Auf einem verwahrlosten Bauernhof revoltieren die Tiere gegen ihren tyrannischen Besitzer: George Orwells Klassiker über einen scheiternden Befreiungskampf wurde als Oper an der Wiener Staatsoper aufgeführt. Die Musik stammt von Alexander Raskatov, inszeniert hat Damiano Michieletto. Eine bedrückend aktuelle Premiere, meint unser Kritiker.
Bildquelle: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
George Orwells Tierparabel "Animal Farm", schon lange ein Klassiker, handelt von Schweinen, die die Macht über eine heruntergekommene, von ihren Besitzern vernachlässigte Farm übernehmen. Als das Werk 1945 herauskam, verstand Orwell es als satirische Fabel über den Sowjetkommunismus und Stalin. In der DDR durfte "Animal Farm" nicht erscheinen, auch der Besitz war verboten. 80 Jahre später erscheint die politische Diagnose nach wie vor beklemmend aktuell. Die Dutch National Opera und die Wiener Staatsoper haben dem russischen, in Deutschland lebenden Komponisten Alexander Raskatov den Stoff für ein Auftragswerk vorgeschlagen. Nach der Uraufführung dieser Produktion im Mai 2023 in Amsterdam, hatte sie nun in einer wenig veränderten Fassung an der Wiener Staatsoper Premiere.
Dass fast ausschließlich Tiere Hauptfiguren der Oper sind, wirkt keineswegs befremdlich, zumal sie durchaus nicht einheitlich gestaltet sind – manchmal mit Tiermasken, manchmal tragen sie ihre Tierköpfe vor sich her, wobei sich das Geschehen nicht in einem verwahrlosten englischen Landbesitz, sondern in einem Schlachthof abspielt. Als Tiere sind unverkennbar Politiker der Sowjetunion portraitiert: Lenin, Stalin, Geheimdienstchef Beria, Trotzki. Tiere sind durchaus menschlicher als die Menschen. Denn die paradoxe Pointe von Orwells Fabel ist, dass die gegen die Menschen kämpfenden, um Gleichheit und Gerechtigkeit bemühten Tiere allmählich selbst zu brutalen terrorisierenden Menschen oder menschenähnlichen Geschöpfen werden. Das zeigt sich besonders deutlich am Schwein namens Napoleon. Es steht für Stalin und agiert schon bald in Menschenkleidern.
Die Inszenierung von Damiano Michilietto und das pointierte Libretto von Ian Burton und dem Komponisten führen eine satirische und gleichzeitig abgründige, immer wieder sadistische Szene vor. Raskatov hat eine besonders unheimliche Szene eingefügt: eine Oper in der Oper. Wenn die Opernsängerin Pigetta (Karl Laquit) nach ihrer Arie vom Schwein Squealer (Andrei Popov) Blumen bekommt, dann mit dem Hinweis, dass dies die Blumen für ihr Grab nach ihrer Ermordung und Vergewaltigung wären. Pigetta hatte sich Squealer verweigert und er rächt sich so. Die Utopie einer Welt mit viel Zuckerwatte erscheint in diesem Kontext besonders derb-grotesk.
Bildquelle: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Vor allem überwältigt den Zuhörer die Komposition. Grunzen, Blöken, Wiehern und Meckern bestimmen die oft kurzen gesanglichen Ausbrüche, bisweilen in wahnwitzigen Koloraturen und oft in abenteuerlichen Tonwechseln. Für den Staatskünstler, das Schwein Minimus (Artem Krutko) hat Raskatov auch eine Countertenor-Arie komponiert. Doch bereits zu Beginn orgelt das alternde Schwein Old Mayor (Gennady Bezzubenkov) als Lenin oder Karl Marx seine Träume von einer gerechten Gesellschaft in abgründigen Tiefen. Am menschlich-natürlichsten noch der Tyrann Napoleon (Wolfgang Bankl). In der forcierten Rhythmik scheint in "Animal Farm" immer wieder Dmitri Schostakowitsch durch. Der in Paris lebenden Witwe Irina Schostakowitsch hat Raskatov diese Oper gewidmet.
Er habe, meinte Raskatov, zwei Orchester einander gegenübergestellt, eines auf der Bühne und eines im Orchestergraben. Tatsächlich wirken die 21 nahezu gleichwertigen Solisten, der Chor und Extrachor der Tiere in ihren kurzen Einsätzen wie ein zweites Orchester, das mit dem riesigen Orchesterapparat im Graben korrespondiert. Selbst Alexander Soddy – überaus souverän und spannungsvoll dirigierend – soll nicht alle Instrumente zuvor gekannt haben. Vor allem viel Schlagzeug: ein Waterphone (ein mit Wasser gefülltes Möbelstück), Reibetrommeln, Sirenen, Vibraphone, E-Gitarren, Ratschen, Kuckucksflöten, Cow-Bells, oft Piccolotrompeten. Nicht einmal im voluminösen Orchestergraben der Wiener Staatsoper hatte alles Platz.
Damiano Michielettos Inszenierung überzeugt deshalb, weil sie keine plumpen Aktualisierungen vornimmt. Wie die Musik ist sie nicht selten auch lustvoll und mit bösem Humor. Doch gerade dadurch kommt die "Farm der Tiere" gegenwärtigen politischen Ängsten, Befürchtungen, Bedrohungen gespenstisch nahe. Es ist ein intellektueller Weckruf, effektvoll, publikumswirksam, ja trotz des klassischen Stoffes wie selbstverständlich auf die unmittelbare Gegenwart bezogen.
Weitere Informationen zu den nächsten Vorstellungen von "Animal Farm" an der Wiener Staatsoper finden Sie hier.
Sendung: "Leporello" am 29. Februar ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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