Wagners Supermann als Werkzeug seiner Umwelt, diesmal mit Revolver statt Schwert: Am Landestheater Coburg kreist die Inszenierung um die Frage, ob der Mensch im Zeitalter der Denkmaschinen überhaupt selbstbestimmt leben kann. Antwort: Eher nicht.
Bildquelle: Landestheater Coburg
Alle reden ja derzeit von Kampfdrohnen, die möglicherweise in der Ukraine kriegsentscheidend sind. Offenbar hat das Richard Wagner vorausgesehen, denn sein Siegfried ist in gewisser Weise auch so eine ferngesteuerte Waffe. Alle Beteiligten jedenfalls wollen ihn ins Ziel lenken, ohne dass er selbst so recht weiß, wie ihm geschieht. "Dein Hirn brütete nicht, was du vollbracht", heißt es über ihn, und Wotan stellt fest: "Wo du nichts weißt, da weißt du dir leicht zu helfen." Brünnhilde versucht den unglaublich naiven Helden mit dem Hinweis aufs Eheleben vorzubereiten: "Was du nicht weißt, weiß ich für dich."
All das kommt einem bei der Inszenierung von Alexander Müller-Ellmau am Landestheater Coburg in den Sinn. Dort schießt Siegfried sogar mit einem Revolver auf ein riesenhaftes Gehirn, als ob er die anonyme Steuerungszentrale, die für ihn alles regelt, ausschalten will, um endlich vom Roboter zum Menschen zu werden. Bekanntlich geht das schief: Siegfried bleibt bis zu seinem Ende total fremdbestimmt und je näher er sich am Ziel glaubt, desto vollkommener seine Selbstzerstörung. Im ersten Akt trägt Wagners Held noch eine Kappe mit Elektroden: Offenbar will ihn der intrigante Nibelungenzwerg Mime damit unter Kontrolle halten. Der Kabelsalat ist beeindruckend, das Resultat bescheiden.
Ob der Mensch überhaupt fähig ist zum freien Willen, darüber streiten sich die Philosophen ja bis heute. Richard Wagner orientierte sich diesbezüglich an Arthur Schopenhauer. Jeder Wille ist grundsätzlich egoistisch und böse, hat der behauptet, deshalb gelte es, ihn zu überwinden und zum selbstlosen Mitleid zu finden. Daran scheitert Siegfried, wie fast alle Menschen. Es gab also durchaus einige gedankliche Anregungen an dieser Inszenierung, die allerdings Stückwerk bleiben musste, denn Patrick Cook in der Titelrolle war krankheitsbedingt an den Proben kaum beteiligt. Auch in der Premiere wurde er vom Kollegen Zoltan Nyári im dritten Akt ersetzt. Allerdings waren beide ständig auf der Bühne, was für nicht wenig Verwirrung sorgte.
Überhaupt erinnerte der Abend streckenweise eher an eine konzertante Produktion, weil auch noch die Rolle des Waldvogels aus Krankheitsgründen doppelt besetzt werden musste. Es ist schon für große Häuser schwer, Wagner-Dramen zuverlässig zu besetzen, geschweige denn für kleine wie Coburg. Wenn da einer ausfällt, droht die Absage: Am Landestheater Niederbayern war im dortigen "Siegfried" am Beginn des zweiten Akts Schluss. Aber sollen diese Häuser dann ganz auf Wagner verzichten? Mit der Schwedin Åsa Jäger stand in Coburg immerhin eine Brünnhilde mit phänomenaler Stimme auf der Bühne, und auch alle anderen waren beeindruckend textverständlich, darunter Martin Trepl als Alberich, Simeon Esper als Mime und Michael Lion als Wotan.
Kostümbildnerin Julia Kaschlinski hatte sich befremdlich hässliche Klamotten für ihre Helden-Riege einfallen lassen, eine Art Recycling-Chic von der Resterampe, als Sinnbild der kaputten Welt. Die Walle-Mähnen der Solisten erinnerten an Moses in den "Zehn Geboten", der glatzköpfige Siegfried allerdings eher an Action-Star Dwayne Johnson in "Fast & Furios", nur ohne Reifen. Dirigent Daniel Carter tastete sich sehr vorsichtig und leider auch langsam durch die Riesen-Partitur: Kein Wunder, bei dem teils ungeprobten Cast.
Das Landestheater Coburg steht übrigens bald ohne Führung da, und das beim anstehenden Umzug vom Stammhaus ins Ausweichquartier, dem Nachbau des Londoner Globe Theaters. Sowohl Intendant Bernhard F. Loges, als auch Geschäftsführer Fritz Frömming zieht es weg aus Oberfranken, Richtung Nordrhein-Westfalen. Aber eines ist klar: Per Drohne lässt sich ein Theater nicht steuern.
Sendung: "Allegro" am 13. März 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Dienstag, 14.März, 09:30 Uhr
Herta Bergmann
Danke, daß Sie einmal etwas aus Coburg bringen! Viel zu selten werden die Theater in der "Provinz" berücksichtigt. Sehr viele Klassikbegeisterte können halt nicht nach München, Salzburg, Bayreuth - vorallem wegen der exobitanten Preise.