Ein Klaviersänger: Murray Perahia zählt zu den größten Pianisten unserer Zeit. Seine Karriere war nicht ohne Hürden, doch er ist an ihnen gewachsen. Am 19. April wurde er 75 Jahre alt.
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"Manchmal hab' ich mir gedacht: Warum kann ich das nicht so schön?", sagte der Sänger Dietrich Fischer-Dieskau mal über Murray Perahia, den Sänger am Klavier, der fast ein echter geworden wäre. Schon mit drei nimmt ihn der Vater, ein sephardischer Jude, mit in die Oper, die Met in New York. Jeden Samstag, zwei, drei, manchmal vier Stunden. Und der kleine Murray liebt es. Tenor will er werden und landet dann doch an den Tasten. Singen kann er dort schließlich auch.
Und surfen. Kaum jemand phrasiert so cool wie er. Perahia ist ein An- und Entspannungskünstler, einer, der das Instrument atmen lässt. Unter seinen Händen blüht und welkt das Klavier, als sei es die natürlichste Sache. Aber er ist auch einer mit viel Sinn für Struktur, den Zusammenhang, den großen Bogen. Bestes Beispiel sind seine Bacheinspielungen. Schon heute Klassiker. Ähnlich wie die von Glenn Gould, nur dass ihnen alles Spleenige fehlt. Wenn man bei Gould denkt, krass, so kann man das auch machen, denkt man bei Perahia: Wie kann man das überhaupt anders machen?
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Bach: French Suite No 4 - Murray Perahia
Nicht zu romantisch, nicht zu flach – Bachspielen sei ein Balanceakt, sagt Perahia. Gemeistert hat er ihn ausgerechnet in einer Spielpause. Stichwort: Daumen. Zentrales Motiv in so ziemlich allem, was über ihn geschrieben wird. Kein Wunder, die Geschichte ist einfach gut. Tragisch, aber mit glücklicher Pointe. Schuld ist das Notenpapier. Anfang der Neunziger schneidet sich Perahia damit in den Daumen. Der entzündet sich chronisch und der Pianist muss pausieren. Drei lange Jahre. Eigentlich ein Grund zu verzweifeln. Perahia wächst daran, schicksalsergeben, nicht fatalistisch.
Glockenhellerr Anschlag, mühelose Phrasierungen: Murray Perahia singt fömlich am Klavier. | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Es ist kein Klischee, wenn man sagt, dass Leiden das Verstehen erhöht", sagt der Pianist, "Man wächst daran. Und ich will das nicht nochmal erleben, aber es verschafft einem eine gewisse Einsicht." Zum Beispiel die Einsicht, dass Musiker keine Handwerker sind. Musik passiere im Kopf, sagt Perahia. Ganze Symphonien könne er im Kopf abspielen. Wenn ihm langweilig sei, knipse er einfach den neuronalen Plattenspieler an. Und üben würde er sowieso am liebsten im Zug, die Partitur auf den Knien. Verkopft sind seine Interpretationen deshalb nicht. Im Gegenteil, seine Rückkehr aufs Podium wird als Offenbarung gefeiert: Sein Spiel habe eine neue Tiefe gewonnen, aus einem guten Pianisten sei einer der wichtigsten Klavierkünstler unserer Zeit geworden.
Dass das nur die halbe Wahrheit ist, erkennt man, wenn man sich alte Mozartaufnahmen von Perahia anhört. Seinen glockenhellen, aber warmen Anschlag, die mühelosen Phrasierungen, den subkutanen Swing. Und irgendeinen Grund muss es ja gehabt haben, dass ihn ausgerechnet Vladimir Horowitz unter seine Fittiche nimmt. Der größte Pianist aller Zeiten, sagt Perahia. Eine interessante Kombination, die beiden: Immerhin hat Perahias ausgeglichen-stilsicheres Spiel erstmal wenig zu tun mit Horowitz' launisch-flamboyantem Angang. Sinn fürs Singen haben sie allerdings beide.
Es kein Klischee, wenn man sagt, dass Leiden das Verstehen erhöht.
Andreas Neubronner, langjähriger Tonmeister von Murray Perahia, rühmt dessen Ernsthaftigkeit. "Er will an den Kern kommen", sagt er über den Pianisten. Der gibt übrigens selbst zu, obsessiv zu sein, nicht locker lassen zu können – auch wenn er wisse: Perfektion, die gibt es nicht. Das mag dazu beitragen, dass er noch immer lampenfiebrig ist, aufgeregt, trotz mehr als einem halben Jahrhundert auf der Bühne. Schuld ist nicht das Publikum. Grund ist das Gerechtwerdenwollen, die Verantwortung gegenüber der Musik. Und das Wissen darum, dass Gelingen immer mit Unsicherheiten verbunden ist. Man kann sie sehen, diese Unsicherheiten, wenn man ganz genau hinschaut, auf die Hände, Perahias nervös flatternden Fingerspitzen. Hören kann man sie in der Regel nicht. Der Sound blüht und welkt, als sei's die natürlichste Sache.
Sendung: Leporello am 19. April 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Sonntag, 24.April, 22:44 Uhr
Cäcilia Schukow
Murray Perahia und Bach
Es vergeht fast kein Tag, an dem ich auf Bach verzichte, entweder hörend oder auf meiner Geige selbst etwas spielend. Und fast täglich gehört auch Murray Perahia mit Bach zu meinen liebsten Hörgewohnheiten. Mit seinem Spiel bringt er mir Frieden und Klarheit in mein Gemüt, ich werde ruhig und ganz darauf konzentriert. In allen Lebenslagen hat mir Bach immer geholfen, wieder zur Ruhe zu kommen, entweder nach tiefer Trauer oder schwerer Enttäuschung. So möchte ich Murray Perahia als treue Hörerin nachträglich zu seinem Geburtstag gratulieren, ich hatte 9 Tage vor ihm Geburtstag.
Dienstag, 19.April, 21:46 Uhr
Beate Schwärzler
Murray Perahia - 75 und schon lange wieder da !
Hab' ich mich gefreut,, als ich (vor langen Jahren) erfuhr, daß Murray Perahia wieder Klavier spielen kann und habe gerne zugehört, wenn er (im Radio) erzählte, was er so gemacht hat
in der Zeit, als er dies nicht konnte.
Ich hör' ihm einfach gerne zu. Wenn er spricht und wenn er spielt.
Und d i e s e s freundliche Gesicht, das Sie ausgewählt haben - tut einfach gut.