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Kritik – Berliner Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen Zwei Dirigenten, ein Orchester

Trotz Fußverletzung: Kirill Petrenko hat sich nicht geschont. Am Sonntag stand er am Pult "seiner" Berliner Philharmoniker. Den zweiten Salzburg-Abend bestritt jedoch Daniel Harding für ihn. Auch kein Schaden. Zwei Konzerte auf Weltklasse-Niveau.

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen 2022. | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borelli

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borelli

Die Anfangstakte geraten ihnen noch ein wenig schwammig, was auch am tastenden Beginn von Gustav Mahlers Siebter Symphonie liegt. Doch spätestens mit der markant auftrumpfenden Melodie des Tenorhorns sind die Berliner Philharmoniker mitten drin in Mahlers riesenhafter Siebter, die in fünf Etappen einen Streifzug durch seine revolutionäre Klangwelt unternimmt. Kühn collagiert er darin Kunst- und Trivialmusik, Naturlaute und Herdenglocken, heurigenselige Idylle und krachledernen Kirmestrubel. Mag Mahler seine Siebte gegenüber Konzertveranstaltern und Verlegern auch als vermeintlich "heiteres" und "humoristisches" Werk angepriesen haben – schon der Trauermarsch-artige Beginn des vielschichtigen, durchaus sperrigen Kopfsatzes zeigt, dass dies keine Symphonie zum Zurücklehnen ist.

Petrenkos Mahler: Präzise und packend

Kirill Petrenkos analytische Durchdringung hochkomplexer Partituren macht sich gerade bei so einem monströsen Werk bezahlt. Die bei Mahler so wesentliche Kunst des Übergangs beherrscht er perfekt, ungemein stimmig disponiert er Temporelationen, verlangsamt oder beschleunigt den musikalischen Fluss. Wie man es von ihm gewohnt ist, ist seine Interpretation bis ins letzte Detail genauestens durchgearbeitet. Wie eh und je animiert er sein Orchester mit präziser und emphatischer Zeichengebung. Von seiner überstandenen Fußverletzung ist kaum etwas wahrzunehmen. Petrenko schont sich sichtlich nicht – nur selten lehnt er sich auf den Hocker am Dirigentenpult zurück oder entlastet den rechten Fuß auf einem Bänkchen, wie es Gitarristen benutzen.

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Apropos Gitarre: Tatsächlich verwendet Mahler in der zweiten seiner beiden zwischengeschalteten Nachtmusiken eine Gitarre und eine Mandoline. Dazu kommen idyllische Harfenklänge und zauberhafte Violinsoli. Einen derart profilierten Konzertmeister, wie ihn die Berliner Philharmoniker mit Daishin Kashimoto zu bieten haben, wird man auch in anderen Spitzenorchestern selten finden. Überhaupt kommt einem bei dieser prachtvollen Aufführung der Satz eines Kollegen in den Sinn, die Berliner seien ein Orchester aus Solisten. Gerade wenn man die Wiener Philharmoniker zuvor mit Bruckner erlebt hat, werden die Unterschiede zu den Berlinern überdeutlich: Gegenüber dem dunklen, warmen Klang der österreichischen Kollegen besticht Deutschlands Toporchester an diesem Abend durch schneidende, fast amerikanische Brillanz und blechlastige Strahlkraft.

Wenig Geheimnis: Petrenko überzeugt nicht restlos

Dazu lädt allerdings der berüchtigt affirmative Finalsatz geradezu ein, der auch heute noch Mahler-Fans irritiert mit seinem Überrumpelungs-Furor im "Meistersinger"-C-Dur. Petrenko tritt in diesem imposanten Rausschmeißer die Flucht nach vorn an, mit Tempo und Schneid – rasant, messerscharf artikuliert, zackig, aber nie hohl pathetisch oder bloß lärmig. Ja, so kann man diesem Satz beikommen, ironische Brechung wäre eine andere Möglichkeit. Am Ende lässt einen diese fraglos brillante Mahler-Interpretation etwas ratlos zurück. Zwar sitzt Petrenko in der pastoralen ersten Nachtmusik schon mal der Schalk im Nacken. Oder er jagt einem in der dämonischen Walzer-Deformation des Scherzos Schauer über den Rücken. Aber gerade die drei surrealen Mittelsätze wirken an diesem Abend eher diesseitig, bleiben seltsam geheimnislos. Beeindruckend musiziert, aber nicht wirklich berührend.

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Nahtlos, wenn auch auf ganz andere Art, schließt am nächsten Abend Alfred Schnittkes Violakonzert an, ein – wie er sein Komponieren selbst nannte – "polystilistisches" Kaleidoskop heterogenster Klänge. Wenige Tage vor Schnittkes erstem Schlaganfall 1985 vollendet, lässt das visionäre Konzert kommendes Unheil ahnen. Elegische Töne der Viola und schmerzlich dissonante Klangkaskaden des geigenlosen Orchesters münden in die wilde Lebenshatz eines überdrehten Walzers, dessen Konturen immer mehr verwischen.

An den Grenzen der Spielbarkeit: Schnittkes Bratschenkonzert

Der Solopart geht an die Grenzen der Spielbarkeit – eine dankbare Herausforderung für Tabea Zimmermann, die sich mit der ihr eigenen Intensität und Virtuosität in Schnittkes bodenlose Welt stürzt. Aber es gibt auch unwirkliche Inseln der Schönheit, die sie mit ihrem sonoren Ton innig auskostet. Am Ende nur noch auskomponierter Herzstillstand. Kein Trost, nirgends. München kann sich auf Tabea Zimmermann freuen, wenn sie beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks als Artist in Residence die kommende Spielzeit mitgestaltet.

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Photoshop-Daniil! Lesen Sie hier unsere Kritik des Solistenkonzerts von Daniil Trifonov bei den Salzburger Festspielen 2022.

Natürlich hätte die Zehnte Symphonie von Dmitrij Schostakowitsch das zweite Programm der Berliner Philharmoniker perfekt abgerundet. Aber der Einspringer für Kirill Petrenko, Daniel Harding, hatte eben gerade die Vierte Symphonie von Anton Bruckner drauf – und warum den Abend nach Schnittkes Katastrophen-Szenario nicht mit einem Hoffnungsstrahl beschließen? Das gefürchtete Horn-Solo zu Beginn nahm Stefan Dohr derart makellos, dass eigentlich nichts mehr schiefgehen konnte.

Bestechend: Daniel Hardings Bruckner

Von jedweder Routine war die Aufführung der populären "Romantischen" aber weit entfernt. Dank Harding, der einen ungemein geschmeidigen, "luftigen" Bruckner-Klang favorisiert, flexibel im Tempo, stets organisch ausphrasiert und fein ausgehört. Und dank der Berliner Philharmoniker, die hörbar Spaß hatten an Hardings unprätentiöser Bruckner-Deutung. Im Gegensatz zum Vorabend gibt er der Pianokultur des Orchesters Raum und sorgt so für unerhörte dynamische Kontraste. Nach erfüllten Momenten im melodiösen Andante und dem unwiderstehlichen Drive des Jagd-Scherzos ließen die Kräfte im seltsam disparaten Finale der zweiten Fassung dann doch etwas nach. Trotzdem: eine exemplarische Bruckner-Aufführung. Bruckner kann eben nicht nur Thielemann.

Sendung: "Allegro" am 30. August 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Samstag, 03.September, 08:35 Uhr

Mat Lorey

Bruckner kann eben nicht nur Thielemann

Interessante Rezension, die auch gut und gerne ohne den letzten Satz ausgekommen wäre, Humor hin oder her.
Bruckner "können" viele, jedoch kommt es darauf an, was der jeweilige Kapellmeister aus ihm macht... Hardings Interpretation ist schlüssig, gut und ganz anders als Thielemann, der in seiner Durchdringung den Hörer noch in weit entferntere Dimensionen begleitet.
Schön, dass es möglich ist, viele unterschiedliche Interpretationen zu erleben. Das ist bereichernd.

Dienstag, 30.August, 12:08 Uhr

Haunold

Kritik ,Berliner‘ - Petrenko/ Harding

Verehrte Redaktion
1) zu Bruckner : ,B. kann nicht nur Thielem.‘
Und wie !!
es gibt fabelhafte Dirigenten die , Bruckner , KÖnneN‘
war selbst 34 Jahre 1.KonzertMeister d. BrucknerOrch.,…….
2) zu Mahler : ihr Vergleich zw. Wiener und Berliner Phil. :
nicht doch ein bissl gar , Klischee‘ ….? :
,,der warme Klang der Wiener……“
das ,,messerscharfe, brillante….. der Berliner „
Da wie dort eine Neue Generation von tollen Instrumentalisten……

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