Es ist die einzige Oper von György Ligeti, aber in ihr steckt eine ganze Welt: "Le Grand Macabre" ist ein Füllhorn musikalischer Einfälle. Und die kommen in der Neuproduktion an der Wiener Staatsoper auch fantastisch zur Geltung. Nur auf der Bühne ist ein bisschen zu viel Operette.
Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Seit Bodgan Roščić 2020 Intendant der Wiener Staatsoper wurde, gab es diverse Neuerungen. Eine betrifft das Haus am Ring selbst, es wird immer wieder mal mittels Neonstreben illuminiert. Da gibt es dann schon mal den Nachruf auf einen Popmusiker oder Hinweise aufs Programm der Oper. Im aktuellen Fall liest man "Tod" ,"Sex", "Arien". Das macht sicher auch viele Flaneure neugierig und vielleicht verirrt sich der Eine oder die Andere ja mal ins Haus. Gegeben wird gerade György Ligetis "Le Grand Macabre", das einzige Musiktheater des 1923 in Siebenbürgen geborenen und 2006 in Wien verstorbenen Komponisten. Ligeti vertonte recht frei eine Vorlage von Michel de Ghelderode (1898-1962), der einen grotesken Totentanz in ebenso skurrile Sprache goss.
Bildquelle: @ marcelurlaub.com Wir sind im fiktiven Breughelland: Höllenfürst Nekrotzar erscheint und kündigt das Ende der Welt an. Ein übergewichtiger Säufer wird sein Diener, ein wirrer Astrologe mit seiner sadistisch veranlagten Gattin irren umher, der Regierungschef ist ebenso wahnsinnig wie der Rest des Personals. Ein Komet erscheint und wenn er einschlägt, soll alles den Bach runtergehen, dank Nekrotzar. Doch dieser wird mit Wein abgefüllt und die Apokalypse entfällt. Das ganz in ihren Lüsten versunkene Paar Amando und Amanda hat von dem Trubel ohnehin nichts mitbekommen.
Ligeti hatte für dieses Anti-Welttheater eine stupende Fülle von Einfällen, man hört ein Autohupenkonzert, ständig wechselnde Rhythmen und musikalische Temperaturen, meist hochtourig läuft das Geschehen ab, mit szenischen wie orchestralen und vokalen Sprüngen und Vexierbildern. In Wien hält Pablo Heras-Casado alle Fäden, Seile und bisweilen schrundige Taue der Partitur perfekt zusammen, es wird brillant musiziert, dazu liefert der Slowakische Philharmonische Chor präzises vokales Tohuwabohu (Einstudierung Jozef Chabroň).
Mit Georg Nigl dürfte der aktuell wohl beste, intensivste, stimmigste Nekrotzar zu erleben sein, er nimmt Ligetis selten verwirklichte Anforderungen beim Wort (beziehungsweise Ton) und singt hinreißend, mal schmerzhaft, mal scherzhaft, immer herzhaft. Oft prasseln eindringliche Falsettgewitter nieder. Was am meisten beeindruckt: wie Nigl aus vokaler Brüchigkeit große Klangsinnlichkeit zaubert!
Nicht weniger beeindruckend Sarah Aristidou als Chefin der Geheimpolizei (sowie als Venus), auch hier sind die Herausforderungen gewaltig, nicht umsonst geben Koloratursoprane gerne ein bestimmtes Stückchen aus dem "Grand Macabre" gerne als Zugabe. Toll sind Gerhard Siegel als Säufer Piet vom Fass und Wolfgang Bankl, der den eher mäßig begabten Seher Astradamors gibt, sowie Maria Prudenskaya als irre Sado-Dame Mescalina.
Bildquelle: @ marcelurlaub.com Ein musikalischer Triumph also, vom Publikum heftig bejubelt, wie auch die Regie. Tja, und genau hier liegt das Problem. Man applaudiert am Ende, als ob es eine bunte Operette zu sehen gab – und genau die gab es auch. Was Jan Lauwers und sein technisch vorzügliches Tanzensemble bieten, besteht meist in billiger Bebilderung mit reichlich Showeffekt. Es ist ein Garten der Früste, den wir sehen, samt – dafür ist sich Lauwers auch nicht zu schade – braven Einblendungen von Breughel'schen Wimmelbildern. Ein Wimmelbild ist auch die ganze Inszenierung, fast alles wird verzappelt und verhampelt, geht es mal ruhiger zu, gibt es immer noch so etwas wie Eurythmie auf Speed.
Alles bleibt reinste Oberfläche, nichts bohrt tiefer, führt in Abgründe hinein oder bezieht gar irgendwie Position zum Werk. Passend dazu zeigt das Programmheft auf der Titelseite einen Totenschädel aus Kristallen: der hippe Lieblingskünstler zahlreicher Millionäre, Damian Hirst, lässt grüßen.
Dem Intendanten der Wiener Staatsoper beschert diese Premiere immerhin ein volles Haus und Ovationen. Da wäre es nur konsequent, als nächstes Barrie Kosky Helmut Lachenmanns "Mädchen mit den Schwefelhölzern" anzuvertrauen!
Sendung: "Allegro" am 12. Novermber 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Donnerstag, 16.November, 17:48 Uhr
information
denken
The premiere of LE GRAND MACABRE left much to be desired and proved to be a disappointing experience. The production presented a bottleneck narrative, tightly confined within the constraints of history, without offering any glimpse into the possibilities of the future. In a world that is constantly evolving, the opera failed to adequately address contemporary issues and failed to resonate with today's audience.
One glaring flaw was the lack of visual imagery that could have depicted how we, as a society, can creatively and constructively solve problems, and find innovative solutions. The absence of such imagery left the production feeling stagnant and outdated. It is essential for art forms to reflect the changing times we live in and offer a fresh perspective that challenges traditional norms.
The opera, seemingly trapped in the 80s, failed to acknowledge the advancements and progress we have made since then.
Montag, 13.November, 13:03 Uhr
Friedrich Krammer
Wien Le Grand Macabre
Leider total verblödelt in Wien, an der Schärfe und Gefährlichkeit vom Komponisten gewollt total vorbei. Schade, die zwei Wiener off Produktionen waren seinerzeit mit weniger Aufwand viel werkgetreuer realisiert.
Sonntag, 12.November, 21:06 Uhr
Claus Grünewald
Alternative zu Wien
Ich empfehle, das Werk an der Oper Frankfurt anzuschauen. Bei der dortigen Inszenierung bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Sänger und Orchester sind auf Weltniveau.
Kein Wunder beim Opernhaus des Jahres 2023 ( zum 7. Mal)