Die Göttliche, die Primadonna Assoluta: Maria Callas gilt als Inbegriff der Operndiva. Ihre Interpretationen sind Messlatte und gleichzeitig unerreicht. Zum 100. Geburtstag der Künstlerin ein Blick auf ihre fünf besten Rollen.
Bildquelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jean-Jacques Levy
Manchmal kursieren bei Künstlerinnen und Künstlern verschiedene Angaben zu ihrem Geburtsjahr. Bei Maria Callas hingegen, unzweifelhaft Jahrgang 1923, ist das genaue Geburtsdatum unklar – wirklich der 2. Dezember? Der Eintrag im Pass widerspricht dem Geburtsregister des Rathauses von New York – 3. Dezember! Und die Mutter betrachtet den 4. Dezember als Tag der Geburt des Kindes. Dieses Datum wird mit der auch von Maria Callas bewunderten Heiligen Barbara in Verbindung gebracht, einer stolzen und streitbaren Schutzpatronin der Artillerie. Wie auch immer: Es sind weltweit rund 600 Opernvorstellungen gewesen, mit denen "La Divina" Gesangsgeschichte geschrieben hat. Zwischen 1939 und 1965. Dann endet ihre Karriere mit einem letzten Auftritt als Tosca. Unter den zahllosen Tondokumenten konzentrieren wir uns hier auf eine kleine Auswahl. Sie vergegenwärtigt uns, welche fünf Rollen als die besten dieser Jahrhundertsängerin angesehen werden können.
Zum 100. Geburtstag von Maria Callas feiert BR-KLASSIK die Diva mit einem umfangreichen Online-Dossier. Darin erinnern wir mit Videos, Hintergrundinfos und Anekdoten an das Leben der Jahrhundertsängerin.
Das alte Dreieck: zwei Frauen – ein Mann! Im Gespinst aus Leidenschaft und Lüge findet eine Druidenpriesterin unter Römern den Weg von seelischem Schmerz zu öffentlichem Schuldbekenntnis. Maria Callas durchlebt keine Rolle so häufig wie Vincenzo Bellinis Norma: 89 Mal. Die berühmte Auftrittsarie "Casta Diva" ist nicht die einzige Szene der Oper, mit der die legendäre Sopranistin Gänsehaut pur erzeugt. Und natürlich weiß sie, wie sie ihre Kräfte klug einteilen kann: für die scheinbar endlosen Melodien des melancholischen Sizilianers Bellinis und dessen Steigerungsdramaturgie, bis hin zum großen Finale. Aufregend zum Beispiel 1960 in Mailand unter Tullio Serafin.
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Maria Callas - NORMA
Für die bedauernswerte Kameliendame von Alexandre Dumas ergreift Giuseppe Verdi vehement Partei. Sein Mitgefühl mit der schwindsüchtigen Kurtisane, die in der Oper den Namen Violetta Valéry trägt, führt zu Tönen von bewegender Zerbrechlichkeit. Auch und gerade in einer der anrührendsten Sterbeszenen des 19. Jahrhunderts. Maria Callas hat sich damit vorbehaltlos identifiziert – an 63 Abenden ihres Lebens. Und dass Sopranistinnen in "La Traviata" (wörtlich übersetzt: die auf Abwege Geratene) den Wandel von genießerischem Leichtsinn zu leidensfähiger Opferbereitschaft in kurzer Zeitspanne glaubhaft machen müssen, lässt diese Interpretin über sich hinauswachsen. Packend zum Beispiel in Mailand 1955 unter Carlo Maria Giulini.
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Verdi - La Traviata NEW MASTERING (Maria Callas, Giuseppe Di Stefano - Ct.rec.: Carlo Maria Giulini)
Wie es klingt, wenn eine Neigung zu geistiger Verwirrung im Charakter eines Menschen angelegt ist, führt uns Gaetano Donizetti, inspiriert von Walter Scott, am Beispiel der Lucy Ashton alias "Lucia di Lammermoor" vor Augen und Ohren. Aus der formal ambitionierten Wahnsinnsszene, einer der bis dahin virtuosesten Gesangsnummern überhaupt, macht Maria Callas ein aufwühlendes Ereignis – in 46 Auftritten. Intensität und Energie ihrer stimmlichen Darstellung wachsen bis zum tragischen Ende der Oper in ungewöhnlichem Umfang. So mutiert Belcanto zu exaltierter Ausdruckskunst. Unnachahmlich zum Beispiel in Berlin 1955 unter Herbert von Karajan.
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Donizetti - Lucia di Lammermoor (Maria Callas, G.Di Stefano - Century's rec. H.V. Karajan 1955)
Der blutrünstige Reißer um eine Sängerin, einen Maler und einen Polizeichef, von denen keiner überlebt – heute gehört er zum etablierten Opernrepertoire. Das von Victorien Sardou ausgedachte Geschehen in der Ewigen Stadt Rom verwandelt Giacomo Puccini in ein enorm spannungsgeladenes Stück Musiktheater. Mit ihrer Sicht auf Tosca löst Maria Callas über einen langen Zeitraum Jubel aus, bei 51 Auftritten in 23 Jahren. Verschiedene Facetten dieser verletzbaren Tigerin, einer eifersüchtigen und tötungswilligen Frau, kommen zum Vorschein. Obendrein spiegelt etwa die zentrale Arie "Vissi d’arte" (Ich lebte für die Kunst), welche Zumutungen das Leben für die unglücklich liebende Privatperson bereithält. Hinreißend zum Beispiel in Mailand 1953 unter Victor de Sabata.
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Puccini - Tosca + Presentation (Maria Callas, Di Stefano, Gobbi - Century's recording : V.De Sabata)
Der Filmregisseur Pier Paolo Pasolini lässt seine eigensinnige Bildästhetik 1970 dem mythischen Klassiker um eine schuldlos gedemütigte Korinther Kindesmörderin angedeihen – mit Maria Callas, diesmal als Schauspielerin. Während der 1950er Jahre erweckt sie die Opernfigur des (von Beethoven und Brahms hochgeschätzten) Florentiner Komponisten Luigi Cherubini aus dem Dornröschenschlaf, in 31 Aufführungen. Wobei sie mit ihrer Durchleuchtung einer rachedurstigen Außenseiterin genügend Anschauungsmaterial für ihre Maxime liefert: dass auch vulkanartig brodelnder Gesang von ausgeprägter Intelligenz gesteuert werden sollte. Unübertrefflich in Mailand 1953 unter Leonard Bernstein.
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Maria Callas Medea full opera (1953 Milan live, conducted by Bernstein, WITH SCORE)
Sendung: Der Opernabend auf BR-KLASSIK am 2. Dezember ab 19:05 Uhr zeigt einen faszinierenden Sonderfall, das Porträt einer Frauenfigur, die Maria Callas auf der Bühne kein einziges Mal verkörpert hat. Ihre Interpretation der Mimì in Giacomo Puccinis "Bohème" hat sie ausschließlich zum Hören entworfen!
Kommentare (4)
Dienstag, 28.November, 11:55 Uhr
Gufo
Callas
Nur wer die Callas an der Scala oder der Met live erlebt hat, kann sich einen glaubwürdiegen Vergleich mit den heutigen Primadonnen erlauben. Die Tonaufnahmen von damals und heute sind wegen der unterschiedlichen Qualitäten für Vergleiche ungeeignet.Hinzukommt,dass sie außer der Tebaldi keine wirkliche Konkurrenz hatte.So lebt der Mythos der Göttlichen bis heute fort und er wird weiter leben,da ein unmittelbarer Live-Vergleich mit den heutigen Primadonnen wie etwa Netrebko oder Yonchewa leider nicht möglich ist.
Donnerstag, 23.November, 22:34 Uhr
Manfred Hebelt
Es ist klasse
Donnerstag, 23.November, 20:22 Uhr
Charlie Jean Bechoux
MARIA CALLAS
Es wird immer nur eine Nummer 1 geben, egal in welchem Bereich oder Beruf. Ob Handwerker, Künstler oder Akademiker.
Die Opernwelt wird „DIE CALLAS“ immer als „Die
GÖTTLICHE“ verehren. Ihre Kraft die Rolle die sie gerade singt so zu verkörpern, gelingt bis heute keiner anderen Sängerin.
In der „Wahnsinnsarie“ glaubt man nicht nur durch ihren Gesang sondern der Darstellung das sie wahnsinnig ist.
Für mich ist und war sie nie erreicht, SIE ist die
PRIMADONNA ASSOLUTA!
Donnerstag, 23.November, 00:09 Uhr
Christa Siebert-Freund
Maria Callas
Maria Callas war die Primadonna assoluta des 20. Jahrhunderts. Es ging ihr nicht um schönes Singen, sondern um Emotion und Ausdruck. Ich werde nie die Fernsehaufnahme eines Konzertes(!) in Hamburg vergessen: sie sang eine Arie nach der andern, ging zwischendurch gar nicht vom Podium ab, vor der nächsten Arie senkte sie kurz den Kopf, konzentrierte sich und als sie wieder aufblickte, WAR sie die Eboli! Ja, auch die Mezzi waren vor ihr nicht sicher! Ich weiß, dass sie in ihrer Jugend auch nicht vor einer Isolde und Fidelio Leonore halt gemacht hat. Ich hätte es zu gern gehört! Auf deutsch? Auf italienisch? Und ich denke auch, dass es nie eine Tosca oder Norma geben wird, die ihrer Musikalität und Ausdruckskraft das Wasser reichen kann.