BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik - "Eugen Onegin" in Augsburg Sehnsuchtsmusik

Regen prasselt zur Premiere auf das Blechdach der Augsburger Spielstätte und passt perfekt zur wehmütigen Atmosphäre von Peter Tschaikowskys Puschkin-Vertonung. Regisseur Roland Schwab gelingen eindrucksvolle Bilder, die Musik bleibt allerdings für "russische" Verhältnisse ungewöhnlich kontrolliert.

Eugen Onegin in Augsburg | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr

Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr

Es ist die Frage, ob die unerfüllte Sehnsucht, die Schlagersängerin Alexandra ("Sehnsucht heißt ein altes Lied der Taiga") 1968 populär machte, nicht doch das Leben mehr bereichert als die erfüllte. Wenn Wünsche wahr werden, mag das zwar ein Glücksgefühl auslösen, aber wie lange hält es an? Die Sehnsucht dagegen mag schmerzlich sein, aber wie viele Träume löst sie aus, wie viele durchwachte Nächte bringt sie mit sich, wie viele bittersüße Leidenschaften weckt sie. Davon kündet die Musik von Peter Tschaikowski, der zeitlebens mit unerfüllten Sehnsüchten zurechtkommen musste, und darum geht es in seiner Oper "Eugen Onegin".

Die Bühne: Ein optisches Vergnügen

Regisseur Roland Schwab fand dafür am Staatstheater Augsburg sehr überzeugende Bilder. Der Blick fällt auf eine weiße Gartenveranda. Ihre Bretter bedecken nicht nur den Boden, sondern merkwürdiger Weise auch den Himmel, so dass die beiden Holzböden aussehen wie zwei Augenlider. Weit im Hintergrund flimmern die Lichter einer Großstadt, vermutlich Moskau. So nah, und doch so unerreichbar. Auch das eine große, unerfüllte Sehnsucht. Auf dem abgelegenen Landgut, das hier gezeigt wird, sorgt ein Kurzwellenradio für Unterhaltung: Früher hieß das "Weltempfänger", weil ferne Sender gehört werden konnten, doch hier hat das altertümliche Wort eine doppelte Bedeutung: Ja, die Welt wird empfangen, nach der sich die junge Tatjana sehnt. Eugen Onegin, der Titelheld, kommt von dort, er ist viel gereist. Die Welt hat ihn abgehärtet, cool und unnahbar gemacht. Die Liebe hält er für einen Zeitvertreib, und die Ehe für lässlich, zumal sie hier von einer biederen Stehlampe symbolisiert wird, dem Inbegriff der Spießigkeit, aber auch des gemütlichen, übersichtlichen Daseins.

Das alles funktioniert optisch wunderbar. Der Regen, der vernehmlich auf das Blechdach der Augsburger Spielstätte prasselt, verstärkt die wehmütige Atmosphäre, und auch der riesige Kronleuchter, der am Ende den kalten Glanz der Hauptstadt verdeutlichen soll, wirkt entsprechend pompös und unterkühlt. Das ist sie, die typisch russische Sehnsucht nach dem unendlich weit entfernten Zentrum, nach Lebenssinn, eine Sehnsucht, die Tschaikowsky ebenso thematisiert wie Tschechow im Schauspiel. Und immer wird sie enttäuscht. Zwar wird im "Eugen Onegin" nur einer erschossen, Lenski, der aus Eifersucht ein Duell provoziert, aber letztlich sterben hier alle, legt Regisseur Roland Schwab nahe, und zwar den emotionalen Kältetod. Eugen Onegin, der Täter, wird von seinen Albträumen heimgesucht, Tatjana flüchtet sich unter den Kronleuchter, der ihr Herz niemals erleuchten wird. 

Musikalisch: Kontrolliert, aber ohne große Emotionen

Was auffällt: In Puschkins Versdrama, das Tschaikowsky vertont hat, klagt Eugen Onegin mit gerade mal 26 Jahren darüber, dass er "noch ledig und ohne Lebensziel" sei. Das galt damals, vor 200 Jahren, als tragisch, denn mit 26 hatte der Mann längst Stellung und Rang zu haben. So verschoben sich seitdem die Perspektiven: Heute wird 26 bekanntlich eher selten geheiratet, dafür aber gern gejobbt.

Alles sehr plausibel, was da im Augsburger Staatstheater zu sehen war, aber weil Dirigent Domonkos Héja eher mit federnder Behutsamkeit ans Werk geht, fehlt es an der Leidenschaft, an der Hitze, die eigentlich zu Tschaikowsky gehört. Die Augsburger Philharmoniker spielen sehr kultiviert, da gibt es überhaupt nichts auszusetzen, aber Emotionen lodern nicht. Das gilt auch für den südkoreanischen Bariton Shin Yeo in der Titelrolle. Sein Landmann Sung min Song als Lenski hatte es mit der sentimentalen Rolle leichter. Jihyun Cecilia Lee, auch sie Südkoreanerin, war eine ziemlich selbstbewusste Tatjana. Einzige Russin unter den Solisten war Natalya Boeva als Olga, die auch prompt deutlich gefühlsgeladener agierte. Insgesamt ein stimmiger Tschaikowsky-Abend, der mit der berühmten Klage endete: "So nahe war das Glück" - nämlich zum Greifen, aber das Schicksal wollte es eben anders. Das ist die russische Traurigkeit, jedenfalls bei den Klassikern. Der nächste Schritt führte direkt in die deutsche Romantik.

Sendung: "Allegro" am 23. Oktober 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Sonntag, 22.Oktober, 17:41 Uhr

Jürschick

Der Kommentar zu "Eugen Onigin"

Die Sehnsucht des Kommentators nach russischer Emotionalität kann ich als Premierezuschauer nicht nachvollziehen. Soll Tatiana noch herzzerreisender singen sollen, das Orchester noch dramatischer intonieren sollen usw. Der Kommentar wird der ausgezeichneten Qualität der Aufführung nicht gerecht. Schade.

Neu bei BR-KLASSIK

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player