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Kritik – Pianist Yunchan Lim in München Debüt mit romantischem Beethoven

Es war eine Sensation: Im Juni 2022 hat sich Yunchan Lim beim Van-Cliburn-Klavierwettbewerb die Goldmedaille erspielt. Seine Interpretation von Rachmaninows drittem Klavierkonzert wurde auf YouTube millionenfach geklickt. Über Nacht wurde Lim zum Star, um den sich Agenten und Plattenlabels reißen. Was ist dran an dem gehypten Überflieger aus Südkorea? In München konnte man sich am Mittwoch in der ausverkauften Isarphilharmonie von seinem Können überzeugen, als Yunchan Lim mit den Münchner Philharmonikern unter dem Koreaner Myung-Whun Chung Beethovens viertes Klavierkonzert spielte.

Bildquelle: Tobias Hase

Kollegengespräch

War Beethoven ein Vorbote der Romantik? Mag sein. Aber sein viertes Klavierkonzert so romantisierend anzugehen, wie es der 19-jährige koreanische Tastenvirtuose Yunchan Lim in der Münchner Isarphilharmonie im Gasteig HP8 tat, war dann doch gewöhnungsbedürftig. Klar, Beethovens G-Dur-Konzert ist vom Grundcharakter her ein lyrisches Stück. Lim nahm sich aber enorme Freiheiten bei der Tempogestaltung, stieg immer wieder mal auf die Rubato-Bremse. Vor allem der langsame Satz wirkte streckenweise arg zerdehnt. Da vergrübelte sich Lim in feinsinnig ausgesponnenen Kantilenen, denen Dirigent Myung-Whun Chung in den hart kontrastierenden Orchesterblöcken wenig rhythmisches Profil entgegenzusetzen hatte. Im Rondo-Finale bewies Lim dann mit rasanten Läufen und behänden Trillern federnde Fingerfertigkeit, einigen Witz auch.

Wenig Kommunikation mit dem Orchester

Auffallend, wie sehr Lim in sein Spiel versunken ist, wie wenig er mit dem Orchester kommuniziert. Allerdings hatte er in Chung auch keinen echten Partner, der ihm die Bälle zugespielt hätte. Einige Orchestertutti gerieten den Münchner Philharmonikern unter Chungs eigenartig rudernden Bewegungen dann doch eher holterdiepolter. Immerhin kommunizierten die Stimmführer vielsagend mit der Konzertmeisterin Naoka Aoki.

Zu beiläufig und leichtfüßig

Konzert mit Dirigent Myung-Whun Chung und Pianist Yunchan Lim (15. November 2023 in der Isarphilharmonie) | Bildquelle: Tobias Hase Pianist Yunchan Lim gibt mit Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 sein Debüt bei den Münchner Philharmonikern. | Bildquelle: Tobias Hase Yunchan Lims detailfreudiges Klavierspiel ist manuell brillant, keine Frage. Sein Anschlag ist fein austariert, erlaubt viele Nuancen, kann auch mal zupacken. Lim ist kein Showtyp, kein Exzentriker, versucht nicht, sich durch aufgesetzte Effekte interessant zu machen – das ehrt ihn. Aber insgesamt geriet ihm Beethovens viertes Klavierkonzert zu beiläufig, zu leichtfüßig, schlicht zu harmlos. Kurz und heftig beklatscht – und bald vergessen. Kann man von einem 19-jährigen Pianisten die von Beethoven geforderte Gestaltungskraft erwarten? In der melancholischen Zugabe, dem "Oktober" aus dem Jahreszeiten-Zyklus von Tschaikowsky, war Lim dann hörbar mehr in seinem Element.

Klick-Tipp

Die Video-Aufzeichnung des Konzerts mit Yunchan Lim ist ab kommendem Samstag, 18. November, ab 10:00 Uhr auf dem Streaming-Kanal der Münchner Philharmoniker sowie auf Facebook für 48 Stunden abrufbar; dasselbe gilt für das Konzert mit Clara-Jumi Kang, das ab kommenden Sonntag, 19. November, ab 10:00 Uhr verfügbar ist.

Run der Plattenlabels

Lieber hätte ich ihn mit dem dritten Klavierkonzert von Rachmaninow erlebt, mit dem Lim beim legendären Van-Cliburn-Wettbewerb 2022 einen beispiellosen Triumph errungen hat. Das Video aus Texas ging bei YouTube viral durch die Decke, wurde millionenfach geklickt. Anschließend begann der Run der Majorlabels auf den Goldjungen aus Korea, die Labelmanager reisten ihm nach Paris, Amsterdam, Rom, London, New York, Tokio und Seoul nach, um Lims Unterschrift unter einen Exklusivvertrag zu ergattern. Das unwürdige Geschacher entschied dann Decca für sich – stolz verkündete das Label aus dem Hause Universal vor kurzem in einer Pressemeldung, dass es das "globale Rennen" um den Jungstar für sich entschieden habe. Lims Debütalbum bei Decca soll im Frühjahr 2024 erscheinen. Man kann ihm nur wünschen, dass er dem medialen Druck standhält und sich in aller Ruhe weiterentwickelt – er ist ja noch Student, arbeitet kontinuierlich weiter mit seinem Lehrer in Seoul. Gebt dem Supertalent alle Zeit der Welt!

Myung-Whun Chungs "Eroica" nicht auf der Höhe der Zeit

Konzert mit Dirigent Myung-Whun Chung und Pianist Yunchan Lim (15. November 2023 in der Isarphilharmonie) | Bildquelle: Tobias Hase Myung-Whun Chung dirigiert die Münchner Philharmoniker in Beethovens "Eroica". | Bildquelle: Tobias Hase War das Orchester beim Klavierkonzert noch vergleichsweise klein besetzt, so traten die Münchner Philharmoniker für die "Eroica" in großer Formation an, allein sechs Kontrabässe sorgten für ein sattes Beethoven-Fundament in der Isarphilharmonie im Gasteig HP8. Schon beim Klavierkonzert fiel der traditionell sämige Beethoven-Klang auf – schließlich hat sogar ein Lang Lang mal mit Harnoncourt gearbeitet und von ihm gelernt. Myung-Whun Chung, 70, war einige Jahre Assistent von Carlo Maria Giulini in Los Angeles – und das hört man auch. Beethovens "heroische" Dritte Symphonie erklang in breiten Tempi, im gepflegten philharmonischen Sound. In der berühmten Marcia funebre blähte Chung das fraglos dem Satz eingeschriebene Pathos zum ganz großen Drama auf. Dem Scherzo fehlten klare Akzente in den widerborstigen Rhythmen, dem finalen Kehraus der vibrierende Puls.

Mit Beethoven auf Korea-Tournee

Nicht mehr auf der Höhe der Zeit, diese Beethoven-Interpretation, ohne Sinn für die Rhetorik dieser Musik. Hat uns doch die historisch informierte Aufführungspraxis bei der Wiener Klassik ein neues Hören gelehrt. Klar hält Beethoven auch so ein weichgespültes Klangbad aus, zumal die Holzbläser der Münchner Philharmoniker hinreißend musizierten und die Hörner im Scherzo fabelhaft schmetterten. Nur: Was ist dadurch gewonnen? Dem Münchner Publikum gefiel’s jedenfalls. Und wenn die Münchner Philharmoniker mit Chung, Lim und der für Beethovens Violinkonzert gebuchten Geigerin Clara-Jumi Kang Ende November zu ihrer großen Tournee nach Korea aufbrechen und sieben Beethoven-Abende bestreiten, wird ihnen auch dort der Beifall sicher sein – schließlich ist es für Dirigent und Solisten ein Heimspiel.

Sendung: "Allegro" am 16. November 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Dienstag, 21.November, 00:44 Uhr

Hans-Dieter Klinger

ad"Anmerk.d.Red."+Danke(keinPlatzImKommentarFeld)

Dass Ihr Kritiker sich auf das DECCA Debut bezogen hat ist mir schon klar. Mit 1000 Zeichen mich genauer auszudrücken, ist mir aber nur unzureichend möglich. Ich könnte freilich alle Vokale weglassen, dnn wrd s br schwr lsbr ...
Der Hinweis auf das bei Steinway veröffentlichte Album ist als greifbares Beispiel für die Uninformiertheit der Dialogisten gedacht. Ich möchte nichts unterstellen und würde wirklich gerne wissen, ob Herr Leipold und sein Gesprächspartner Lims Darbietungen bei THE CLIBURN kennen. Lims Live Interpretation der Liszt Etuden hat Referenzqualität.
Kann man wirklich ausschließen, dass ein 19-Jähriger reif ist, Beethovens 4. Klavierkonzert erstklassig darzubieten? W.A. Mozart hatte im Alter von 18 Jahren bereits 30 Sinfonien komponiert, Mendelssohn mit 17 die Sommernachtstraum-Ouvertüre ausgedacht. Klar, Lim kann als Komponist nicht mit M&M mithalten, er ist nur ein nachschöpferischer Künstler.
Anfragen würde ich gerne, wie "romantisierend" ... oje die 1000 Zeichenmar

Sonntag, 19.November, 15:24 Uhr

Hans-Dieter Klinger

1. Abend, 15.11.23

Beim Hören des Audioclips fiel mir Morgensterns Gedicht "Die unmögliche Tatsache" ein mit dem berühmten Ende "Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf." Die 2 Plauderer, Geistesbrüder Palmströms? Sie sind wohl im Dickicht von Vorurteil, Unwissenheit und Oberflächlichem stecken geblieben.
Einem 19-Jährigen erstaunliche Reife nicht zuzutrauen, halte ich für ein Vorurteil. Eines der seltenen Gegenbeispiele verdanken wir G. Sokolov, 1. Preis beim Tschaikowsky-Wettbewerb mit 16 Jahren. "Kurz und heftig beklatscht – und bald vergessen". Ohne ? ist dieser Satz ein Urteil.
Unwissenheit kann unverschuldet sein. Lims Debutalbum ist schon im Juli 2023 erschienen bei Steinway & Sons:
Liszts 12 Études d'exécution transcendante, Live from the Cliburn. Ich unterstelle und lasse mich gerne korrigieren, dass den Herren Lims gesamter Auftritt bei The Cliburn und sein Wigmore Hall Debut unbekannt sind. Dies zu kennen, wäre jedoch eine gute Basis einer kompetenten Kritik

Anmerk. d. Red.: Unser Kritiker bezog sich auf das erste Album, das von Lim bei Decca erscheinen wird.

Samstag, 18.November, 20:54 Uhr

Martin Schmidt

1. Abend, 15.11.23

Das stimmt alles überhaupt nicht. Das Klavierkonzert war keineswegs zerdehnt gespielt. Alles völliger Nonsense. Es war wunderbar gespielt, eine Sternstunde.

Freitag, 17.November, 12:30 Uhr

Richard Van Schoor

2. Abend 16.11.23

Lim spielte nicht „Oktober“ aus Tschaikowskys Jahreszeiten. Es war „November“, also der aktuelle Monat. Störend war der blecherne, dünne Klang des Klaviers im oberen Register, was nicht Lims Schuld war. Das Klavier war nicht richtig reguliert. Schade.

Anmerk. d. Red.: Unser Kritiker war im ersten der beiden Konzerte, am 15.11.23 - dort wurde der "Oktober" gespielt.

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