Die Saisoneröffnung der Mailänder Scala ist ein wichtiges gesellschaftliches Event. Lange Zeit war es der High Society vorbehalten, doch mittlerweile prägt der Eröffnungsabend die ganze Stadt. Elina Garanca und Anna Netrebko sangen zum Auftakt in Verdis "Don Carlo". Es gab viel Applaus, aber auch Buh-Rufe.
Bildquelle: Brescia e Amisano ©Teatro alla Scala
Wie zentral Oper an diesem Tag für Mailand ist, zeigen Live-Streams der Premiere an vielen Plätzen, nicht nur in der Galleria Vittorio Emanuele zwischen Dom und Scala, sondern auch in anderen öffentlichen Gebäuden, am Flughafen Malapensa, aber in den letzten Jahren auch vor Gefangenen in einer Strafanstalt.
Kerker, Politische Kämpfe, Aufstände, ein Autodafé, Intrigen, Verrat und Verletzung gibt es also nicht nur auf der Bühne. Während vor dem Opernhaus Demonstrationen, – diesmal propalästinensische – stattfinden, löst die Frage, wer im Theater in der Königsloge Platz nehmen wird, politische Kontroversen aus. Nachdem Staatspräsident Sergio Materella und Ministerpräsidentin Giorgia Meloni andere Termine wahrnahmen, war der im politischen Spektrum sehr rechts stehende Senatspräsident Ignazio La Russa für den repräsentativen Sitz vorgesehen.
Bildquelle: Brescia e Amisano ©Teatro alla Scala Ein Aufführungsboykott der Gewerkschaft dagegen konnte nur durch einem Ehrengast, die 93-jäjhrige Ehrensenatorin und Holocaust-Überlebende Liliana Serge, abgewendet werden, die mit viel Applaus geehrt wurde. Ehe das Publikum gemeinsam die Nationalhymne sang, trat aber noch Scala-Intendant Dominique Meyer vor den Vorhang und verkündete, dass die UNESCO in Botswana gerade soeben den italienischen Operngesang als immaterielles Weltkulturerbe eingestuft habe, wofür Verdis Oper der beste Beweis sei.
Am Samstag, den 9. Dezember, überträgt BR-KLASSIK die Premiere von "Don Carlo" an der Mailänder Scala ab 19:05 Uhr.
Giuseppe Verdi: Don Carlo
Oper in vier Akten
In italienischer Sprache
Filippo II., König von Spanien - Michele Pertusi
Don Carlo, Infante von Spanien - Francesco Meli
Rodrigo, Herzog von Posa - Luca Salsi
Der Großinquisitor / Ein Mönch - Jongmin Park
Elisabetta di Valois - Anna Netrebko
Prinzessin von Eboli - Elīna Garanča
und andere
Coro del Teatro alla Scala
Orchestra del Teatro alla Scala
Leitung: Riccardo Chailly
Aufnahme der Eröffnungspremiere der Saison 2023/2024 am Teatro alla Scala di Milano vom 7. Dezember 2023
Meyer hatte den Mailänder inaugurazioni der letzten drei Jahre ein gemeinsames Thema zugewiesen "Potere avvelenato", "Vergiftete Macht" – und nach "Macbeth" (2021) und "Boris Godunow" (2022) nun „Don Carlo“ in diese Reihe gestellt. Lluís Pasqual aktualisiert das düstere politische Geschehen dabei aber keineswegs. In einem verschiebbaren Oval – ein schmiedeeisernes Gitter, aber auch eine Mauer – lässt er die Figuren meist statuarisch auftreten. Einzig das Autodafé mit seinen lebendigen Szenen eines schaulustigen Volks vor einem hohen goldenen Altar beeindruckt mit üppigen Schauwerten.
Bildquelle: Brescia e Amisano ©Teatro alla Scala Die etwas statische Personenführung unterstützt freilich den Sängerwettstreit, den die Eröffnung der Scala auch darstellt und auch diesmal eine derzeit kaum überbietbare Besetzung der Rollen bietet. Stimmgewaltig beeindrucken Francesco Meli und Luca Sali als Freunde Don Carlo und Rodrigo (Marchese di Posa). Aber obwohl oder vielleicht gerade deshalb, weil er als indisponiert angekündigt wurde, erfährt Michele Pertusi In seiner großen Arie voller trauriger Einsicht viel Empathie. Unter die Haut – gerade auch gehen aber in ihren vielen Schattierungen insbesondere die beiden letzten Arien der – zumindest von Don Carlo verwechselten – Gräfin Eboli und Elisabetta, Elina Garanca Anna Netrebko, beide Primadonnen.
Claudio Abbado, Riccardo Muti, Daniele Gatti, Fabio Luisi haben in der Scala “Don Carlo” Produktionen ihre Visitenkarten abgegeben. Riccardo Chailly stellt sich also auch in diese Reihe und wird dabei in Mailand als „Abbado-nahe“ empfunden. Das allem auf die Vorspiele zu. Im Gegensatz zu den dramatischen Ausbrüchen der nehmen sie zart, ja fast schmerzhaft klagend ein und überzeugen.
Für die als zu einfallslos empfundene Regie gab es zwar ein paar Buhrufe. Aber vielleicht liegt der aktuelle politische Wert von Oper gerade darin, dass sie keine schnellen sogleich anwendbaren Statements und Strategien anbietet, sondern Wehmut, Enttäuschungen, Ambivalenzen und – "vergiftete Macht" zeigt und darüber nachsinnen lässt.
Sendung: "Leporello" am 8. Dezember ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Samstag, 09.Dezember, 10:38 Uhr
Gufo
Inaugurazione
Die Inaugurazione ist nicht nur ein weltweit beobachtetes Opernereignis, sondern auch ein Schaulaufen von Politikern , Stars und Sternchen. Dass dabei persönliche Eitelkeiten,die hier allerdings schnell friedlich gelöst wurden,oft mehr im Rampenlicht stehen als die Leistungen von Sängern,Sängerinnen und Orchester, hat an der Scala fast schon Tradition.Neu scheint zu sein, dass die gefürchteten Loggionisti sich jetzt auch politisch äußern.Alles in allem dürfte es aber eine gelungene Eröffnung gewesen zu sein, die der Kritiker im Corriere della Sera folgendermaßen zusammenfasste : Etwas zurückhaltend, aber mit Niveau. Also waren die Spitzenpreise von 3200 Euro pro Eintrittskarte doch nicht falsch angelegt.