Boxen zu Renaissance-Musik von John Dowland: Das Konzert "Box-Salon" des Klassik-Start-Ups Hidalgo im Gaswerk Augsburg will Reibung schaffen zwischen klassischer Musik und der Gegenwart. Spannend, aber auch riskant.
Bildquelle: Max Ott
Licht an: Im gigantischen Boxring auf der Brechtbühne in Augsburg hält Boxer Marcel Ciss als Ringrichter den Boxhandschuh des Gewinners in die Höhe: Der Pianist Toni Ming Geiger ist der Sieger. Vom Kampf selbst hat das Publikum nichts mitbekommen; denn dieser ist schon vorbei. Siegestaumelnd marschiert Toni Ming Geiger zu seinem Flügel hinter dem Ring. Seine Kontrahentin, die Sopranistin Andromahi Raptis, liegt noch in voller Boxmontur am Boden. Besiegt. Verlassen. Blaue Augen und das blutverschmierte, schmerzverzerrte Gesicht machen klar: Es war ein harter Kampf. Und sie ist auf ganzer Linie gescheitert.
Das Konzert und der innere Kampf der Boxerin, mit dem Scheitern umzugehen, beginnt: In 10 Runden mit 10 Liedern von John Dowland und Kurt Weill singt sie sich durch die fünf Phasen der Trauer. Regisseur Tom Wilmersdörffer hatte die Idee zum Konzept: "Wenn jemand sein ganzes Leben dem Boxsport gewidmet hat und dann aber weiß: Okay, das war's jetzt, dann ist das wie ein Teil der eigenen Identität, die stirbt. Und um diesen Teil trauert Jenny."
Bildstark hat Wilmersdörffer diese Lieder inszeniert, etwa wenn sich Andromahi Raptis als gescheiterte Boxerin Jenny in den Ecken des Boxringes nach außen lehnt und plötzlich als wildgewordenen Gallionsfigur bei Weills "Seeräuber Jenny" deklamiert: "Alle sollen sterben!", und dadurch irgendwie wieder aus der Ohnmacht auftauchen möchte. Oder wenn sie ihre Boxhandschuhe auszieht, um sie wie ihr Kind im Arm zu wiegen: Ihre Box-Karriere war ihre Identität, ihr Baby, das sie nun aufgeben muss.
Ihre ausdrucksstarke Interpretation der Lieder von John Dowland und Kurt Weill tragen diese emotionalen Extremwelten. Dabei zeigt sie ihr sängerisches Können auch mal am Boden liegend oder boxend. Ihre Stimme klingt klar und seufzend bei den zart bis tragischen Klagen in Dowlands "In darkness let me dwell". Dann wieder haut sie dem Publikum einen textstarken "Surabaya Jonny" von Kurt Weill mit radikaler Gefühlswucht um die Ohren.
Die Konzerte im Rahmen des diesjährigen Mozartfests in Augsburg finden noch bis zum 28. Mai statt, unter anderem mit dem Chamber Orchestra of Europe und François Leleux. Weitere Infos finden Sie hier.
Zwischen den Liedern von Dowland und Weill steigen nun wirklich zwei Boxer in den Ring und treten gegeneinander an. Die gescheiterte Boxerin Jenny träumt sich zurück zu den Höhepunkten ihrer Sportkarriere. Begleitet wird dieser Traum von einer melancholischen Improvisation des feinsinnigen Pianisten Toni Ming Geiger. Zu den heftigen Boxschlägen löst das, wohl absichtlich, ein seltsames Gefühl aus. Ein Experiment, das im Großen und Ganzen beim Publikum ankam!
Sendung: "Allegro" am 23. Mai 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Montag, 23.Mai, 10:36 Uhr
Juan Enríquez
Box-Salon: Peinlich!!! Was hat Brutalität mit Musik zu tun?