Von Bach bis Bob Dylan: Heute ist Musik in der Kirche breit aufgestellt – und bekommt beim Musikfest ION in Nürnberg ein international beachtetes Podium. Am 27. Juni startet Europas großes Festival für Geistliche Musik.
Bildquelle: dpa-Bildfunk/Kathi Meier
Gleich an den ersten beiden Festival-Tagen, am 27. und 28. Juni, wird das breite musikalische Spektrum deutlich, mit dem das Musikfest ION die Nürnberger Kirchenräume erfüllt: Da präsentieren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Masterclass für Chordirigieren mit Frieder Bernius dem Publikum, 200 Kinder singen gemeinsam Beethoven und das junge, frische "Stegreif Orchester" revolutioniert das Symphoniekonzert mit Klängen über drängende Gegenwartsfragen wie etwa Nachhaltigkeit.
Ein Musikfest – für den Intendanten Moritz Puschke ist das weit mehr als nur eine Reihe von Konzerten. "Das Musikfest ION ist ein Ort für’s Weiterdenken, Vertiefen, Debattieren und Ausprobieren. Für die Gegenwart. Und für die Zukunft." So formuliert Puschke Anspruch und Selbstverständnis. Und so hat er in den sechs Jahren seiner Amtszeit die Internationale Orgelwoche Nürnberg (ION) zu einem modernen Festival weiterentwickelt, das sich nicht nur der Kirchenmusik widmet, sondern die Kirche als Ort für Musik viel weiter fasst.
Es kommt darauf an, ob eine religiöse oder spirituelle Erfahrung ermöglicht wird.
30. Juni 2024, 20:03 Uhr, Festspielzeit live: Cameron Carpenter spielt Bach
22. Juli 2024, 18:05 Uhr, Festspielzeit: "Ein Deutsches Requiem" von Johannes Brahms, Leitung: Frieder Bernius
26. Juli 2024, 22:05 Uhr, Festspielzeit: Wolfgang Niedecken singt Bob Dylan
30. Juli 2024, 18:05 Uhr, Festspielzeit: Stegreif - The Improvising Orchestra
Moritz Puschke, Intendant des Musikfests ION | Bildquelle: Joanna Scheffel Dabei fühlen sich Moritz Puschke und sein Team dem Geist der alten Orgelwoche, von der noch das Kürzel ION im Namen geblieben ist, durchaus weiterhin verpflichtet – denn die erste Orgelwoche sendete 1951, sechs Jahre nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, aus den Trümmern der immer noch nur notdürftig reparierten Stadtkirchen ein Zeichen der Versöhnung und Erneuerung aus. Und bis heute wird der erste Buchstabe im Kürzel besonders ernst genommen, denn von Beginn an war das Festival international ausgerichtet und vor allem auch überkonfessionell. Inzwischen trifft sich aber nicht nur die Kirchenmusik-Szene Europas in Nürnberg, vielmehr blickt das Musikfest ION mit musikalischen "Nightflights" und vielen anderen innovativen Konzertformaten über den Tellerrand hinaus und lockt Menschen in die Kirchenbänke, die dort sonst eher nicht hingehen würden.
Das Musikfest ION versteht sich zudem als genre-offenes Festival, das keineswegs auf klassische Musik festgelegt ist. Deutschrock-Pionier Wolfgang Niedecken singt und liest Werke von Bob Dylan, "Masaa" verbindet arabische Verse und lyrischen Jazz und Sergey Malov interpretiert Bach auf Violoncello da spalla, E-Geige und Loop Station.
Aber auch die ikonischen Werke der Kirchenmusik erklingen in den imposanten Kirchenräumen von St. Sebald und St. Lorenz: etwa Bachs Johannes-Passion mit dem Ensemble Resonanz oder das "Deutsche Requiem" mit dem Kammerchor Stuttgart unter Frieder Bernius. Bruckners 200. Geburtstag ist in diesem Jahr Thema im Konzert des BR Chors unter der Leitung Peter Dijkstra – und Vokalkunst der Extraklasse ist zudem beim Auftritt des Tenebrae Choir aus London zu erleben. Zum ersten Mal gibt es beim Musikfest ION auch ein Mitsingkonzert, bei dem die "Lobgesang"-Symphonie von Felix Mendelssohn Bartholdy leidenschaftliche Hobby-Sängerinnen und -Sänger auf die Bühne lockt.
Der Organist Cameron Carpenter tritt beim Musikfest ION auf. | Bildquelle: Dovile Sermocas Zur DNA des Musikfests ION gehört seit je die Orgel – und auch in diesem Jahr setzen sich wieder Weltklasse-Interpretinnen und -Interpreten an die Orgeltische der Nürnberger Kirchen. Den Auftakt macht der "Paradiesvogel" in der Orgelzunft, der US-Amerikaner Cameron Carpenter, für den Bach eine unabdingbare Konstante ist und der sich selbst die "Goldberg-Variationen" für die Orgel erschlossen hat – BR-KLASSIK überträgt dieses Konzert-Highlight am 30. Juni live.
Ein Video voller Spezialeffekte: Draußen gewittert's, in einer Kirche spielt Angela Metzger im Disco-Look Bachs berühmte Toccata d-Moll. Die Konzertorganistin ist auch beim Musikfest ION zu Gast. Lesen Sie hier das Interview mit Angela Metzger über ihr besonderes Videoprojekt.
In den Mittagskonzerten während des Festivals präsentieren sich junge und außergewöhnliche Interpretinnen und Interpreten, etwa Angela Metzger, die erst kürzlich für BR-KLASSIK einen frischen audiovisuellen Blick auf Bachs berühmte d-Moll Toccata geworfen hat. Oder Anna-Victoria Baltrusch, die junge Universitätsorganistin in Halle, oder Aurel Dawidiuk und Sebastian Heindl, beide noch keine dreißig und schon gefeiert in der Orgelszene. "Ich spüre gerade bei den Jungen, die wir auch dieses Jahr bei den Mittagskonzerten haben", sagt Intendant Moritz Puschke, "dass das eigentlich genau diese Grenzgängerinnen und Grenzgänger sind, dass da diese stilistische Öffnung ist und dass das ungeheuer neugierige Leute sind, die auf die Komponisten zugehen, die auf den Plattformen unterwegs sind, nicht nur Social Media, die sich vernetzen, und die Lust haben, irgendwie dieses ganze Thema Orgel noch mal völlig neu anzupacken."
Sendung: "Allegro" am 26. Juni 2024, ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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