Am Samstag ging im texanischen Fort Worth der 16. Internationale Klavierwettbewerb Van Cliburn zu Ende – mit einem Finale, das aus einem Hollywood-Drehbuch stammen könnte. Die sechs Finalisten kommen aus Russland, der Ukraine, Belarus, Südkorea und den USA. Die Wettbewerbsleitung hatte sich im Vorfeld explizit dagegen ausgesprochen, Teilnehmer aus politischen Gründen auszuschließen. Das Rennen machte schließlich der jüngste Teilnehmer des gesamten Wettbewerbs: Yunchan Lim aus Südkorea.
Bildquelle: The Cliburn/Richard Rodriguez
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Christoph Hiller im Gespräch mit Sylvia Schreiber
Beim Stichwort Texas kommen einem vielleicht Öl oder die Footballmannschaft der Dallas Cowboys in den Sinn – aber klassische Musik? Tatsächlich bricht in Fort Worth alle vier Jahre, oder wie diesmal pandemiebedingt erst nach fünf Jahren – ein regelrechtes Pianofieber aus. Etliche Straßen in der ganzen Stadt sind mit den Bannern und dem prägnanten Logo des Wettbewerbs beflaggt, es gibt einen eigenen Cliburn-Shop mit allem nötigen und unnötigen, vom Babystrampler übers Brenneisen bis zur Weinkaraffe. Ins Leben gerufen wurde der Wettbewerb, der heuer sein 60. Jubiläum feiert, zu Ehren des Pianisten Van Cliburn, dem es 1958 auf der Höhe des Kalten Krieges gelungen ist, den Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau zu gewinnen.
Besonders spannend war in diesem Jahr die Konstellation des Teilnehmerfeldes: Die Wettbewerbsleitung hatte sich im Vorfeld explizit dagegen ausgesprochen, Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus Russland oder Belarus auszuschließen. Das Finale war dann fast hollywoodreif: Eine Pianistin und ein Pianist aus Russland, einer aus Belarus, ein Ukrainer, ein Südkoreaner sowie ein US-Amerikaner, in ihrer Art so unterschiedlich – stilistisch ebenso wie in ihrer Persönlichkeit. Und auch die Altersspanne war enorm: So haben es mit der 31 Jahre alten Anna Geniushene aus Russland und den gerade mal 18-jährigen Koreaner Yunchan Lim die Älteste und der Jüngste aller 30 Kandidaten und Kandidatinnen ins Finale geschafft. Und die beiden konnten dann schließlich auch die ersten beiden Plätze unter sich ausmachen: Yunchan Lee wurde mit der Goldmedaille und dem Van Cliburn Winner's Cup ausgezeichnet, Anna Geniushene bekam die Silbermedaille. Die Bronzemedaille konnte sich der Ukrainer Dmytro Choni erspielen.
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1. Preis: Yunchan Lim, Südkorea (18)
Bildquelle: The Cliburn/Richard Rodriguez
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2. Preis: Anna Geniushene, Russland (31)
Bildquelle: The Cliburn/Ralph Lauer
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3. Preis Dmytro Choni, Ukraine (28)
Bildquelle: The Cliburn/Ralph Lauer
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Uladzislau Khandohi, Belarus (20)
Bildquelle: The Cliburn/Ralph Lauer
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Ilya Shmukler, Russland (27)
Bildquelle: The Cliburn/Ralph Lauer
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Clayton Stephenson, USA (23)
Bildquelle: The Cliburn/Ralph Lauer
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Das Finale beim Cliburn-Wettbewerb 2022
Bildquelle: The Cliburn/Ralph Lauer
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Anna Geniushene (Russland) 2. Preis; Yunchan Lim (Südkorea) 1. Preis; Dmytro Choni (Ukraine) 3. Preis | Bildquelle: The Cliburn/Richard Rodriguez
Jurypräsidentin und Dirigentin Marin Alsop | Bildquelle: The Cliburn/Ralph Lauer Was den jungen Pianistinnen und Pianisten bei diesem Wettbewerb abverlangt wird, ist enorm. Abgesehen von den gut 40 Grad Celsius im Schatten geht's auch auf der Bühne schweißtreibend zu: Um die viereinhalb Stunden Musik – solo und mit Orchester – hat jeder absolviert, der es bis ins Finale geschafft hat. Und besonders für dieses Finale zum 60. Jubiläum des Wettbewerbs hat man sich wohl das Bonmot zu Herzen genommen: "Everything is Bigger in Texas". Alle sechs Kandidaten mussten innerhalb dieser Finalrunde im XXL-Format, die sich über fünf Tage erstreckt hat, zwei große Klavierkonzerte spielen. Und das war nicht nur für die sechs Pianisten eine riesige Herausforderung, sondern auch für Marin Alsop. Sie fungierte in einer Doppelrolle als Jurypräsidentin und Dirigentin der Finalrunde mit insgesamt zwölf Klavierkonzerten.
Das war kein Marathon, sondern ein Ultramarathon!
Diesen Ultramarathon hat die US-Amerikanerin mit sichtlicher Hingabe und Leidenschaft gemeistert. Ganz individuell ist Marin Alsop auf alle sechs Musikerpersönlichkeiten eingegangen, und auch als Zuhörer konnte man spüren: Bei ihr ist man – im wahrsten Sinne des Wortes – in besten Händen, und das eben nicht nur musikalisch.
Nicht nur die 30 eingeladenen Pianistinnen und Pianisten aus aller Welt, auch die Einwohner von Fort Worth sind ganz enthusiastisch bei "The Cliburn" dabei: Um die 600 engagieren sich als Volunteers ehrenamtlich. Das geht vom Platzanweiser über die legendäre Backstage-Mum bis hin zu den Gastfamilien. So wohnen alle 30 Kandidatinnen und Kandidaten bei einer Host-Family, die eigens für den Wettbewerb einen neuen Steinway nach Hause geliefert bekommen, damit alle die gleichen Übe-Konditionen vorfinden.
Auch wenn sich einige der Kandidatinnen und Kandidaten explizit nicht zu politischen Themen äußern wollten, war man sich doch einig: Man tritt hier nicht für eine Nation an, sondern will gemeinsam durch die Musik als eine universelle Sprache kommunizieren. Viele kennen sich zudem schon seit vielen Jahren oder haben sogar in der gleichen Klasse studiert.
Auch der Leiter des Wettbewerbs, der Kanadier Jacques Marquis, betont noch einmal die Richtigkeit seiner Entscheidung, niemanden vom Wettbewerb ausgeschlossen zu haben.
Es wäre ein großer Fehler, junge Menschen nicht zum Wettbewerb zuzulassen - denn sie könnten die Stimmen von morgen sein.
Der Ukrainer Vadym Kholodenko, 1. Preisträger von 2013, spielt bei der Preisverleihung die Nationalhymne seiner Heimat. | Bildquelle: Richard Rodriguez Für einen Gänsehautmoment sorgte der Auftritt des 1. Preisträgers aus dem Wettbewerbsjahr 2013. Noch bevor Zeremonienmeister Fred Child am Samstagabend die rund einstündige Abschlussveranstaltung in der Bass Performance Hall in Downtown Fort Worth eröffnete, trat der Ukrainer Vadym Kholodenko auf die Bühne und spielte auf dem Flügel die Nationalhymne seiner Heimat.
Weitere Informationen sowie alle vier Runden und Auftritte aller Kandidatinnen und Kandidaten gibt es auf der Website des Cliburn-Klavierwettbewerbs.
Sendung: "Leporello" am 20. Juni 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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