Die Wiederentdeckung eines mystischen Nachlasses, die Reflexion der Kunstform Oper an sich oder zwei ganz gar aus dem Heute gedachte Uraufführungen in eher klassischer Form: Die Münchener Biennale zeigt im März coronabedingt ausgefallene Premieren. Gewohnt experimentell. Aber voll von innerer Spannung
Bildquelle: Deutsche Oper Berlin / Thomas Aurin
Kritik
"Once to be realised" bei der Münchener Biennale
Ein bisschen wirkt das wie das Drehbuch für eine Mystery-Serie. Der 44-jährige Komponist Jani Christou stirbt 1970 bei einem Autounfall. In seinem Nachlass finden sich um die 130 Projektskizzen. Versehen mit dem Hinweis: „to be released“. Eine Botschaft an die Nachwelt, als hätte der griechische Künstler eine Ahnung gehabt: Die unvollendeten Skizzen sollen also posthum veröffentlich werden, autorisiert vom früh verstorbenen Schöpfer.
Umso erstaunlicher ist es, dass es dann noch 50 Jahre dauerte, bis diese Musik an die Öffentlichkeit gelangen sollte: Im Vorfeld der Münchener Biennale 2020 verhandelten Manos Tsangaris und Daniel Ott als künstlerische Leiter des Festivals mit Christous Erben über dessen Nachlass. Das Ergebnis: Unter dem Namen "Once to be realised" haben sich sechs zeitgenössische Komponist*innen den Skizzen angenommen und daraus eine Oper, besser ein sehr zeitgenössisches Musiktheater geschaffen. Die Uraufführung war für die Münchener Biennale 2020 geplant. Coronabedingt wurde die Premiere verschoben, schließlich fand sie im Januar 2021 an der Deutschen Oper Berlin statt. Nun steht die Münchner Erstaufführung an.
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Eine richtige Oper, die eine lineare Geschichte erzählt, ist das aber trotzdem nicht. Christou selbst komponierte gerade am Ende seines Lebens stark mit improvisatorischen Elementen. Für die Neuproduktionen setzen sich dann nicht nur die verschiedenen Kompositionsstile wie die von Olga Neuwirth oder Beat Furrer zusammen. Auch dramaturgisch wird das eher ein Flickwerk: Elemente des antiken Dramas sollen mit soziologischen Ideen verknüpft werden, Mystisches trifft auf Metaphysik, Tanz auf Schauspiel und Gesang. Trotzdem ist die Produktion das Highlight einer Reihe, in der nun verschiedene Aufführungen der ausgefallenen Biennale 2020 nachgeholt werden.
Bildquelle: Smailovic Das passt zum allgemein eher experimentellen Zugang, den Manos Tsangaris und Daniel Ott der Biennale seit 2016 geben. Auch die ebenfalls für März angesetzte Premiere einer Installation des Komponisten Ole Hübner ist nicht ganz das, was unter dem Begriff Oper erwartbar ist: "Opera und ihr Double" heißt das Projekt – darin wird die ausgefallene Uraufführung von "Opera Opera Opera" verarbeitet: Audioaufnahmen treffen auf Video. Es geht um die Oper als Kunstform an sich: Früher, heute und in der Zukunft. Klassischer wirken die beiden Stücke "Transstimme" und "Große Reise in entgegengesetzter Richtung". Zweiteres ist wieder eine Gemeinschaftskomposition an der unter anderen auch der israelische Komponist Yair Klartag beteiligt war. Allerdings finden beiden Aufführungen nicht live statt, sondern als Videoproduktion im Internet.
Die Märzausgabe der Münchener Biennale beginnt am Samstag, 5. März mit dem Gesprächsformat "Lab of New Return" im Schwere Reiter. Die Münchner Erstaufführung von "Once to be realised" folgt am Montag, 7. März im Utopia. Weitere Infos, auch zu den digitalen Aufführungen, gibt es unter muenchener-biennale.de.
Sendung: "Allegro" am 4. März 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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