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Kritik – Saisoneröffnung Mailänder Scala Weihnachten auf dem Schlachtfeld

Die Mailänder Scala eröffnet ihre Saison mit "La forza del destino" von Giuseppe Verdi. Im Zentrum Anna Netrebko, bei der sich unter den begeisterten Jubel allerdings auch einige Buhs mischen.

Saisoneröffnung 2024 mit "La Forza del Destino" | Bildquelle: Teatro alla scala

Bildquelle: Teatro alla scala

Der 7. Dezember gilt im italienischen Kulturjahr als das Ereignis schlechthin. Ein Schaulaufen der Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur, die am glamourösen Eröffnungsabend der Mailänder Scala aber nicht nur sich selbst feiert. Dies wird schnell klar, wenn sich nach vier musikalisch intensiven Stunden der Vorhang über "La forza del destino" schließt und aus der Galerie als erstes ein begeistertes "Viva Verdi" zu vernehmen ist. Denn der Fokus liegt an Italiens erstem Opernhaus auch diesmal wieder ganz auf der Musik. Selbst wenn Regisseur Leo Muscato mit einem durchaus schlüssigen Konzept antritt, das die Sinnlosigkeit des Krieges anprangert. Das Stück präsentiert sich bei ihm als sinnlose Spirale der Gewalt, die auch nach Jahren persönlicher und nationaler Konflikte nicht durchbrochen werden kann und schließlich in der Tragödie endet.

Starke Bilder, magere Regie

Die von Federica Parolini gestaltete Drehbühnen-Konstruktion und die stilvollen Kostüme von Silvia Aymonino verorten das Geschehen zunächst noch in der Entstehungszeit der Oper, tasten sich dann aber von Akt zu Akt immer weiter in unsere Zeit. Während im ersten Teil noch das leuchtende Grün der Bäume und moosbewachsene Klostermauern dominieren, sind davon bis zum Schlussbild nur noch die verkohlten Überreste übrig. Das sorgt immer wieder für starke Bilder. Etwa die Szenen auf dem Schlachtfeld, die an die weihnachtliche Waffenruhe von 1914 erinnern. Oder, wenn Anna Netrebko zum Friedensengel im Gegenlicht stilisiert mit mahnend erhobenen Händen auf einem Trümmerberg um Frieden bittet. In solchen Momenten blitzt auf, was an diesem Abend hätte sein können. Doch bei der Personenführung läuft es – wie schon im Mailänder "Don Carlo" vom Vorjahr – leider auch diesmal wieder darauf hinaus, dass die Sängerinnen und Sänger sich meist schnell den akustisch günstigsten Platz vorne an der Rampe suchen und frontal zum Publikum klischeehafte Operngesten pflegen.

Zwischen Kunst und Politik: Buhs für Netrebko

Anna Netrebko Premiere at La Scala Theatre -La forza del destino- by Giuseppe Verdi Royal Loge, National Anthem and Final Applause Milan, Italy 7th December 2024 ©SGPItalia id 132287_019 Not Exclusive | Bildquelle: picture alliance / Sipa USA | SGP Anna Netrebko erntet Buhs und Applaus an der Scala. | Bildquelle: picture alliance / Sipa USA | SGP Unschön sind die Buhrufe dennoch, mit denen sich neben der Regie vor allem Anna Netrebko konfrontiert sieht. Weil relativ schnell deutlich wird, dass hier keineswegs die Sängerin, sondern vor allem die in den sozialen Medien kontrovers diskutierte Person Anna Netrebko unter Beschuss genommen wird. Denn obwohl es bereits nach ihrer ersten Arie zu einem kurzen Wortgefecht im Saal kommt, bereitet ihr die Mehrheit des Publikums schon im Laufe der Vorstellung immer wieder minutenlange Ovationen. Und dies mit Recht.

Die Leonora liegt Netrebko gerade

Die Partie der Leonora liegt Netrebko im aktuellen Karrierestadium gut in der Kehle. Obwohl sie die Sache überwiegend von der dramatischen Seite angeht, gibt es immer wieder auch innige Momente, in denen sie ihren eingedunkelten Sopran sanft zurücknimmt und an die Anfänge im lyrischen Fach erinnert. Solche Töne dürfte auch Tenor Brian Jagde gerne noch öfter entdecken. Er hatte bereits während der Probenzeit den ursprünglich angekündigten Jonas Kaufmann als Alvaro ersetzt und stürzte sich mit kraftvollen Spitzentönen ins Duell mit Ludovic Tézier – ein weiterer Liebling des Mailänder Premierenpublikums, der seinen wuchtigen Bariton selbstbewusst ausstellt, dabei aber auch die inneren Konflikte des rachsüchtigen Carlo di Vargas glaubwürdig zu vermitteln weiß. Abgerundet wird das Ensemble schließlich durch Vasilisa Berzhanskayas darstellerisch präsente Preziosilla, sowie Marco Flippo Romano, der als Fra Melitone zumindest kurz ein paar heitere Momente beisteuern darf und damit das perfekte Gegengewicht zu Alexander Vinogradov bildet, der dem Padre Guardiano mit nachtschwarzem Bass Autorität verleiht.

Chailly sorgt für Magie aus dem Graben

Alexander Vinogradov , Brian Jagde , Riccardo Chailly , Anna Netrebko , Ludovic Tezier , Vasilisa Berzhanskaya , Carlo Bosi , Marcela Rahal Premiere at La Scala Theatre -La forza del destino-  Italy 7th December 2024 ©SGPItalia | Bildquelle: picture alliance / Sipa USA | SGP Riccardo Chailly dirigierte die Saisoneröffnung am 7. Dezember 2024 an der Mailänder Scala | Bildquelle: picture alliance / Sipa USA | SGP Großartiges leistet nicht zuletzt aber auch Riccardo Chailly im Graben. Er macht aus der verworren Dramaturgie der "Forza" eine Tugend und bietet eine höchst differenzierte Lesart der Partitur. Schon in der in der nervös vorwärtsdrängenden Ouvertüre weiß der Dirigent da immer wieder auch die Ruhe im Auge des Sturms auszukosten und das damit gegebene Versprechen auch im weiteren Verlauf voll und ganz einzulösen. Selbst das wilde Säbelrasseln in den Schlachtszenen wirkt so nie einfach nur plakativ, sondern wird stets durch die intimen Momente geerdet, die Chailly sich und seinem Orchester ebenso gönnt wie dem hochsensibel agierenden Chor.

Sendung: "Allegro" am 09. Dezember 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (12)

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Mittwoch, 11.Dezember, 13:34 Uhr

Maximilian Frischmuth

Zur Rezension von L Forza del Destino in der Scala

Ich habe die Aufführung nur auf Arte gesehen und gehört. Ich fand es wohltuend, dass sich die Regie nicht schon wieder bemüht hat bzw. bemüßigt gefühlt hat, dieser (wie schon Verdi wusste, von der Handlung her nicht zu rettenden) Oper eine noch nicht dagewesene neue Sichtweise (sog. Narrativ) überzustülpen. Den Sängern (vor allem den männlichen) das An-der-Rampe-Singen ganz auszutreiben, wird in Italien nie gelingen. Immerhin aber hat Anna Netrebko ihre Rolle im von der abstrusen Handlung gesetzen Rahmen auch glaubhaft dargestellt. Die ohnehin spärlicher werdenden Putin-Buhs kann sie verschmerzen, ihre Stimme ist einzigartig, und wird offenbar immer noch berührender.

Dienstag, 10.Dezember, 14:10 Uhr

vierich

forza scala

hallo frau becker,
es macht richtig spass hier zu diskutieren.
aber frau becker, der liebe jonas hat vor fünf jahren das letzte mal den alvaro gesungen.

Dienstag, 10.Dezember, 13:52 Uhr

Mercator

Forza ohne Jonas

Immer lustig die Kaufmann-Damen zu lesen. Danke.

Montag, 09.Dezember, 20:17 Uhr

Michele

La forza del destino

In opinion of many, the bhoo to Anna weren't related to her russian nationality. Ms Netrebko has been present larely with several production @ La Scala in the last years, without claims. The bhoo were related to her singing and actual performance. Just to remember that Ms Netrebko was recently (slightly) bhooed also @ Montecarlo for her Boheme. No russian themes also in that case

Montag, 09.Dezember, 19:04 Uhr

Alexander Kurmachev

Kritik an der Kritik

Das Niveau der deutschen Opernrezensionen erinnert inzwischen an Werbespots, die in der Regel nichts mit dem beworbenen Produkt zu tun haben. R. Shai ist einer der Dirigenten, die anscheinend überhaupt nicht wissen, warum Sänger in der Oper notwendig sind. Aus der Zentralloge im Saal war es erschreckend unkoordiniert. Maestro Shai hat alle völlig verwirrt, indem er die Tempi übertrieb und sich am Chor vergriff, der übrigens selbst im Aufnahmematerial merklich im Widerspruch zum Orchester steht.

Montag, 09.Dezember, 12:28 Uhr

EbbaAnders

@vierich

"hätte er nie geschafft"? Haben Sie von seiner fulminanten Puccini-Tournee im vergangenen Monat nichts mitbekommen? Im Übrigen gehören Filmmusik-Schlager (das sind keine Lieder!) natürlich nicht mit Opernsängerstimme gesungen. Wenn sich normalerweise Opernsänger daran vergreifen, klingt das grauenvoll.

Montag, 09.Dezember, 11:52 Uhr

Ragnar Danneskjoeld

@vierich

Liebe(r )vierich, das dürfen Sie nicht so laut sagen mit dem Jonas, die Kaufmannfraktion ist hier vertreten. Die versteht da keinen Spaß.

Montag, 09.Dezember, 11:31 Uhr

Adrian Jadran

Scala Eröffnung La Forza

Plus ich hinzufügen muss, dass der Dirigent von Verdi soviel Plan hat, wie ich vom Flugzeuge fliegen, denn er hat die Rezitative so gezogen, so abgeschwächt in der Begleitung durch das Orchester, es war eine Qual, man hörte nicht dass das Verdi ist, sondern hörte, dass es keine dramatische Dichte weder orchestral, noch sängerisch hat, es war eine Farce & kam schon nah an Musical... Kleine Stimmen dem Fach sind eine Zumutung

Montag, 09.Dezember, 11:28 Uhr

Adrian Jadran

Scala Eröffnung La Forza

SCALA Eröffnung 2024 mit Netrebko als Leonora ist fatal, denn diese Sängerin singt rigoros seit Jahren nur weil sie die Stimme abdunkelt im viel zu schweren Fach, was nicht nur unschön & falsch klingt, es nervt & ist gerade in der Rolle der Leonora eklatant erkenntlich gemacht, wenn man Ohren hat, weil Netrebko immer mit der Rigoletto-Sopranhöhe agiert um überhaupt durchzukommen .... Ebenso diese anderen der Hauptrollenbesetzung leider leider alle komplett, ebenso wie Netrebko, viel zu lyrische Stimmen ...

Montag, 09.Dezember, 11:21 Uhr

vierich

Forza scala

Nach diesem auftritt des tenors jagde, müsste allen klar sein, warum jonas nicht dort auftrat. Das hätte er nie geschafft.
Warum: man höre sich sein liedprogramm auf arte vom sonntag an...

Montag, 09.Dezember, 00:07 Uhr

Reiner Kausen

La Forza del Destino zur Saisoeroffnung der Scala

Auch wenn ich politisch nicht an der Seite der Netrebko stehe, komme ich nicht umhin, dennoch ihre überragende Stimme in Leistung bei dieser exzepionellen Aufführung anzuerkennen. BRAVO

Sonntag, 08.Dezember, 15:37 Uhr

Waltraud Becker

Allerlei Ungereimtes zur Forza

1. sind die Fotos von den frühen Proben; Szenenfotos gibt es schon seit mindestens einer Woche....
2. Warum muss man die Absage des weltbesten Alvaro immer wieder rot herausheben? Er hat seine Gründe gehabt! Der Ersatz ist halt bloß ein Ersatz, wie man unschwer hören konnte.
3. La Diva orgelt schauerlich durch die Oper und stellt die (noch) schönen Töne (fern von der darzustellenden Figur) aus. Das ist alles, was sie zu biete hat.....
4. Mit Promiauflauf der Politik wars wohl nichts. Präsident und Ministerpräsidentin haben die Wiedereröffnung der Notre Dame in Paris vorgezoggen. arum wohl?

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