Wagners "utopische" Oper, die von seinen Erlebnissen in der Revolution von 1848 geprägt ist, lässt an der Bayerischen Staatsoper den heißen Atem und Zukunftsbegeisterung vermissen. Stattdessen setzt Regisseur Kornél Mundruczó auf einen radikalen Neuanfang von außen – durch einen Meteoriteneinschlag.
Bildquelle: Wilfried Hösl
Klar konnten sich die Deutschen eine bessere Welt vorstellen, auch schon zu Richard Wagners Zeiten, aber umstellen wollten sie sich halt nicht. Jedenfalls scheiterte die Revolution von 1848, an der Wagner direkt beteiligt war, an mangelndem Elan, und auch danach wurden Utopien hierzulande bekanntlich regelmäßig zerredet, bis auf eine, und die ist in schlechtester Erinnerung. Könnte durchaus sein, dass sich Revolutionen inzwischen erledigt haben, weil sich die Welt sowieso anderweitig orientiert, vom Menschen weg. Jedenfalls lässt der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó am Ende seiner "Lohengrin"-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper einen Meteoriten einschlagen.
Bühnenbildnerin Monika Pormale entwirft für den "Lohengrin" eine sterile, weiße Kulisse. | Bildquelle: Wilfried Hösl Das macht zweifellos einen grundsätzlichen Neuanfang möglich, wie nach dem Untergang der Dinosaurier. Zuvor hatten sich die Brabanter am Ufer der Schelde bei Antwerpen, wo Wagner seine Romantische Oper spielen lässt, ein paar Stunden lang im Schilf die Beine vertreten, ohne dabei nennenswert voranzukommen. Ungeschickt üben sie Erlösungsgesten, heben mal den einen, mal den anderen Arm, aber möglichst nicht so, dass es verfänglich aussieht. Lohengrin ist ein Heilsbringer wider Willen, einer, der sich halt beknien lässt, aber erstaunlich antriebslos und kühl durch die sterile, weiße Kulisse von Bühnenbildnerin Monika Pormale schlurft. Dass er überhaupt irgendjemanden liebt, erscheint fraglich – nicht mal sich selbst.
Und Elsa, die Frau, die er in diesem Fall vor der Steinigung bewahrt, gibt sich lieber den weichen Drogen hin als ihren Männerfantasien. Die einzigen, die in dieser politischen und seelischen Ödnis Haltung bewahren, sind die beiden Skeptiker Ortrud und Telramund, die erstens gleichberechtigt zusammenhalten und zweitens an nichts glauben, also leidlich modern denken und handeln. Ja, ein Abgesang auf die Utopie als solche, manchmal unbeholfen, manchmal plausibel, insgesamt recht unentschlossen und nicht besonders aufregend. Vielleicht mal abgesehen von dem witzigen Einfall der Kostümbildnerin Anna Axer Fijalkowska, die Schlaghosen der sechziger Jahre zu zitieren, die ja ebenso rebellisch rüberkommen wie hautenge Leggings, die auf landläufige Kleidsamkeit keine Rücksicht nehmen. Die völlige Farblosigkeit der beige-grauen Outfits erinnerte manchen Zuschauer allerdings an Ayurveda-Farmen.
Von glamourös bis unentschlossen: Hier erfahren Sie, wie unterschiedlich der Münchner Lohengrin bei der Kritik ankam.
Grundsätzlich neu deuten lässt sich der viel gespielte "Lohengrin" vermutlich sowieso nicht. Der Applaus war für die Regie höflich, bei wenigen Protesten. Der Titelheld war als Sektenführer oder Diktator schon diabolischer zu erleben, auch märchenhafter und poetischer, etwa zuletzt in Bayreuth. Hier ist er mehr Rätsel als Ausrufezeichen, aber das war König Ludwig II. ja auch.
Musikalisch fehlt dem Lohengrin in München ein wenig die Emotion. Stattdessen wird es rational und durchsichtig. | Bildquelle: Wilfried Hösl Musikalisch fehlte ebenfalls die Emotion und der Wille zur Interpretation, was Dirigent François-Xavier Roth ein paar Buhrufe einbrachte, während er ansonsten gefeiert wurde. Sein Problem: Er buchstabiert gern die Noten, er liebt es durchsichtig und rational und bleibt damit etwas an der Oberfläche. Bei den "Trojanern" von Hector Berlioz in Köln landete Roth mit seinem kühlen Temperament einen Riesenerfolg, doch verglichen damit erfordert der etwas nebulöse Romantiker Wagner mehr Mut zum Schwärmen, nicht unbedingt zum Pathos, sondern zur Naivität, die die Romantiker als beglückend empfanden. Die liegt dem Verstandesmenschen Roth aber offenbar eher fern. Anfangs wirkte das Bayerische Staatsorchester etwas nervös, im weiteren Verlauf sehr kontrolliert bis vorsichtig, aber keinesfalls im künstlerischen Sinne revolutionär.
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Auffällig war, wie wenig Kornél Mundruczó mit dem enorm beschäftigten Chor anfangen konnte: Er war geschickt aufgestellt wie zum Oratorium und durfte ab und zu die Seiten wechseln, ansonsten blieb er szenisch leider nur Staffage. Unter den Sängern wurden vor allem Klaus Florian Vogt in der Titelpartie und Johanni van Oostrum als Elsa bejubelt. Vogt ist ja quasi der Lohengrin vom Dienst und wird dabei tendenziell immer cooler und lässiger, van Oostrum war stimmlich wie schauspielerisch eine ungewöhnlich toughe und wenig verträumte Brabanterin in schwarzen Jeans. Anja Kampe als handfeste Ortrud keifte recht stählern, war jedoch schauspielerisch ungemein präsent. Johan Reuter als Telramund fehlte stimmlich die abgründige Schwärze für diese düstere Partie, dagegen gab es für Mika Kares als verblüffend intellektuellem und tollpatschigem König Heinrich zurecht große Begeisterung. Und was bleibt von Wagners Utopie? Ganz viel Weltraumschrott!
Sendung: "Allegro" am 5. Dezember 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (12)
Mittwoch, 07.Dezember, 10:40 Uhr
Gerald Bast
Lohengrin
Die Solisten fand ich gut. Insgesamt musikalisch okay. Auch das Bühnenbild wirkte nicht überfrachtet. Lediglich die verschiedenen Lichtwechsel waren nicht immer nachvollziehbar. Die Kostüme waren aber dann schon eher von der Art "Schulabschlußtheater" Und wenn man nicht weis, was der Chor machen soll, lässt man ihn von rechts nach links und umgekehrt laufen. Dass die Frageverbotsarie vom Chor dann im Stile der deutschen Fußball- Nationalmannschaft unterstützt wurde (oder sollte das ein Zeichen gegen die FIFA sein?) entbehrte dann nicht eine gewissen Komik. Warum man aber den König, Lohengrin und seine Anhänger in die Nähe der Nazis rücken muss, was anderes waren die ständig gehobenen Arme ja nicht, finde ich dann ärgerlich. Muss es so dumpf sein, wenn man Gut und Böse unbedingt verdrehen will? Die Pausengespräche fand ich langatmig oder teilweise seltsam. Ich hatte das Gefühl, dass Schuen höflich bleiben wollte, ihm aber manche Fragen unangenehm waren. Das macht Florian Mayer besser
Dienstag, 06.Dezember, 15:08 Uhr
Alexander Störzel
"Träume aus Stein"
Die Inszenierung ist schon schwer in Ordnung. Einverstanden: Die Kostüme wirken anfangs sehr befremdlich. König Heinrich kommt entweder vom Joggen oder von der Uni. Dazu gibt es viel Yoga, wenn dieses Wort nicht schon zu hoch gegriffen ist.
Aber die Gestaltung von Elsa und Ortrud, das Finale, mit einem Gottfried in einer hoffnungslosen Welt zeigen, dass sich der Regisseur und sein Team viele Gedanken machte.
Die "Unterbeschäftigung" des Chores hat eher die Musik gestützt.
Musikalisch fasznierten mich vor allem Ortrund, der Heerufer, König Heinrich und Elsa.
Klaus-Florian Vogt war schon gut, ist aber überhaupt nicht mein persönlicher Geschmack, ich habe einfach immer Paul Frey im Ohr.
Im Großen und Ganzen eine gelungene Produktion. Vielleicht die Pausen nicht zu sehr in die Länge ziehen, "Lohengrin" hat ja keine "Ring"-Dimensionen.
Dienstag, 06.Dezember, 11:09 Uhr
Gufo
Lohengrin
Das Regietheater scheint wiedereinmal fröhliche Urständ gefeiert zu haben. Doch im Gegensatz zum Bayreuther Lohengrin, wo Katharina Wagner Florian Vogt bat, das Wort "Führer" durch "Schützer" zu ersetzen, scheint das Libretto unangetastet geblieben zu sein.Auch Kleinigkeiten, die wenn man Herrn Thielemann folgt, gar keine sind, können Grund zur Freude sein.
Dienstag, 06.Dezember, 10:46 Uhr
Roman Emilius
Münchner Lohengrin
Für alle Wagnerianer, die vom Münchner Lohengrin genervt sind: am 14.5.2023 ist im Opernhaus Nürnberg die Wiederaufnahme des Lohengrin in der sehenswerten Inszenierung von David Hermann. Am Pult die temperamentgeladene GMD Joana Mallwitz. Sehens- und hörenswert!
Montag, 05.Dezember, 18:04 Uhr
kaduk
lohengrin
eine konzerntante aufführung wäre nur unwesentlich monotoner gewesen,
aber nicht so "kostbar" für den (scheinbar) knappen etat der staatsoper
Montag, 05.Dezember, 16:47 Uhr
Stephan
Zustimmung
Sehr geehrter Herr Jungblut,
ich saß ebenfalls bei der Premiere im Publikum im 2. Rang links. Ich kann Ihrem Artikel nur zustimmen, der deckt sich mit dem, was wir wahrgenommen haben. Es standen zu viele Leute auf der Bühne, die teils unterbeschäftigt wirkten (auch die Hauptfiguren). Für mich ging das Regiekonzept, so es eines gab, nicht auf. Was ein Kontrast zum Lohengrin aus Bayreuth dieses Jahr.
Vielen Dank für Ihren Mut.
Stephan
Montag, 05.Dezember, 15:04 Uhr
Bertram Weigele
Ein Trauerspiel!
Was die Staatsoper da veranstaltet, ist einfach nur ein Trauerspiel! Die Inszenierungen haben überhaupt nichts mehr mit den Werken der Komponisten zu tun, die Sänger sind bestens Mittelmaß.
Ärgerlich ist, daß der Steuerzahler so einen Mist subventionieren muss!!!
Sonntag, 04.Dezember, 22:36 Uhr
Günther Königsdorf
Lohengrin
Sehr geehrter Herr Jungblut,
Ihre Kritik teile ich in keinem Punkt. Sie müssen eine andere Aufführung meinen. Die, die ich am Sonntag im Livestream erlebt habe war einfach nur sensationell. Jeder Solist und jede Solistin war mit Herzblut und Können beteiligt. Die Auswahl der Sänger und Sängerinnen erstklassig. Der Chor war herausragend. Das Bühnenbild ein Traum.
Die Umsetzung des Themas gewagt aber gelungen. Wagner hätte seine Freude daran.
Kritik muss ich aber trotzdem anbringen und zwar deutlich. Die BR-Beiträge von der großen Probenbühne waren einfach nur zum Wegschalten.
Mit freundlichen Grüßen
Günther Königsdorf.
Sonntag, 04.Dezember, 22:25 Uhr
Patrick
Enttäuschend, publikumsbeleidigend
Ich durfte gestern der Premiere beiwohnen. Die Inszenierung war enttäuschend, zeitraubend, angesichts des Preises der Karten eigentlich eine Frechheit. Welch sinnlose Provokation, was für ein überspanntes Gebaren des Dargebotenen. Was denken sich die Macher nur dabei?
Sonntag, 04.Dezember, 15:51 Uhr
Gundi Pelzner
Lohengrin 3.12.22
Wagner dreht sich im Grabe rum, altgediente Wagnerianer weinen.6
Sonntag, 04.Dezember, 10:48 Uhr
Susanne Grobholz
Heerrufer
Lieber Herr Jungblut,
Nicht zu vergessen unter den Solisten ist der fantastische André Schuen, der einen tollen Heerrufer gab!
Er sollte auf keinen Fall unerwähnt bleiben…
Viele Grüsse, S. Grobholz
Sonntag, 04.Dezember, 10:44 Uhr
Dieter Linde
Lohengrin und die"modernen" Inszenierungen
Es gibt schöne Neu-Inszenierungen. Z.B. Der Ring (Met 2010-2012), Wilhelm Tell (Erl vor einigen Jahren Gustav Kuhn, Lohengrin (vor einigen Jahren Wiener Staatsoper), Don Carlo (2021 Semper Oper), seit Jahren Opernfestival Gut Immling Ludwig Baumann. Diese sind leider viel zu selten. Stattdessen müssen heute Inszenierungen "politisch" sein. Hier stellt sich die Frage, ob der Komponist zu seiner Zeit wusste, was in der heutigen Zeit "politisch" ist. Die Bgründungen die man hört, sind oft ein Ausdruck weltfremder Gehirnakrobatik und unglaublicher Naivität. Der Hinweis, dass der Münchner Lohengrin deshalb "politisch" ist, weil Wagner an der Revolution teilgenommen hatte, ist doch sehr platt.
Meiner Meinung nach setzen diejenigen, die solche Inszenierungen in die Welt setzen, ihr eigenes Ego über das Werk. Sicher spielt auch ein großes Maß an Selbstüberschätzung und Ignoranz mit. Das Werk dient dem Ego und nicht umgekehrt, wie es eigentlich sein müsste.