Puccinis letzte Oper beginnt mit einer Hinrichtung und endet mit Fragezeichen: Regisseur André Bücker verzichtet dabei auf jedwede China-Folklore und zeigt die Fabel von der unnahbaren, männermordenden Prinzessin als Albtraum eines Verehrers. Die konzentrierten Bilder begeisterten das Freilicht-Premierenpublikum.
Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr
Das passiert wirklich nur im Freilichttheater, dass der Himmel genau an der richtigen Stelle ein paar Tränen vergießt. Pünktlich zum falschen, schwer vermittelbaren "Happy End" in Puccinis "Turandot" fielen ein paar Tropfen aus den nächtlichen Wolken über dem Roten Tor in Augsburg, als ob der 1924 verstorbene Komponist von da oben höchst persönlich eingreifen wollte. Puccini starb über seinem letzten Werk, hinterließ es als Fragment, und wie er es beendet hätte, tragisch oder versöhnlich, das ist bis heute umstritten. Ein bombastisches Finale wollte Puccini jedenfalls nicht. Wie auch immer: In Augsburg war in der Inszenierung von André Bücker einmal mehr die von Franco Alfano fertigkomponierte, sehr umstrittene Fassung zu erleben, also die mit dem bittersüßen, orchestral überfrachteten Ende, mit dem emotionale Überwältigung angestrebt wird.
Turandot, die eiskalte, von den Männern traumatisierte Prinzessin, ersticht ihren tatarischen Verehrer Calaf trotz ihrer Seelenqualen doch nicht, sondern fügt sich in ihr Schicksal als königlicher Gattin an seiner Seite: Von Glück kann keine Rede sein, die beiden werden nebeneinanderher regieren, bis ihre Tage abgelaufen sind. Ein düsterer Märchenstoff und eine der wenigen Spektakelopern, die wie gemacht sind für Freilichtbühnen, denn hier haben die Chöre fast durchgehend zu tun, fordert das chinesische Hofzeremoniell zwingend eine opulente Ausstattung, die Karl Spanhak in Augsburg auch beisteuert.
Szene aus "Turandot" auf der Freiluftbühne am Roten Tor in Augsburg | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Allerdings wird optisch auf jegliche China-Folklore verzichtet, mit guten Gründen: Vor der "Turandot" wird anderswo in Programmheften inzwischen gewarnt, etwa an der New Yorker Metropolitan Opera, weil sie die Gefühle asiatischstämmiger Menschen verletzen könnte. Das kaiserliche Peking von Puccini könnte je nach Bebilderung als unzulässige "kulturelle Aneignung" eingestuft werden, womit ein kolonialistischer, herablassender Blick aus europäischer Perspektive gemeint ist. André Bücker ist diesbezüglich allerdings nicht sonderlich ängstlich: "Das ist ein künstlerisch-kreativer Prozess gewesen, wo wir gesagt haben, wir wollen das jetzt nicht in ein reales oder historisches Peking verlegen, das macht keinen Sinn, sondern eher in eine Fantasiewelt, eine albtraumartige Welt. Fast wie ein Albtraum von Calaf, in den er selbst hineinstolpert. Deshalb haben wir die Chinoiserien vermieden. Ich halte sowieso nicht viel von Triggerwarnungen für alles und jedes. Ernsthaft: Das Leben ist lebensgefährlich, muss man sagen, und wenn man alle vor allem beschützen will, dann ist das ein Unterfangen, das nicht gelingen kann und das wird dann irgendwann absurd und unsinnig."
Besorgter war Bücker, was die Opernleidenschaft der Augsburger angeht: Am Roten Tor gab es in den vergangenen Jahren nur Musicals. Insofern ist die "Turandot" ein Kassen-Wagnis, das jedoch gelungen ist, gemessen am Beifall der ausverkauften Premiere. Die Inszenierung sorgte für große, aber stets konzentrierte Bilder, in denen die Aufmerksamkeit jeweils präzise auf die jeweilige Hauptperson gelenkt wurde, was bei diesen Dimensionen nicht ganz einfach ist. Hier und da wurde etwas allzu häufig und gravitätisch über Treppen geschritten, aber das fiel nicht weiter ins Gewicht.
Xavier Moreno aus Calaf, Sally du Randt als Turandot und die Domsingknaben | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Dirigent Domonkos Héja setzte klug die Höhepunkte, statt durchgehend hohles Pathos zu verbreiten – eine Gefahr, die bei der "Turandot" auf der Hand liegt. Intime Szenen gibt es wenige, aber gerade die müssen musikalisch fein gearbeitet werden, was in diesem Fall zweifellos gelang. Der spanische Tenor Xavier Moreno als Calaf begeisterte mit seiner volltönenden, warmen, unangestrengten Stimme, auch, wenn er rein schauspielerisch vergleichsweise kühl blieb. Jihyun Cecilia Lee als gepeinigter Liu flogen alle Herzen zu, weil sie Mut zu leisen Tönen und Gesten hatte. Sally du Randt in der undankbaren Titelrolle blieb als Allegorie der Unnahbarkeit auf sehr statische Auftritte beschränkt und ließ wenig innere Zerrissenheit erkennen. Insgesamt dennoch ein absolut überzeugender Puccini-Abend für Operngenießer, die plakative Breitwand-Tableaus nicht scheuen. Das darf ruhig etwas altmodisch sein, solange es nicht langweilt und zu Herzen geht.
Sendung: "Allegro" am 17. Juni 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Mittwoch, 10.Juli, 22:26 Uhr
Magdalena Schwarze
Turandot
Eigentlich war fast alles perfekt.Die Musik war leider manchmal , wenn es besonders laute Gesänge der Chöre waren, übersteuert und tat in den Ohren weh.Gern würde ich den irritirenden Grund wissen , warum der Hauptdarsteller einen Herrenanzug trug ?!Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen. Ansonsten freue ich mich über eine neue Aufführung.
Samstag, 22.Juni, 16:37 Uhr
Walter Lange
Turandot
Ergänzend zu meinem Kommentar möchte ich noch erwähnen, daß es sich bei dem Sänger der Arie des Kalafs um den Tenor Bruce Sledge handelt. In vorher nicht gekannter Vollendung und Harmonie bringt er die Arie in dem Film "Der Anschlag", mit Ben Affleck in der Hauptrolle zu Gehör.
Montag, 17.Juni, 10:42 Uhr
Fred Keller
Sally du Randt in der undankbaren Titelrolle
Gerne wüsste ich wieso die Titelrolle undankbar ist? Alle großen Soprane wollten sie singen, sangen sie! Ich denke keine von den Damen empfand die Rolle als undankbar?
Sonntag, 16.Juni, 12:02 Uhr
Kerstin Frau Talarico
Premiere Turandot
Ein gelungener Abend! Wenn auch die Kostüme sehr müstisch und Dunkel waren . Stimmlich ein Genuss !