Corona bringt die ursprüngliche Planung in Bayreuth durcheinander, deswegen wird Markus Poschner nun "Tristan und Isolde" dirigieren. Als der Anruf aus Bayreuth kam, hat er eine halbe Stunde über das Angebot nachgedacht.
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BR-KLASSIK: Markus Poschner, zehn Tage vor der Eröffnung der Bayreuther Festspiele kommt der Anruf und die Anfrage: "Übernehmen Sie die Premiere der Eröffnungsoper Tristan und Isolde?" War das der Augenblick, wo Ihnen das Blut in den Adern gefroren ist oder haben Sie gesagt: Klar, das mache ich?
Markus Poschner: Ich brauchte schon ein bisschen Bedenkzeit. Ich habe eine halbe Stunde erbeten, das einmal kurz durchzudenken und mit meiner Familie zu besprechen. Aber natürlich schlägt das Herz ab der ersten Sekunde höher, vor allem auch noch "Tristan und Isolde"! Das Werk kenne ich sehr gut, und ich liebe es unglaublich. Dann habe ich natürlich schnell zurückgerufen und gesagt: Ja, das machen wir!
BR-KLASSIK: Mit dem Festspielorchester haben Sie schon ein bisschen Erfahrung gesammelt. Sie haben das Gastspiel der "Walküre" 2019 in Abu Dhabi geleitet. Wie war das, dieses Orchester kennenzulernen?
Dort, wo man an anderen Orten niemals hinkommt, da beginnt man hier in Bayreuth.
Markus Poschner: Es ist schon etwas Unvergleichliches und ganz Besonderes. Man hat es ja mit absoluten Experten zu tun, die sozusagen fast kein Notenmaterial brauchen, um diese Werke zu spielen. Man genießt als Dirigent mit diesem Ensemble eine unglaubliche Freiheit, man kann sich bewegen, wie man möchte. Es gibt da eine unglaublich intensive Ebene der Verständigung und der Fokussierung. Und ich sage es mal so: Dort, wo man an anderen Orten niemals hinkommt, da beginnt man hier in Bayreuth. Und das ist natürlich für den Musiker das Allergrößte.
BR-KLASSIK: Was ist da alles möglich? Äußerste dynamische Aufsplitterungen, Ziselierungen oder eben doch noch mal eine andere große Dramaturgie, eine andere Architektur, die man da erwirken kann?
Markus Poschner: Alles. Diese Meisterwerke und alle Partituren von Wagner sind so vielschichtig, so verdichtet, dass man immer wieder von Neuem ansetzen muss, um es zu durchleuchten. Und es sind trotzdem quasi nur Gefäße, in die wir immer wieder Leben einhauchen müssen. (...) Die Musik beginnt ja sozusagen immer wieder von vorne, alle Zeiger stehen auf Null. Und letztlich geht es darum, das Innere, unser Inneres nach außen zu kehren und berührt zu werden. Also wir selbst müssen inspiriert und berührt werden von diesem Kunstwerk. Nur dann können wir auch das Publikum berühren. Das betrifft alle musikalischen Parameter, besonders natürlich extreme Dynamik. Aber auch diese großen Aufbauten, der lange Atem, die Spannung. Man hat großartige Sänger zur Verfügung, mit denen man auch in Bereiche gehen kann, die sogenannten "roten Bereich", wo man nur sehr, sehr schwer hinkommt. Alle gehen auf Risiko und sind bereit, sich dafür auch zu quälen und eben alles zu riskieren – das ist der Idealzustand für uns Musiker.
BR-KLASSIK: Ein Risikofaktor für den Dirigenten ist auch immer der berüchtigte Bayreuther Graben. Manche verfluchen ihn, manche lieben ihn. Wie war es für Sie, als Sie den ersten Akkord und die ersten Töne gehört haben? Und wie hat sich das in dieser Orchesterhauptprobe alles entwickelt?
Markus Poschner: Also ich muss gestehen, aus den Jahren zuvor kannte ich schon ein bisschen _ ich sage mal - das "System Bayreuther Graben". Ich habe dort früher auch schon assistiert. Aber dort dann wirklich selbst zu stehen und die Zügel in der Hand zu haben, ist natürlich noch mal was ganz Anderes, etwas ganz Besonderes. Die Sitzordnung, die Architektur, dieses starke Abfallen und nicht zuletzt natürlich auch der Deckel obendrauf. Also dieses indirekte Klingen. Und das hat doch eine unglaublich große Auswirkung auf das Timing, auf die Art und Weise zu begleiten, auf Orchesterfarben. Transparenz ist natürlich immer so ein Parameter, den wir als unglaublich wichtig empfinden, den es zu erreichen gilt. Dafür muss man im Graben aber oft sehr radikale Entscheidungen treffen, damit es draußen genau die richtige Temperatur hat. Und das sind natürlich Dinge, für die man auch Erfahrung braucht und mit denen man umzugehen wissen muss. Gottseidank gibt es ein großes Team von ganz großartigen Assistenten, Korrepetitoren und Coaches, die ständig im Publikum sitzen und Feedback geben. Ohne die wäre es, glaube ich, nicht möglich, weil gewisse Dinge, die im Orchestergraben einen Effekt machen, so und so klingen, sind draußen unter Umständen ganz verwaschen und haben einen ganz anderen Effekt. Deswegen braucht man auch diese ständige Rückkopplung. Es ist tatsächlich eine große Teamleistung, hier ein Werk so zu formen, wie es am besten möglich ist.
Und dann ist es fast egal, ob Sie drei Jahre vorher gefragt werden, drei Wochen oder drei Tage.
BR-KLASSIK: Sie sind nun sehr, sehr spät in dieser Produktion eingesprungen. Wie war da die "Kunst des Übergangs"? Ein Stichwort aus dem zweiten Akt zum "Liebesduett". Wie haben Sie sich mit Cornelius Meister über sein Konzept und über die Arbeit, die er bisher geleistet hat, ausgetauscht?
Markus Poschner: Natürlich waren wir in Kontakt. Wir kennen uns auch schon sehr lange. Er hat mit dieser Produktion begonnen. Letztendlich braucht man selbst eine sehr starke Fantasie und eine sehr persönliche Vision. Ich kann mich ja nicht in die Haut von Cornelius Meister versetzen. Das würde zu nichts führen. Ich kann nur ich sein - und das ist manchmal schon schwer genug … Das Orchester und die Sänger helfen da ungemein. Das ist natürlich auch eine außergewöhnliche Situation. Man hat quasi nur zwei große Proben miteinander, bis es dann in diese Premiere geht. Aber da wir alle in diesem Werk so verhaftet sind und uns quasi darin in- und auswendig auskennen, ist das durchaus möglich. Und letztlich ist es wichtig, dass man eben selbst sehr stark mit diesem Stück verhaftet ist. Und dann ist es fast egal, ob Sie drei Jahre vorher gefragt werden, drei Wochen oder drei Tage.
BR-KLASSIK: Blicken wir auf das Personal auf der Bühne. Da ist ja "Tristan" eher eine Kammeroper, nicht sehr groß besetzt. Und die Sängerinnen und Sänger, die mit Ihnen in dieses "Tristan"-Abenteuer hineingehen, das sind Stephen Gould – er hat bereits mehrmals den Tristan gesungen – und Georg Zeppenfeld als Marke; auch er war dort schon öfter in dieser Rolle zu erleben. Aber es gibt auch zwei Sängerinnen, die ihr Debüt geben: Catherine Forster als Isolde und Ekaterina Gubanova als Brangäne. Wie konnten Sie in dieser kurzen Zeit auf die Bedürfnisse der Sängerinnen und Sänger ganz persönlich eingehen? Was haben Sie auch gemeinsam an Vertrauen entwickeln können?
Markus Poschner: Vertrauen ist genau das Stichwort. Wir müssen gegenseitig Vertrauen haben in die Entscheidungen, wenn ich die Sänger in eine Richtung bewegen will. Wenn die Sänger mir etwas signalisieren wollen und mich in eine Richtung bewegen wollen. Also, wir müssen uns sehr gut und sehr genau vertrauen. Gottseidank kenne ich fast alle von anderen Opernhäusern, aus vielen anderen Produktionen. Also wir sind uns bestens bekannt. Das hilft natürlich dann ganz enorm. Und manchmal reichen dann nur ein Blick oder eine Geste oder nur ein paar Worte. Wir haben natürlich die vorhandene Zeit genutzt, uns auch am Klavier nochmal zusammenzusetzen und etliche Details auszuprobieren. Aber ich fühle mich tatsächlich da sehr, sehr wohl. Ich hoffe, auch die Sänger. Das habe ich gespürt, schon bei den letzten Proben. Ich glaube, das ist eine ideale Basis, um jetzt wirklich in die Premiere zu gehen.
Es ist vielleicht, neben der Zauberflöte, die allergrößte Herausforderung (...) Ich meine, wie stellt man das Absolute dar, die jenseitige Welt, das Absolute der Liebe, die Sehnsucht.
BR-KLASSIK: Wie ist ihr Gefühl, ihr Wohlgefühl, was die Regie betrifft? Roland Schwab, der Regisseur, sagt, er möchte ein Theater der Weltflucht kreieren und kein zermürbendes Regietheater. Er will Sehnsucht genau in dieser Oper zulassen. Ist das ein Konzept, dass Sie auch als Dirigent abholt?
Markus Poschner: Normalerweise hat man mit einem Regisseur ein, zwei Jahre Zeit, sich um ein Stück zu kümmern und um eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Das fällt natürlich jetzt alles weg. Roland Schwab habe ich natürlich kennengelernt. Wir haben uns auch intensiv und lange unterhalten, aber wir kennen uns jetzt genau eine Woche. Ich finde es sehr faszinierend. Er hat mir das Bühnenbild genauer erklärt, seine Idee, seine Geschichte, die er damit zählen will. Ich kann mich darin wiederfinden. Ich sehe das alles in der Partitur, in dem Libretto, in dem Werk von Wagner versteckt und vorhanden. Es gibt so viele Aspekte, die man dort herauskehren kann. Es ist vielleicht, neben der "Zauberflöte", die allergrößte Herausforderung, überhaupt für einen , so etwas auf die Bühne zu bringen. Ich meine, wie stellt man das Absolute dar, die jenseitige Welt, das Absolute der Liebe, die Sehnsucht. (...) Aber das, was ich jetzt im Gespräch festgestellt habe und letztlich auch gesehen habe über die Bühnenbilder – das hat mich sehr berührt und sehr begeistert. Und ich hoffe, dass das im Gesamtkontext als Gesamtkunstwerk gemeinsam mit der Musik dann tatsächlich verschmilzt und eben die gewünschte Wirkung beim Publikum erreicht.
BR-KLASSIK: Richard Wagner wurde ja auch als Komponist genau in diesem Werk wirklich zum Grenzgänger, einem genialen Grenzgänger, der vieles ausgelotet hat, was harmonisch möglich ist, was klanglich möglich ist. Herr Poschner, Sie sind ein sehr versierter Jazzpianist. Mit dem Wissen, auch in einer anderen Welt musikalisch zu Hause zu sein, fällt es Ihnen da leichter, diese Grenzbereiche dieser Musik jenseits von Funktionalität und von Dur-Moll-Tonalität zu begreifen und zu erfassen?
Markus Poschner: Oh, das kann ich gar nicht sagen. Was mir sehr am Herzen liegt und was mir tatsächlich sehr hilft, ist das Improvisatorische, sich auf die jeweiligen Momente einzustellen. Vieles ist natürlich planbar, man probt deswegen ja auch ganz intensiv. Aber entscheidend ist ja dann immer das, was dann gerade passiert. Und wir kennen als Musiker ja auch die Gefahr, dass man sich zu sehr in die eigenen Ideen verliebt und ein bisschen zu unsensibel und manchmal sogar immun gegen den Moment ist, weil wir einer Idee in unserem Kopf nacheifern. Aber der Moment des Entstehens von Musik, der relevant ist, den verpassen wir. Es ist fast ein bisschen schizophren, dass man sich einerseits in dieser Musik als Gefangener verliert, auf der anderen Seite sich aber immer wieder beobachtet, selbst und die Kontrolle nie verliert. Das ist, glaube ich, ganz entscheidend. Das habe ich im Jazz sehr intensiv erlebt und vielleicht auch gelernt: Man muss auf das, was man in der Sekunde bekommt, reagieren und es weiterverarbeiten, um unter Umständen zu ganz anderen Lösungen zu kommen. Das neue Element ist dann das Publikum: Alles, was in der Generalprobe noch funktioniert hat, steht bei der Premiere mit der Präsenz des Publikums unter einem anderen Stern und verändert letztendlich alle Parameter.
BR-KLASSIK: Das alles Verändernde in "Tristan und Isolde" sind unter anderem auch die Zaubertränke: der Todestrank, der nicht gemischt wird, sondern ein Liebestrank, der angerührt wird und den Tristan und Isolde dann trinken. Herr Poschner, wenn es für Ihr Debüt einen Zaubertrank gäbe, welche Wirkung sollte er haben? Und aus welchen Zutaten sollte er gemixt sein?
Markus Poschner: Meinen persönlichen Zaubertrank habe ich schon in der Partitur gefunden. Ich bin damit sehr, sehr glücklich und sehr zufrieden mit meinen Partnern in dieser Produktion Ich freue mich unfassbar darauf, bei der Premiere dieses Werk neu zu erdenken und erleben zu dürfen.