Schaurige Kürbislaternen, kostümierte Erwachsene und Kinder, die als Hexen, Gespenster und kleine Monster verkleidet durch die Straßen ziehen. Das ist Halloween. Ursprünglich ein alter keltischer Brauch, um Kontakt zu den Toten aufzunehmen. Das Spiel mit dem Grauen hat die Menschen immer schon in Bann gezogen. Spuk und Horror – das kennt auch die Welt der Oper.
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In Paris geht ein Serienmörder um. Er erdolcht seine Opfer und nimmt ihnen den Schmuck, den sie kurz zuvor bei einem Goldschmied erstanden haben. Am Schluss stellt sich heraus: Goldschmied und Mörder sind eins. Paul Hindemiths Oper "Cardillac" ist ein düsterer Krimi um einen Besessenen, der sich nicht von seinen Schmuckstücken trennen kann. Und deshalb holt er sie sich zurück. Oder verflucht den Verkäufer, wie in der literarischen Vorlage, der Novelle "Das Fräulein von Scudéry" von E.T.A. Hoffmann: "Nun, so quäle euch der Satan mit hundert glühenden Kneifzangen und hänge drei Zentner an den Halsschmuck, damit er eure Braut erdrossle!"
"Cardillac" 1985 in einer Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: picture-alliance / | - Die Musik aus dem Jahr 1926 ist oft spröde und verweigert sich jeder Dramatisierung; in den Mordszenen, den Augenblicken höchster Spannung, schweigt das Orchester. Bildgewaltig setzt Regisseur Jean-Pierre Ponnelle 1985 an der Bayerischen Staatsoper Cardillacs großen Gegenspieler in Szene: das Volk. Der schwarz gekleidete Chor agiert in völliger Dunkelheit und reckt dem Publikum seine rot eingefärbten Hände entgegen. Gänsehaut bis zum Schlussapplaus. Es soll Besucherinnen gegeben haben, die ihren Goldschmuck nach der Vorstellung im Mantel versteckt nach Hause getragen haben …
Die drei Hexen in Giuseppe Verdi Oper "Macbeth" 2011 bei den Salzburger Festspielen | Bildquelle: picture alliance / BARBARA GINDL / APA Giuseppe Verdis Macbeth hat neben dem Titelhelden und seiner Frau einen dritten Hauptdarsteller: Hexen. Er braucht die Hexen, um sich seine Zukunft voraussagen zu lassen. Unheils-Schwestern sind sie, satanische Priesterinnen, die Nachtseite der menschlichen Seele. Und mit jedem Mord, den Macbeth mit seiner Frau begeht, verstrickt er sich mehr in der Welt des Bösen. Die Ermordeten erscheinen ihm beim Festmahl, die Weissagungen überfordern ihn – und am Schluss setzt sich ein ganzer Wald in Bewegung, um sein Schicksal zu besiegeln. Tiefschwarz ist die Musikfarbe, ganz ohne Liebesschwüre, aber dafür mit einem fiebrig-verzweifelten Flüsterduett und einer packenden Nachtwandelszene am Rande der Singbarkeit. Ein Höllenritt.
"Die riesenhafte Eule, die ihre Flügel bewegen sollte, konnte den einen nicht von der Stelle bringen; die leuchtenden Augen des düsteren Nachtvogels sahen aus wie ein paar klägliche Straßenlaternen; und der Feuerwagen war so schlecht gebaut, dass das Feuerwerk gänzlich ausblieb und ein leeres Rad mit allerlei Anhängseln in albernster Weise über die Bühne rollte."
"Der Freischütz" 2017 in einer Inszenierung von Christian von Goetz an der Oper Leipzig | Bildquelle: picture alliance / 360-Berlin | 360-berlin Keine Frage: da haben die special effects nicht gezündet 1821, bei der Generalprobe von Carl Maria von Webers "Freischütz", da ist ordentlich was schiefgelaufen. In der Premiere hat dann wohl alles geklappt, und dem Publikum ist das Blut in den Adern gefroren. Die stets gefährdete Idylle hält uns in dieser Oper pausenlos in Atem; die Brüchigkeit der heilen Welt; der lauschige Wald, der seine dämonischen Fratzen zeigt; der Jäger Max, der sich in der Wolfsschlucht den bösen Mächten und seiner eigenen Finsternis ausliefert. In der Musik trifft ein unsichtbarer Chor von Untoten auf teuflisch pfeifende Piccoloflöten und sich per Windmaschine und Pauken gewaltig entladende Gewitter – und Agathe als verlorene Lichtgestalt schickt ihr "Leise, leise …" als innige Preghiera ins Dunkel.
Eine Frau, Nacht, Wald – müsste man dazu eine Reizwortgeschichte schreiben, käme Arnold Schönbergs Monodram "Erwartung" heraus: ein Schocker, in dem eine Frau nachts durch den dunklen Wald irrt, auf der Suche nach ihrem Geliebten. Und dann findet sie ihn – als Leiche. Das Libretto hat eine Frau verfasst. "Schreiben Sie mir doch einen Operntext, Fräulein!" sagt Arnold Schönberg im August 1909 zu Marie Pappenheim. Die angehende Ärztin, die zum Zeitvertreib Gedichte verfasst, liefert prompt. Zitat: "Ich schrieb im Gras liegend mit Bleistift auf großen Bogen Papier, hatte keine Kopie, las das Geschriebene kaum durch." Das Ergebnis: ein atemloser innerer Monolog, Satzfetzen, Schreie; Ungewissheit, Hoffnung, Panik, Verzweiflung. Und in der Musik: expressives Schweben in der freien Atonalität. Das Werk erhält die Opuszahl 17, denn 17 Tage braucht Schönberg zum Komponieren. Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei – er wirkt lange nach. Und der nächste Waldspaziergang fühlt sich anders an …
"Sie sind die größte Gattung der Fledermäuse. Sie nähren sich von Früchten, fallen aber auch Tiere und selbst schlafende Menschen an. Sie fliegen in die Zimmer, lecken mit ihrer Zunge die entblößten Füße, bis sie wund werden und saugen dann das Blut aus. Daher sie auch Blutsauger genennet werden. Der Schrecken soll jedoch größer sein als der Schaden, den sie anrichten." (aus der "Allgemeinen Deutschen Real-Enzyklopädie für die gebildeten Stände von 1831")
"Der Vampyr" von Heinrich Marschner 2016 an der Komischen Oper Berlin | Bildquelle: picture alliance / Eventpress Hoensch | Eventpress Hoensch Der unheimliche Sauger in Heinrich Marschners Oper "Der Vampyr" ist von anderem Schlag, teilt sich jedoch mit den Fledermäusen das Lieblingsgetränk. Er heißt Lord Ruthven und ist ein veritabler Adliger aus den schottischen Highlands, der mit dem Teufel im Bund steht und es auf die heiratsfähigen Töchter der Umgebung abgesehen hat. Und das nicht nur um Halloween herum. Für den Höllenfürsten braucht er das Blut dreier junger Frauen, nur dann kann er weiterleben. Nachdem er zwei der Damen erfolgreich "ausgetrunken" hat, gerät er an Malwina. In die verliebt sich sein Assistent Edgar, kündigt seinem Herrn die Gefolgschaft auf und bringt dessen Lebenswandel ans Licht. Der Vampyr fährt (wie Mozarts Don Giovanni) zur Hölle, Malwina ist gerettet. Ein Happy End, das Halloween-Fans ein bisschen verdrießlich zurücklässt.
Benjamin Brittens Oper "The Turn of the Screw" beginnt mit einem seltsamen Bewerbungsgespräch: eine junge Frau wird als Gouvernante für zwei Kinder auf einem entlegenen englischen Landsitz engagiert. Dort ist nichts normal. Tote ehemalige Angestellte tapsen übers Gelände und haben es auf die Kinder abgesehen. Die Erzieherin wird von Albträumen gepeinigt – und nimmt doch den Kampf auf gegen die Geister der Vergangenheit. Bizarre Fantasien? Kindesmissbrauch? Nichts ist sicher, alles ist möglich. Ein surrealer Horrortrip, bei dem die Realität keine Chance hat. Oder etwa doch? Permanente nervöse Spannung im Orchester – und die titelgebende Schraube dreht sich bis zur Katastrophe. Vielleicht. Im Geisterreich bleibt vieles in der Schwebe …
Ich fürcht nit Gespenster,
Keine Hexen und Feen,
Und lieb's, in ihre tiefen
Glühaugen zu sehn.
Am Wald in dem grünen
Unheimlichen See,
Da wohnet ein Nachtweib,
Das ist weiß wie der Schnee.
Jüngst, als ich im Mondschein
Am Waldwasser stand,
Fuhr sie auf ohne Schleier,
Ohne alles Gewand.
Es schwammen ihre Glieder
In der taghellen Nacht;
Der Himmel war trunken
Von der höllischen Pracht.
Aber ich hab entblößet
Meine lebendige Brust;
Da hat sie mit Schande
Versinken gemusst!
(Gottfried Keller)
Sendung: "Leporello" am 30. Oktober 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Donnerstag, 31.Oktober, 08:52 Uhr
Barboncino
Halloween
Halloween beweist einmal mehr, dass Deutschland zumindest kulturell der 51. US-Bundesstaat ist. Die Mehrzahl der jungen Leute kann mit deutschem Liedgut überhaupt nichts anfangen.In den meisten Radiosendern hört man nur amerikanische Interpreten, Rapper etc.Klassik ist für viele ein Fremdwort oder gar ein Horrorbegriff. Ein Land , das seine Kultur stiefmütterlich behandelt,schafft sich auf Dauer selbst ab. Es wäre primäre Aufgabe der Medien dagegenzuhalten, wann und wo auch immer sich die Gelegenheit bietet.
Donnerstag, 31.Oktober, 00:08 Uhr
Sabine Herber
Nervig!
Wo leben wir denn? In einem anglophilen Land ?!? Nein, wir leben in einer Gesellschaft, die neben vielen Katholiken auch aus Lutheranern besteht ... Morgen ist einer der wichtigsten Feiertage, der Reformationstag! Auch wenn er als gesetzlicher Feiertag gestrichen wurde, ist er sehr vielen Menschen wichtig. Ich finde es bedenklich, daß das von BR Klassik in keiner Weise berücksichtigt und voll auch auf den Halloween-Unsinn abfährt
Mittwoch, 30.Oktober, 15:17 Uhr
Herbert Gurth
Alle Jahre wieder ...
Morgen ist REFORMATIONSTAG und nicht nur Halloween! Jeder halbwegs gebildete Mensch sollte das wissen. Grauenhaft, daß ein Kultursender so populistische Prioritäten setzt !!!
Mittwoch, 30.Oktober, 15:14 Uhr
Vera Baumeister
Reformationstag !!!
So schön der Artikel von Herrn Atzinger auch ist ... morgen ist primär Reformationstag!!! Diese Tradition prägt unsere Gesellschaft seit 1517. Nicht das kommerzielle Halloween.
Leider ist das bei BR-Klassik seit Jahren Vergessenheit geraten ... traurig!