In Zürich wurde der "Ring" von Richard Wagner zu Ende geschmiedet. Intendant und Regisseur Andreas Homoki bleibt bei einer klaren Lesart mit überzeugenden Regie-Ideen. Famos ist vor allem die musikalische Leistung - mit vielen Debüts.
Bildquelle: Monika Rittershaus
Kritik
Wagners "Götterdämmerung" in Zürich
Auch in Zürich brennt am Ende die Welt und Obergott Wotan blickt traurig auf das letztlich von ihm verantwortete Inferno. Allerdings ist nicht ganz sicher, ob Wotan noch lebt, man sieht nur seinen Rücken, er ist in einem Sessel buchstäblich versackt und vor ihm brennt alles kunstvoll video-virtuell auf einem Gemälde. Das kennt man von der Zürcher Tetralogie schon und natürlich spielt sich auch nun alles wieder in einem Gewirr aus immer neuen Räumen ab, meist helle Salons, die sich ständig mittels Drehbühne verwandeln (Ausstattung Christian Schmidt). Was Regisseur und Intendant Andreas Homoki über alle vier Abende hinweg gelingt, ist das saubere Nacherzählen der Handlung und eine sanfte Erweiterung durch oft überzeugende Regieideen, die aber nie den Ring neu erfinden oder die Dinge auf den Kopf stellen (wollen). Sozusagen ein endoskopischer Zugang. Das macht die Produktion zum vielleicht klarsten und ehrlichsten "Ring", den es derzeit zu sehen gibt.
Auch in der Götterdämmerung entstehen stupende Momente, wenn etwa Siegfried bei Brünnhilde kurz die Gunther-Maske wegrutscht und sie ihn erkennt, wenn die Rheintöchter als blond perückte Mädels sich auf dem Bett räkeln und am Ende Hagen reizend charmant aus dem Fenster werfen. Oder wenn Gunther (exzellent: Daniel Schmutzhard, ein Rollendebüt) und Gutrune (sauber und solide: Lauren Fagan) in edlen, weinroten Joppen dem mit Pferdespielzeugkopf hantierenden Tölpel Siegfried empfangen, während der in Ledermontur herum wütende Hagen (ein weiterer Debütant: der kraftvoll sinistre David Leigh) Tränke mixt und Blutsbrüderschaften auf den Weg bringt.
Lediglich das Finale gerät ein wenig zu klinisch, da Homoki auf arg viele Zwischenvorhänge setzt und so die Musik szenisch ausbremst. Ein brennender Mann eilt über die Bühne, die Chormassen werden wuchtig choreographiert, Siegfried erscheint doppelt, als lebendige Vision Brünnhildes und als Leiche - derart viele (Bild)Ideen erfordern rasche Szenenwechsel, schon klar. Aber so wird die Überwältigungsdramaturgie des Finales deutlich konterkariert. Andererseits mag gerade dies zum Konzept gehören, denn das Schlussbild zeigt wieder die bekannten, nun völlig leergeräumten, sich rasch abwechselnden Salons.
Szene aus "Götterdämmerung" an der Oper Zürich 2023 | Bildquelle: Monika Rittershaus Mit Kühle hat das Dirigat des für seine vorigen Ring-Teil-Dirigate viel gefeierten Gianandrea Noseda wahrlich nichts zu tun. Er setzt oft auf straffe Tempi, viel Lautstärke, manchmal blitzen Details auf, die sonst selten zu hören sind. Wunderbar, wie sich bei der ersten Begegnung von Siegfried und Brünnhilde gleichsam Transparenz-Fenster öffnen, wie filigran da die orchestrale Begleitung klingt! Es gibt indes einige Wackler und manche Koordinationsschwierigkeiten, nicht dramatisch - bis auf einen wirklich krassen Blech-Schmiss - aber doch hörbar.
Die Zürcher "Götterdämmerung"-Premiere war ein Abend der Debüts. Camilla Nylund sang erstmals die Brünnhilde und dies mit immenser Kraft und vielen Farben. Ein klein wenig Luft nach oben bleibt. Ebenso bei Klaus Florian Vogt, dessen Siegfried in der Oper "Siegfried" zum Ereignis wurde. Nun singt und spielt er den Helden im Ring-Finale und überzeugt mit vielen schönen Tönen, deren Erzeugung oft mühelos und organisch wirkt. Es sind Winzigkeiten an Gestaltung und Phrasierung, die das Ganze knapp unter einer Sensation ansiedeln. Vogt debütierte übrigens auch in dieser Partie, vermutlich werden die beiden Siegfriede schon bald seine Paraderolle(n).
Sendung: Leporello am 06.11.2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Freitag, 10.November, 12:00 Uhr
Dr. Klaus Billand
Beurteilung der Ring-Produktion Zürich
Die Beurteilung der Produktion „als vielleicht klarster und ehrlicher ‚Ring‘, den es derzeit zu sehen gibt“ zeigt einmal mehr die Begrenzung solcher Urteile auf rein westeuropäische Inszenierungen, wo Neuinszenierungen sich in den ultimativen Verirrungen des Wagnerschen Regietheaters ergehen und mit Vorliebe Regisseure engagiert werden, die sich damit einen Namen gemacht haben. Beispiele sind in Bayreuth und an zwei Häusern in Berlin, auch in Dortmund zu sehen.
Schade, dass sich das Auge der gut meinenden Kritik nicht mal nach Osteuropa wendet, wo Plamen Kartaloff an der Sofia Oper im Juli 23 eine neuen „Ring“ herausbrachte, der aus der Partitur inszeniert wurde und alle begeisterte, zumal er die Zürcher Inszenierung an ebenso werkbezogener Regie-Phantasie wie -Lösungen übertrifft.
Aber in hiesigen westlich fokussierten Kritiker-Kreisen wird ja nicht für möglich gehalten, dass eine solch künstlerische und ästhetische Leistung in Bulgarien möglich ist… Wagners Oeuvre ist universal!