Bayreuther Festspiele
24. Juli - 27. August 2024
"Siegfried" als Hoffnungsträger im "Ring", eine industrielle Klangkulisse in Nibelheim und schon wieder Inzest! Diese und weitere Kuriositäten gibt es in unserem Opern-Steckbrief.
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... treibt sein Unwesen mit einem Bären, ersticht einen Drachen, tötet seinen Pflegevater, zieht seinem Opa eins über, nimmt seine Tante zur Frau, verlobt sich mit einer Anderen (angeblich nach Verabreichung eines Vergessenstrunks) und verschachert die Ex-Geliebte an einen zweifelhaften Freund. Dieser anarchistische Rowdy ist wohlgemerkt Wagners Hoffnungsträger im "Ring": Siegfried ist der Zerstörer der alten, auf Macht, Geld und überkommenen Gesetzen ruhenden Weltordnung zugunsten einer neuen, hoffentlich besseren …
Einige Instrumente ließ Wagner extra für sich konstruieren, so etwa das Gralsglockenklavier, die Wagner-Tuba oder die schrille Beckmesser–Harfe. Nebenbei bemerkte er, dass sich auch auf Alltagsgegenständen rhythmischer Lärm erzeugen lässt. Im "Rheingold" forderte er nicht weniger als 18 Ambosse, um die industrielle Klangkulisse in Nibelheim abzubilden. Siegfried schlägt beim Schmieden des Schwertes Nothung nur auf einen Amboss ein, dies aber so heftig, dass er den Block am Ende zerschneidet wie einen Emmentaler. Der Zuhörer atmet auf!
Der Zwerg Mime ist ein übler Kerl, aber ihm wird auch übel mitgespielt: Er ist Alberichs Bruder und ein notorischer Underdog, der sich durch Heimtücke an der Welt zu rächen sucht. Siegfried zieht er nur auf, damit er einst den Drachen Fafner besiege und ihn – Mime – in den Besitz des Rings bringe. Siegfried begegnet ihm mit instinktiver Abneigung, piesackt, beschimpft und tötet ihn schließlich. Theodor W. Adorno hielt Mime für eine "schmähliche Judenkarikatur", doch lässt sich das durch keine Äußerung Wagners belegen.
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Handschriftliche Partitur: aus dem Siegfried-Idyll | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
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Szenische Bühnenbildentwürfe von Josef Hoffmann, Bayeruth 1876 - "Siegfried" - 1. Aufzug: Mimes Höhle ... | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
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2. Aufzug: Am Brünnhildenstein | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
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Ebenso am Brünnhildenstein | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
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Darsteller in "Siegfried" 1876 (Bayreuth) als Farblithopgraphie nach Karl Emil Doepler: Alberich | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
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Siegfried, 1876 | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
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Wotan als Wanderer, 1876 | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
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Mime, 1876 | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
Bevor Siegfried den Drachen tötet, ruht er sich sage und schreibe zwölf Jahre unter einer Linde aus. So lang legte Wagner sein Nibelungenprojekt auf Halde, um sich anderen Plänen zuzuwenden: Er komponierte "Tristan" und "Meistersinger", spannte dem treu ergebenen Dirigenten Hans von Bülow dessen Gattin Cosima aus und wurde zum Günstling des Bayernkönigs. Ausgerechnet dieser befahl 1869 die Fortsetzung des "Rings", mit dem Wagner einst die Welt hatte revolutionieren wollen.
Er spielt nicht Tuba oder Saxophon, sondern selbstverständlich Horn. Damit lockt er Wolf und Bär und versucht, mit den Vögeln zu kommunizieren. Seit jeher mit Wald und Jagd assoziiert, steht das Horn für Siegfrieds Naturverbundenheit. Und das "retoure à la nature" ist letztlich auch eine Hauptbotschaft des "Rings".
Es brennt ein wenig auf der Zunge, macht einen aber zumindest kurzzeitig zum Sprachgenie: Man versteht die Mitteilungen geschwätziger Waldvöglein und kann die Gedanken heimtückischer Zwerge verstehen. Heutzutage tut es vielleicht auch der Google-Übersetzer.
Siegfried musste er heißen. Auch wenn er zeitlebens nicht mit Drachen zu kämpfen hatte, sondern mit den Vorurteilen, die dem künstlerisch ambitionierten Sohn eines großen Komponisten immer begegnen. Wagners einziger Sohn und lang ersehnter Erbe kam am 6. Juni 1869 zur Welt. Der Meister vertonte das freudige Ereignis als Ständchen für Frau Cosima: Das heiter gelöste Siegfried-Idyll passte sicher besser zum beschaulichen "Fidi" Wagner, als zum gewalttätigen Naturburschen der Tetralogie. Trotzdem sind seine wiegenden Klänge auch auf dem Walkürenfelsen zu hören – nach Brünnhildes Erweckung durch Siegfried.
Wieso Wotan ab dem Siegfried als "Wanderer" mit Mantel, Hut und neuem Leitmotiv auftritt? Weil er vorgibt, nicht mehr Weltenlenker und Politboss zu sein, sondern nur noch unbeteiligter Beobachter der Ereignisse. Stimmt natürlich nicht: Er ist immer noch der Strippenzieher, der an den Stellschrauben der Handlung zu drehen versucht. So gibt er Mime den entscheidenden Tipp zur Instandsetzung Nothungs und lässt ein Waldvöglein seinem Enkel nützliche Infos zwitschern.
"Weiche, Wotan, weiche" ist nicht die Antwort auf die Frage, welche Eier sie zum Frühstück bevorzuge. Sondern es ist die Warnung der weisen Wala Erda, den verfluchten Ring zu meiden. Gleichzeitig prophezeite die allwissende Göttin bereits im "Rheingold" das Ende der Götter, setzte damit Wotans aktionistischen Weltrettungsplan erst in Gang, und behielt trotz allem Recht.
Die Wälsungen haben offenbar eine inzestuöse Veranlagung. Aufgrund von Wotans außerehelichem Kinderreichtum sind die verwandtschaftlichen Beziehungen etwas verwickelt, doch letztendlich besteht kein Zweifel daran, dass Siegfried auf dem Walkürenfelsen seine – durch 20-jährigen Schlaf außergewöhnlich gut konservierte – Tante freit. „Leuchtender Liebe“ tut das keinen Abbruch …
Sendung: "con passione" am 15. Juni ab 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK