30 Jahre nach der Premiere von Disneys Zeichentrick-Klassiker kommt jetzt die Vorgeschichte in die Kinos: "Mufasa – Der König der Löwen". In die musikalischen Fußstapfen von Elton John und Lebo M tritt Schauspieler und Komponist Lin-Manuel Miranda. Wie glücklich es ihn macht, dass er eine richtige Disney-Ballade schreiben durfte, erzählt er im BR-KLASSIK-Interview.
Bildquelle: dpa-Bildfunk/-
BR-KLASSIK: Wenn Sie sich mal zurück ins Jahr 1994, in Ihre Teenagerzeit versetzen: Was ist Ihre erste Erinnerung an "Der König der Löwen"?
Lin-Manuel Miranda: Oh, das ist ganz einfach: der Trailer. Der war wahrscheinlich der größte Coup in der Geschichte des Marketings. Es wurden einfach nur die ersten vier Minuten des Films gezeigt: Da ist dieser unvergessliche Sonnenaufgang, dann hören wir den Gesang "Nants ingonyama bagithi Baba" ["Da kommt ein Löwe, Vater"] – das war einfach die gesamte "Circle of Life"-Sequenz, und dann stand da "Der König der Löwen". Und im Kino war keiner, der nach diesem Trailer nicht begeistert war und nicht gedacht hätte: "Alles klar, da geh ich rein". Und so ging's mir auch.
Heute, 30 Jahre später, reden wir immer noch darüber.
Es wird ja viel darüber diskutiert, dass Musicalfilme lieber nicht damit werben sollen, dass sie Musicals sind – und dann kommt Disney einfach und sagt: "So, das hier ist der erste Song, wir sehen uns dann im Kino". Das war so eine Machtdemonstration, ein solcher Stolz auf das, was sie gemacht haben, und außerdem eine Klanglandschaft, wie wir sie bis dato noch nie gehört hatten. Und heute, 30 Jahre später, reden wir immer noch darüber.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Carmen Twillie, Lebo M. - Circle of Life (From "The Lion King")
BR-KLASSIK: Und gut 25 Jahre später wurden Sie gefragt, ob Sie selbst Musik zu einem Film aus dieser Erfolgsreihe beitragen wollen. Wie haben Sie reagiert?
Lin-Manuel Miranda: Erstmal ganz pragmatisch, denn als sie mich fragten, hatte ich gerade "Encanto" fertiggestellt, und wir waren noch mitten in der Postproduktion. Also sagte ich ganz ehrlich, dass ich kaputt war. Mein Gehirn war quasi Brei. Dabei wollte ich unglaublich gern mitmachen, denn ich wollte unbedingt mit dem Regisseur Barry Jenkins zusammenarbeiten, weil ich ihn für ein Genie halte. Ich fand außerdem das Drehbuch so überraschend anders, es hatte einen ganz anderen Rhythmus als der erste "König der Löwen"-Film.
In "Mufasa" wird die Vorgeschichte der Beziehung zwischen Simbas Vater Mufasa und seinem Bruder erzählt, von der wir dachten, sie zu kennen, aber in Wahrheit hatten wir keine Ahnung. Die Geschichte ist nämlich ganz anders. Das Drehbuch hat mich so umgehauen, dass ich gesagt habe: "Bitte wartet sechs Monate, bis ich ein langes Nickerchen gemacht habe, und dann bin ich frisch und motiviert, diese Songs zu schreiben". Darauf hat Disney sich eingelassen, und so habe ich mich 2020 an die Arbeit gemacht.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
MUFASA: Der König der Löwen Trailer German Deutsch (2024)
BR-KLASSIK: Wir alle haben die Songs von Elton John und Lebo M von 1994 noch im Ohr. Das sind wohl die denkbar größten Fußstapfen, in die man treten kann. Wie sind Sie damit umgegangen?
Der Löwe Mufasa (Szene aus dem Zeichentrickfilm "Der König der Löwen", 1994) | Bildquelle: dpa-Bildfunk/- Lin-Manuel Miranda: Wissen Sie, das Wunderbare an dem Vermächtnis des Films ist ja gerade, dass er so einzigartig ist und dass der Original-Soundtrack so unsterblich ist. Gleichzeitig haben die Schöpfer selbst bereits den Rahmen dessen erweitert, was "Der König der Löwen" sein kann, etwa mit dem Broadway-Musical. Sie haben diese fünf Songs zu einer kompletten Broadway-Partitur ausgebaut und die Klangpalette der "Lion King"-Songs in einem Ausmaß erweitert, dass "König der Löwen" fast schon ein Musikgenre für sich ist. Das heißt: Wenn man dafür schreibt, merkt man eigentlich sehr schnell, ob man auf dem richtigen Weg ist oder nicht.
BR-KLASSIK: Sie haben also tatsächlich darauf geachtet, dem etablieren Stil treu zu bleiben?
Lin-Manuel Miranda: Ja, absolut. Deshalb wollte ich auch auf jeden Fall mit Lebo M zusammenarbeiten. Seine Stimme ist nicht nur das Erste, was man am Anfang des ersten Films hört, sondern ich denke, sie ist auch eines der Leitmotive des Stücks und des "König der Löwen"-Universums. Deswegen war ich mir bewusst, als ich die Lieder schrieb, dass ich Raum für afrikanische Chorharmonien lassen will, mit denen nur Lebo aufwarten kann und diese Songs ohnegleichen aufwerten.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
The Lion King Broadway musical trailer
Die wichtigsten Werkzeuge sind Recherche und Einfühlungsvermögen.
BR-KLASSIK: Es ist vermutlich herausfordernd, Lieder für einen Film zu schreiben, der in Afrika spielt, wenn man selbst nicht afrikanischer Abstammung ist. Haben Sie über Themen wie kulturelle Aneignung nachgedacht?
Lin-Manuel Miranda schrieb die Musik zum neuen Disney-Film "Mufasa: Der König der Löwen" (Kinostart: 19. Dezember 2024). | Bildquelle: Wikimedia Commons / by John D. & Catherine T. MacArthur Foundation
Lin-Manuel Miranda: Nun, ich denke die zwei wichtigsten Werkzeuge im Werkzeugkasten einer jeden Person, die etwas schreibt – ob nun Schriftsteller:in oder Komponist:in – sind Recherche und Einfühlungsvermögen. Forschen, sich Wissen aneignen, sensibel sein und Fingerspitzengefühl zeigen, darauf kommt es an. Man recherchiert, damit man in die Welt eintaucht, um die es geht. Damit man versteht, was die Zutaten sind, mit denen man arbeiten muss. Und man versetzt sich dann in die Lage der Figuren, von denen man erzählt. Und ich denke, wenn man das mit großer Ernsthaftigkeit und Sorgfalt tut und aus dem Wunsch heraus zu lernen, dann ist das schon die halbe Miete.
Und außerdem war das eine unglaubliche Freude, mit denjenigen zu arbeiten, die das Vermächtnis dieser Musik geschaffen haben. Nicht nur Lebo M, sondern auch Mark Mancina, der die Arrangements gemacht hat. Die beiden haben zusammen am "König der Löwen"-Musical gearbeitet, und ich wusste, dass sie mich nicht in die Irre führen würden, wenn es darum ging, wie diese Welt klingen muss.
BR-KLASSIK: Ihre Songs treten eindeutig in Dialog mit den Klassikern aus "Der König der Löwen". Der Bösewicht Kiros singt eigentlich ein "Anti-Circle-of-Life".
Lin-Manuel Miranda: Genau, ich wollte einen klassischen Bösewicht-Song schreiben. Ich finde, die besten Bösewichte sind diejenigen, die den Hauptcharakteren diametral gegenüberstehen. Sie sind nicht nur böse, weil sie ihre Schnurrbärte zwirbeln. Sondern Sie haben ein anderes Weltbild, das ein Gegenpol zum Weltbild der Protagonisten bildet. So musste ich direkt auf die zentrale Metapher in der Philosophie des Films eingehen und das bedeutet hier: "Der Circle of Life, der Kreislauf des Lebens, ist eine Lüge. Es gibt die Starken und die Schwachen. Und der Starke bin ich." Kiros hat eine Art Bande von Außenseitern und Verstoßenen um sich geschart, die die Stärksten sein wollen. Und wie das nun mal so ist: Die Stärksten fressen, und die Schwächsten werden gefressen. Das ist Kiros Weltanschauung. Das ist auf eine fast verbotene Art reizvoll gewesen, die zentrale Philosophie des Films zu durchbrechen und so den Bösewicht viel mächtiger und viel unheimlicher zu machen.
100 Jahre Disney: Warum lieben wir Disneys Sound so sehr?
BR-KLASSIK: Was ist Ihr Lieblingslied aus dem Soundtrack, welchen Song sollte man unbedingt kennen?
Lin-Manuel Miranda: Oh, Mann ... ich bin stolz auf sie alle. Ich glaube, der eingängigste ist (nach den Reaktionen meiner Kinder zu urteilen) "I always wanted a brother". Ich persönlich fand es am schönsten, die Ballade "Tell me it’s you" zu schreiben, weil wir schon lange keine romantische Ballade mehr in einem Disney-Zeichentrickfilm hatten. "Encanto" war eine Familiengeschichte, "Vaiana" die Reise einer Kriegerin. Aber ich bin in der Ära von "Arielle, die Meerjungfrau" und "Die Schöne und das Biest" aufgewachsen. Ich wollte eine Ballade schreiben, eine richtige Ballade, und das war einfach eine persönliche Freude für mich.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Mufasa: The Lion King - Cast - I Always Wanted A Brother (From "Mufasa: The Lion King"/Audio Only)
Mehr zum Thema "Filmmusik" finden Sie hier.
Kommentare (0)