Wir alle kennen unsere Pappenheimer, aber keiner kennt den "Fürst von Pappenheim". So heißt nämlich eine Berliner Operette von Hugo Hirsch, einer der vielen jüdischen Operettenkomponisten, die 1933 emigrieren mussten. Vor 100 Jahren uraufgeführt, war Hirschs Operette ein großer Erfolg und 1952 sogar noch verfilmt worden. Seitdem war er so gut wie vergessen. Ob zu Unrecht, das kann man gerade tief verschneiten Erzgebirge überprüfen, im Theater von Annaberg-Buchholz, das sich unter dem Intendanten Moritz Gogg mit Ausgrabungen von Raritäten aller Genres einen Namen gedacht hat.
Bildquelle: © Dirk Rückschloss
"Wer wird denn weinen, wenn man auseinander geht" – das ist wahrscheinlich der einzige Schlager von Hugo Hirsch, den man heute noch kennt. Er stammt aus der Operette "Die Scheidungsreise", einem seiner großen Erfolge der 1920er Jahre. Damals war Hirsch neben Jean Gilbert und Walter Kollo einer der populärsten Komponisten der Berliner Operette. Wobei seine Operetten eher Schwänke mit schlagerhaften Musikeinlagen sind und von Schauspielern gespielt wurden. Was hat es also mit diesem Pappenheimer auf sich?
Titelheld ist Egon Fürst, Vertreter im Berliner Modehaus der Camilla Pappenheim. Leider laufen die Geschäfte schlecht. Da kommt die beste Kundin gerade recht – Prinzessin Stephanie! Doch sie hat kein Geld mehr, weil sie mit ihrem Onkel wegen einer arrangierten Ehe gebrochen hat. Das bringt Egon auf eine geniale Idee, wie er das Geschäft seiner Chefin retten kann: Er engagiert die Prinzessin als Mannequin. In einem mondänen Badeort an der Riviera soll sie die Kollektion des Hauses tragen und an die Frau von Welt bringen. Er selbst will als "Fürst von Pappenheim" Werbung und Verkauf übernehmen.
In Annaberg wird dieser falsche Fürst von Richard Glöckner gespielt – in Frauenkleidern und ganz großartig. Noch dazu sächselt er ganz bodenständig – sehr zur Freude des Publikums. Ein witziger Kontrast zur grandiosen Travestieshow, die er dabei abzieht. Sie kommt bei Hirsch so nicht vor, dafür aber in der Stummfilmversion der Operette von 1927. Da trägt der jüdische Schauspieler Curt Bois in der Titelrolle Fummel.
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In Annaberg tritt er am Schluss sogar persönlich als Figur auf und singt ein Couplet, das den Bogen von 1923 zu 2023 spannt. Regisseur Christian von Götz hat darauf großen Wert gelegt. Er macht aus Bois Stummfilm Travestie-Auftritt den Dreh- und Angelpunkt seiner Inszenierung. Richard Glöckner spielt also einen sächselnden Curt Bois, sehr überzeugend und durchgehend en travestie, aber damit ist er nicht allein.
Man sieht sehr viele Männer in Strapsen. Das schwächt erstens Glöckners Rolle und verschenkt zweitens den eigentlichen Clou der Inszenierung, dass nämlich der gute Egon im 2. Akt die Pappenheimschen Kleider so gut verkauft, dass sogar die Männer sie tragen wollen. Wenn sie das schon im 1. Akt tun, verpufft der Effekt. Für die starken Frauenfiguren des Stücks ist es nicht einfach dagegen aufzukommen. Stefanie Ritter hält sich als Chefin vornehm zurück, hat dafür ein Techtelmechtel mit Didi, bei Maria Rüssel eine kühle, mannstolle Domina zwischen Vamp und Soubrette. Nur die junge Sophia Keiler durchbricht diese 20er-Jahre-Klischees. Famos temperamentvoll spielt sie eine österreichische Prinzessin und singt noch dazu märchenhaft.
Ihre Figur hat übrigens als einzige eine lyrische Nummer. Ansonsten geht es bei Hugo Hirsch handfester zu, gern im typischen Berliner Marschtempo: echte Gassenhauer, aber aus vornehmen Gassen. Das gilt besonders für die Instrumentierung. Die ist original 1923, weniger jazzig als sinfonisch. GMD Jens Georg Bachmann hat dafür mit der Erzgebirgischen Philharmonie Aue eine überzeugende Klangmischung gefunden: nicht zu krachert, aber flott und elegant. Das Ensemble ist sehr spielfreudig, besonders Bariton Jakob Hofmann überzeugt als Fußfetischist Hektor.
Jede Figur hat eigene Kontur, selbst Knallchargen wie Lázsló Varga als messerstechender Russe oder Christian Wincierz als masochistischer tadschikischer Prinz im Negligé. Und bei einer Operette besonders wichtig: Man versteht jedes Wort der witzigen Liedtexte des damals erst 18-jährigen Willi Kollo. Der dramaturgische Bogen von 1923 zu 2023 wirkt oft etwas bemüht und überspannt, nicht nur in puncto Diversität, sondern auch politisch. Weder das Erstarken der Rechten, noch die Verarmung durch die Inflation kommen wirklich zur Geltung, auch wenn der Chor als Proletariat in Alltagskleidung auftritt und der genderfluiden Haute-Vollée frierend beim Feiern zuschaut.
Als überdrehter Operetten-Schwank, gespickt mit schmissigen 20er-Jahre-Schlagern hingegen funktioniert die Inszenierung bestens und das ist heutzutage ja auch nicht von Pappe!
Sendung: "Leporello" am 11. Dezember ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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