"Le nozze di Figaro" an der Wiener Staatsoper, inszeniert von Barrie Kosky und mit Philippe Jordan am Pult: Retro-Chic im Rokokoschlösschen. Dazu eine Susanna, die aus dem Orchestergraben synchronisiert werden musste.
Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Kritik
"Le nozze di Figaro" an der Wiener Staatsoper
Mit der Axt in der Hand kommt der eifersüchtige Graf ins Schlafzimmer der Gräfin zurück, um das Kabinett aufzubrechen. Lauernd langsam sind seine Bewegungen, bei unterdrücktem Zorn ist er sich seines Sieges gewiss. Als die Gräfin die Flucht nach vorne antritt und zugibt, Cherubino sei darin versteckt, will er sie doch tatsächlich mit Sex "bestrafen"! Sie geht zu Boden, er bedrängt sie, knöpft sich die Hose auf … Da kommt endlich Susanna aus dem Kabinett und kämmt aufreizend beiläufig eine Perücke im Menuettrhythmus – und der Hausherr ist düpiert.
So nahe an eine Vergewaltigung in der Ehe führt Barrie Kosky den Grafen in Mozarts "Le nozze di Figaro" heran: Erst im letzten, gerade noch komödientauglichen Moment lässt er in seiner Inszenierung ab vom schändlichen Vorhaben. Der Graf dürfe kein wirklicher Jeffrey Epstein oder Harvey Weinstein sein, merkt Kosky auch im Programmheft an. Es war aber verdammt knapp.
Die zweite Premiere eines Mozart-Da-Ponte-Zyklus an der Wiener Staatsoper, mit Philippe Jordan am Pult und mit Barrie Kosky als Regisseur: Dieser "Figaro" ist der dritte in Koskys Biografie. Diese neue Version reiht sich bei aller Spiellaune und einem massiven dunklen Schatten wie dem eingangs geschilderten insgesamt erstaunlich brav in die ältere Inszenierungshistorie des Stückes ein, das vielen als die perfekte Opera buffa gilt, als Menschheitskomödie ersten Ranges.
Sechs mal war er nominiert, doch bei den Oscars hatte er keinen Erfolg: "Tár". Dabei ist das Werk von Todd Field ein echter Ausnahmefilm mit einer Ausnahmeschauspielerin. Hier geht's zu unserer Rezension.
Drei Akte lang entsteht hier der Eindruck, es tummelten sich neu eingekleidete Protagonisten und Protagonistinnen (Victoria Behrs Kostüme feiern eine Art bunten Seventies-Retro-Chic) in den altbekannt-pittoresken Interieurs eines realistischen Rokokoschlösschens. Allesamt hätten diese auch aus einer Vorgängerproduktion übriggeblieben sein können (Bühne: Rufus Didwiszus). Erst im letzten Akt folgt ein überraschender Bruch: Der Garten wird abstrahiert zu einer schiefen Ebene mit dunkelgrüner Pflanzenbemalung – eine leere Spielfläche, alle müssen für ihre Auf- und Abtritte durch kleine Falltüren im Boden klettern. Der Garten als demokratischer (Liebes-)Ort: eine Utopie voller Fallstricke? Der Umschlag ins Symbolische kommt etwas überraschend.
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Dieser verhindert jedoch nicht, dass über weite Strecken mit Lust und Esprit Komödie gespielt wird – einige klamaukige Details und Übertreibungen abgezogen. Das Ensemble ist durchwegs attraktiv und wirkt schon durch seine jugendliche Frische sympathisch. Dennoch hätte man einigen Stimmen gerne noch ein paar Jährchen Nachreifen gewünscht, bevor sie sich in einer Mozartpremiere an einem großen Haus bewähren müssen.
Für den lockeren, aber um Nuancen noch zu leichtgewichtigen Peter Kellner als Figaro vor allem, ein bisschen auch für den stimmlich noblen Grafen von Andrè Schuen gilt, dass sie etwa im Theater an der Wien noch besser zur Geltung kämen. Ying Fang hatte das Pech, dass sie ihr Hausdebüt nur als Darstellerin der Susanna, nicht aber als Sängerin feiern konnte: Wegen einer akuten Stimmbandblutung musste sie schweigen – und wurde aus dem Graben gleichsam live synchronisiert. Diese Aufgabe übernahm Maria Nazarova, mit manchmal allzu zart eigesetzter, aber tragfähig-tadelloser Silberstimme. Hanna-Elisabeth Müller ist hingegen eine eher passable als in ihrem Leiden stimmlich glänzende Gräfin; Patricia Nolz ein dezent genderfluider junger Künstler mit glaubwürdig androgynem Timbre.
Am Pult steht Musikdirektor Philippe Jordan und begleitet die Rezitative am Hammerklavier selbst – in jeder Sekunde hellwach, immer in direktem Kontakt mit der Bühne. Orchestral hat er ein scharf geschnittenes Profil erarbeitet: Kaum ein Takt vergeht, in dem er nicht etwas einfordert, in dem man nicht seinen Willen spürt, seine Freude an einer bedeutungsvollen Bratschenstelle etwa, einem Kichern im Holz, an markigen Akzenten von Pauken und Blech. Die Philharmoniker folgen ihm dabei professionell. Ein inniger Mozart der großen Bögen, einer, der wie von selbst alle Fragenzeichen hinter sich lässt: Der klingt jedoch anders.
Sendung: "Allegro" am 13. März 2023 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Sonntag, 19.März, 09:46 Uhr
Marina Weiss
Figaros Hochzeit aus Wien
Mit Abstand am besten hat mir der Sänger des Grafen gefallen. Leider musste er dem Zeitgeist entsprechend teil unwürdig wie ein Hund kriechen. Für mich nicht nur unwürdig sondern auch unstimmig. Der Graf wird genug durch die Handlung und Mozarts Musik beschrieben - eine Mischung aus Bewunderung und Kritik. Aber nein, man muss ja Mozart und das Libretto "verbessern" - wie das die eitlen Regisseure heute so tun (aber nicht überall wie z.B. in der Met gerade einen grandiosen Lohengrin erlebt - modern aber Wagner kongenial gerecht geworden, so geht es auch) Das Susannas Stimme von der Seite eingesungen werden musste, gefiel mir überhaupt nicht - man hätte in Wien bestimmt auch eine andere Sängerin finden können, zumal diese Darstellerin für mich auch als Darstellerin für diese Rolle nicht so gut passte. Gesamturteil - knappes Gut (wegen dem tollen Grafen) - aber nicht sehr gut. Figaro konnte hier dem Grafen nicht das Wasser reichen. Zu blass.
Sonntag, 12.März, 15:08 Uhr
Der Erfreute
Figaro Kritik
Na also, es geht doch. Endlich mal wieder eine Opernkritik bei Euch, die sich nicht darin erschöpft, den Opernführer nachzuerzähen und die Bühne zu beschreiben. Und vor allem eine, die auch kritisch etwas zur musikalischen Seite zu sagen hat und das einordnen kann. Bitte unbedingt mehr von dieser Qualität.