Gioachino Rossinis "Il Viaggio a Reims" gilt als eines der erheiterndsten und verrücktesten Unterhaltungsstücke, die je ein Opernkomponist verfasst hat – das meint zumindest ein Rossini-Biograph. Jetzt hat es am Staatstheater Augsburg Premiere gefeiert und auch dort durchaus Comedy-Potential.
Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. In Rossinis "Il Viaggio a Reims" reist aber niemand. Die bunte Schar von Adligen, die sich im Hotel zur Goldenen Lilie versammelt, um gemeinsam zur Krönung von Karl dem Zehnten nach Reims zu fahren, bleibt im Hotel hängen. Trotzdem gibt es einiges zu erzählen, denn die verhinderte Reisegesellschaft nutzt das Warten auf die Abreise für mehr oder weniger geglückte amouröse Verwicklungen und das Ausbreiten von Eitelkeiten und Exzentritäten. Was man halt so tut, wenn man mehr Geld und Zeit als Verstand hat.
Die Inszenierung von Stefania Bonfadelli – früher eine der gefragtesten Sopranistinnen Europas, jetzt Regisseurin – tauscht die Hotellobby gegen den Tennisplatz, steckt die adeligen Müßiggänger in Tennisanzüge und macht aus ihnen Sportler, die sich beim Warten auf die Abfahrt gegenseitig zu übertrumpfen versuchen. Eine Idee, die bis ins Detail durchgängig funktioniert und bisweilen unglaublich komische Momente produziert. Etwa, wenn die stimmlich herausragende Jihyun Cecilia Lee in der Rolle der Improvisationskünstlerin Corinna ihrer Harfe über Liebe und Freude vorsingt. Das tut sie hinter der Bühne, während das Publikum ein Zeitlupen-Tennisduell zwischen Graf Libenskof und Don Alvaro zu sehen bekommt. Die werden von Claudio Zazzaro und László Papp gespielt und äußerst überzeugend gesungen.
Das Duett von Marchesa Melibea (Ekaterina Aleksandrova) und Conte di Libenskof (Claudio Zazzaro) wird selten schöner und lustiger gezeigt. | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Überhaupt wimmelt es in der Inszenierung von kleinen, komischen Einfällen, die hochpräzise und mit feinem komödiantischen Gefühl vom bis in die Nebenrollen musikalisch hochkarätigen Ensemble umgesetzt werden. Das Damen-Tennis-Ballett oder auch den großartigen Wiard Witholt als vertrottelten Lord Sidney wird man so schnell nicht vergessen. Ebenso wenig die völlig überspannte und wegen eines kaputten Tennisschlägers in Ohnmacht fallende Contessa di Folleville, deren atemberaubende Koloraturen von Olena Sloia mit nervöser, ja hysterischer Energie bravourös gemeistert werden. Und auch nicht die 13. Szene, in der Cavalier Belfiore, der offenbar noch nie etwas von sexuellem Konsens gehört hat, die zunehmend genervte Corinna umgarnt. Temporeich und genau musiziert von Jihyun Cecilia Lee und Tenor Niklas Mayer, der die Rolle des Cavalier mit dem schmierigen Charme eines aus einer Comedy-Serie entsprungenen Tennislehrers interpretiert. Einer der Höhepunkte dieser brillanten Inszenierung. Auf gleichem musikalischem und spielerischem Niveau auch das Duett zwischen Ekaterina Aleksandrova als Melibea und Conte di Libenskof. Schöner und lustiger wurden amouröse Annährungsprobleme eines gemischten Doppels selten auf einer Opernbühne gezeigt. Ganz großes Tennis.
Auch die Augsburger Philharmoniker überzeugen an diesem Opernabend. Unter der Leitung von Ivan Demidov agiert das Orchester – um im Sportjargon zu bleiben – mit intelligenter Spielfreude, präzisem Timing und Finesse. Allerdings übertönt der Klangapparat bisweilen die Darsteller. Das mag aber auch an den akustischen Gegebenheiten im Opern-Ausweichquartier liegen – bis das Staatsoperngebäude saniert ist, kommt das Augsburger Musiktheater in einer alten Industriehalle unter.
An einer Stelle singt das Ensemble davon, dass der Himmel die undurchsichtigen Wolken auflösen wolle und alle Menschen glücklich werden. Solche Versprechungen kann natürlich nur eine Oper machen. Die Augsburger Inszenierung jedenfalls löst diese Verheißung für zweieinhalb Stunden voll mit intelligenter, virtuoser Unterhaltung ein – ob man nun Tennisfan ist oder nicht.
Sendung: "Allegro" am 5. Dezember 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Montag, 05.Dezember, 15:11 Uhr
Sabine Wegner
Was denken sich die Theatermacher denn ...
Nachdem ich diese zauberhafte Oper mit Abbado noch in Salzburg erleben durfte, wollte ich gerne diese Oper wiederhören. Aber was für ein Schock! Eine grauenhafte Bühne mit schlechten Sängern, die diesem Stück in keiner Weise gewachsen waren.
Und da wundern sich die Theater (wie gestern in Arte-Reportage zu sehen war), warum keiner mehr kommt ... mich wundert das nach diesem Theatererlebnis überhaupt nicht!