn im letzten Akt weniger marschiert und agitiert wird, sondern die Hauptfiguren ihre stark aufgehübschten, vermeintlich heldenhaften Lebensläufe nebeneinanderlegen.

Funkensprühende Satire aus dem Orchestergraben

Herrlich parodistisch, wenn die Roten Garden, statt heroisch zu tanzen, sich gegenseitig mit Blut und Gedärmen überschütten. Da wurde nicht nur Pat Nixon übel. Ein furioser Hexensabbat auf alle Volksbeglücker und ihre Allmachtsfantasien! Dirigent Daniel Carter befeuerte das mit funkensprühender Satire aus dem Orchestergraben und persiflierte dabei mal elegante Tanzveranstaltungen, mal das Geschrei der Massen, mal das kitschtriefende Selbstmitleid der berüchtigten Mao-Gefährtin Chiang Ching, einer Fanatikerin ohne Skrupel.

Absolut überzeugendes Ensemble

Absolut überzeugend, wie Chor, Statisten und Solisten diesen Abend stemmen: Ein optischer und musikalischer Gewaltritt im eigentlichen Sinn des Wortes. Einziges Problem: Wer sich nicht so genau auskennt mit der US-Geschichte der siebziger Jahre, wird manche böse Anspielung auf den Watergate-Skandal und die damaligen Friedensverhandlungen in Paris nicht verstehen. Thomas Lehmann war als Nixon ebenso glaubwürdig wie Seth Carico als Kissinger und Ya-Chung Huang als Mao und Hye-young Mon als dessen Frau. Heidi Stober als Pat Nixon spielte herrlich glaubwürdig die völlig überforderte amerikanische Hausfrau, die durch widrige Umstände aus Kalifornien verstoßen wurde und sich zurücksehnt. Viel Applaus, auch einige Protestrufe gegen diesen außer Rand und Band geratenen Polit-Zirkus. Eine unbedingte Empfehlung für die Fans von zeitgemäßem Musiktheater, das niemanden gleichgültig lässt!

Sendung: "Allegro" am 24. Juni 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (3)

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Sonntag, 23.Juni, 16:47 Uhr

Diona

Ähm, das ist eine sehr seltsame Berichterstattung. Welche „Protestrufe gegen diesen außer Rand und Band geratenen Polit-Zirkus“?!?
Hat der Journalist von br-klassik die ganze Zeit geschlafen??

Sonntag, 23.Juni, 16:10 Uhr

Paul Altblut

Schlingensief lässt grüßen

Ein szenisches Desaster, trivial und überfrachtet, Werkschädigend!
Die grandiose musikalische Umsetzung hat besseres verdient.

Sonntag, 23.Juni, 13:30 Uhr

Niveau

Nix on in China

Viel schlimmer noch als diese peinliche, weil dilettantische Aufführung ist wieder einmal das Niveau der Kritik hier. Wo steht hier etwas über die musikalischen Leistungen? Nicht einmal die üblichen Versatz-Adjektive hat der peinliche Rezensent ausgepackt.

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