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Kritik - Wagners "Götterdämmerung" in Landshut Endzeit im Theaterzelt

Niederbayern hat seinen ersten vierteiligen "Ring". Die Zuschauer waren begeistert, immerhin spielt die Region im mittelalterlichen Vers-Epos keine geringe Rolle. In Stefan Tilchs Inszenierung herrschte düstere Endzeit-Stimmung.

Brünnhilde (Yamina Maamar) und Siegfried | Bildquelle: Landestheater Niederbayern

Bildquelle: Landestheater Niederbayern

Vielleicht bleiben von unserem Fortschrittsglauben am Ende wirklich nur ein paar Sanddünen und leere Ölfässer übrig, die auf irgendwelchen vergifteten Teichen herumdümpeln. Für die Götter ist sowieso kein Platz mehr in der modernen Zivilisation, sie bekommen allenfalls noch ein Reservat in irgendeinem esoterischen Freizeit-"Funpark". Da können sie sich dann als Wachsfiguren begrapschen lassen. Für Helden wird es schwer, sogar für Superhelden.

Endzeit in Landshut

Es ist eine düstere Endzeit-Welt, die Stefan Tilch in seiner "Götterdämmerung" in Landshut zeigt, und der unscheinbare Grashalm, der sich nach der Apokalypse doch wieder durch den verdorrten Boden schiebt, spendet wenig Trost. Tilch inszeniert Wagners Untergangsparabel mit viel schwarzem Humor, Slapstick und einem bösen Clown, nämlich Hagen, der eigentlich ein Kindskopf mit einem ausgeprägten Hang zu Faschingsartikeln ist, von seinem Vater Alberich jedoch zur Mordmaschine dressiert wird: Er muss ständig am Speer schnitzen, mit dem er Siegfried aufspießt. Das alles hält die Zuschauer über gut fünf Stunden trotz drückender Hitze im Theaterzelt nicht nur wach, sondern auch bei Laune. Der Applaus war am Ende überaus herzlich, ja begeistert.

Das ist eine enorme Leistung, denn die Bühne ist etwa so groß wie die Spielfläche einer Schulaula, nichts kann nach unten oder oben verschwinden. Ersatzweise sorgt eine Leinwand im Hintergrund für etwas optische Abwechslung. Ganz schön karg, diese technische Ausstattung: Große Effekte zur großen Musik sind leider nicht möglich. Mitunter ist das Bild von Karlheinz Beer so leer geräumt und statisch, dass diese "Götterdämmerung" an eine konzertante Aufführung erinnert. Das können auch die bemerkenswert skurrilen, alles andere als kleidsamen Kostüme von Ursula Beutler leider nicht rausreißen.

Ein Großprojekt wider alle Bedingungen

Und doch sind das Nebensächlichkeiten, denn das Theater muss seit Jahren in einem unwirtlichen Zelt ausharren, weil das Stammquartier marode ist. Das zerrt an den Nerven, wie Intendant Stefan Tilch dem BR erläutert: "Dieses Projekt war immens wichtig. Es war ja mein allererster Instinkt, als wir in dieses Theaterzelt zogen, zu sagen, man kann hier vieles dran kritisieren, aber es ist bietet halt auch Räume, die das Landestheater Niederbayern vorher so nie kannte. Es bietet einen Raum für das Orchester, den wir in unseren historischen Räumen so nie hatten. Da habe ich rasch gesagt, Leute, jetzt spielen wir mal 'Tristan und Isolde'. Das ist so eingeschlagen, dass wir sofort gesagt haben, das ist historisch der Moment, wo wir im Landestheater auch den Ring des Nibelungen ansetzen können."

Damit hat sich das Haus jedenfalls nicht blamiert, sondern ein beachtliches Ausrufezeichen gesetzt. Abgesehen von der recht allgemein gehaltenen Zivilisationskritik enthielt diese "Götterdämmerung" zwar keine grundsätzlich neue Deutung, das ist in Landshut mit diesen begrenzten Mitteln aber auch schwerlich machbar. Die Geschichte einigermaßen plausibel und ohne Irritationen nachzuerzählen, reicht völlig aus.

Ein beachtliches Ausrufezeichen

Umso erfreulicher, dass die Solisten, die im akustisch ungünstigen Zelt allesamt mit Mikrofonen verstärkt wurden, recht textverständlich waren und stimmlich durchweg ansehnliches Wagner-Format hatten, allen voran Michael Helm als Siegfried und Yamina Maamar als Brünnhilde. Schauspielerisch wirkten sie etwas unterkühlt, wie alle anderen auch. Sogar Heeyun Choi als Hagen war ein vergleichsweise gehemmter Bösewicht, wobei diese szenische Unbeholfenheit seinem Charakter eine gewisse Tiefe gab, denn er sollte ja "ferngesteuert" rüberkommen. Richtig ausgelassen war eigentlich nur Peggy Steiner als Gutrune.

Womöglich war der Premierenstress für manche Nervosität verantwortlich. Dem Chor war die Aufregung jedenfalls ebenfalls anzuhören, schließlich ging es um viel. Stefan Tilch: "Jeder schaut, wenn auch kopfschüttelnd, was machen die denn da jetzt in Niederbayern. Und das ist gar nicht zu überschätzen für das System als solches. Ein Opernhaus, das den 'Ring' mal gespielt hat, katapultiert uns eigentlich innerhalb von Augenblicken in eine ganz andere Liga. Wir sind jetzt Teil eines exklusiven Clubs, es gibt wenige Opernhäuser weltweit, die das tun. Das Selbstwertgefühl, auch der Anspruch des Orchesters, das ist alles gar nicht zu überschätzen, was das alles jetzt mit uns macht."

Wir jetzt Teil eines exklusiven Clubs
Stefan Tilch

Der im Orchester durchaus umstrittene Dirigent Basil Coleman behielt allzeit den Überblick, auch wenn er seine Aufmerksamkeit hier und da mehr der Partitur als den Mitwirkenden widmete. Insgesamt kann die Niederbayerische Philharmonie ohne Abstriche stolz sein auf diese Gemeinschaftsleistung. Da gibt es in manchem Weltklasse-Orchester oft mehr Patzer und Konzentrationsprobleme bei den viel beschäftigten Blechbläsern.

Das Landestheater wird seine Wagner-Reise übrigens fortsetzen: Geplant sind "Lohengrin" und "Tannhäuser", 2026 zum Abschied von Tilch als Intendant auch ein "Parsifal": "Es gibt in anderen Stücken oft irgendwelche Brüche oder Fehler, bei Wagner ist alles logisch und stringent und konsequent. Da ist immer irgendwie die Antwort auf alles zu finden, und in diesen Kosmos einzudringen, ist eine ungewöhnliche Bereicherung."

Sendung: "Allegro" am 2. Mai ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Dienstag, 02.Mai, 18:39 Uhr

Herta Hofmann

Danke!

Danke, daß Sie auch einmal etwas aus Niederbayern bringen. Manchmal habe ich das Gefühl, daß BR-KLASSIK nur für Hörer in München, Salzburg, Bayreuth und vielleicht Nürnberg gedacht ist. Schauen Sie mal über den Tellerrand ... in der "Provinz" gibt es auch ganz tolle Kulturangebote!

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