Die Geschichte des ungeliebten Fischer Peter Grimes steht im Zentrum der gleichnamigen Oper von Benjamin Britten. Sie machte den Komponisten Mitte des 20. Jahrhunderts international bekannt. Dieses Wochenende feiert "Peter Grimes" an der Bayerischen Staatsoper Premiere. Das sind die musikalischen Highlights, auf die Sie sich freuen können.
Bildquelle: Wilfried Hösl
„Diese kleine Ecke Englands, in der ich geboren bin und wo ich so viele Jahre meines Lebens verbracht habe – Suffolk mit seiner lieblichen Hügellandschaft, mit seinen erhabenen gotischen Kirchen, großen und kleinen; mit seinen Marschen und ihren wilden Seevögeln, seinen großen Häfen und kleinen Fischerdörfern – ich bin in dieser herrlichen Grafschaft fest verwurzelt.“ Das bekannte der britische Komponist Benjamin Britten einmal und so nimmt es nicht wunder, dass diese tiefen Eindrücke auch in seine Werke einfließen. In Aldeburgh besaß Britten Grundstück und Haus. Dort betreute er auch ein eigenes Festival. Von der geschätzten Küstengegend an der Nordsee hat er sich immer nur widerwillig getrennt. Seine Oper "Peter Grimes" ist eine tönende Hommage an ebenjene Gegend in Ostengland.
Suffolk mit seiner lieblichen Hügellandschaft [...] – ich bin in dieser Grafschaft fest verwurzelt
Im Zentrum der Bühnenhandlung, die um das Jahr 1830 spielt, steht der Konflikt zwischen dem ungeliebten Fischer Peter Grimes und der Dorfgemeinde, in der er lebt. Ein Gedicht von George Crabbe lieferte die Vorlage. Die Titelfigur ist ein rauer Geselle mit weichem Kern, mit einer Neigung zum Introvertierten. Sehnsüchte sind diesem Mann nicht fremd. Sein Seelenleben ist bei Britten auf das engste mit der Schilderung eines Unwetters verwoben. Es tobt in seinem Inneren, seitdem die Dorfgemeinschaft in ihm nicht nur einen Außenseiter, sondern einen Mörder sieht. Denn ein kleiner, ihm anvertrauter Junge ist in seinem Beisein auf hoher See über Bord gegangen – und ertrunken. So wird Grimes von den Menschen, die ihn beobachten, dazu gezwungen Verantwortung zu übernehmen, Gerechtigkeit walten zu lassen. Soll heißen: sein Boot zu besteigen, aufs Meer hinaus zu fahren und zu kentern ...
Dass sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert mehrere englische Komponisten innerhalb ihres Mediums kreativ mit dem Meer auseinandergesetzt haben – Edward Elgar, Frederick Delius, Ralph Vaughan Williams –, wirft ein charakteristisches Licht auf die naturgemäß durch das Wasser geprägte Erlebniswelt der Insulaner. Zumindest der Küstenbewohner. Brittens konzentrierte, quasi filmische Stimmungsbilder weisen untereinander motivisch-thematische, aber auch formale Gemeinsamkeiten auf. Das ruft den Eindruck zyklischer Zusammengehörigkeit hervor.
Der Komponist Benjamin Britten. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Die Oper gliedert sich in Prolog und drei Akte. Jeder von ihnen enthält ein Präludium (Vorspiel) und ein Interludium (Zwischenspiel). Für die Konzertfassung der "Four Sea Interludes", die sich verselbständigt hat, setzte Britten alle drei Vorspiele und eines der drei Zwischenspiele neu zusammen, wobei er das Zwischenspiel aus dem ersten Akt an den Schluss der "Four Sea Interludes" stellte. Die modifizierte Abfolge der Stücke lässt eine balladeske, kontrastiv crescendierende Dramaturgie zustande kommen. Atmosphärisch äußerst dicht. Die Objekte klanglicher Imagination und Deskription sind für Britten: erstens Dämmerung ("Dawn"), zweitens Sonntagmorgen ("Sunday Morning"), drittens Mondlicht ("Moonlight"), viertens Sturm ("Storm").
In unterschiedlichem Grad werden Assoziationen mit konkreten Details der Naturschilderung provoziert. Zu den Tonmalereien gehört die arpeggierende Figur von Klarinetten, Harfe und Bratschen, die den Wogen des Meeres gelten ("Dawn"), gehört das dissonant ineinander verschränkte Hörner-Ostinato zur Suggestion sonntäglichen Glockenläutens ("Sunday Morning"). Dieses "Allegro spirituoso" hat aus aufführungspraktischen Gründen für die konzertante Version einige Retuschen erfahren. Im Opern-Original wird währenddessen der Blick auf die Bühne frei: die Dorfbewohner beim Kirchgang! Durch modale Anklänge lydischer Art, Kirchentonales also, wirkt die Musik unmittelbar auf das visuell Gebotene geeicht.
Im monothematischen, nicht zufällig den labilen Quartsextakkord favorisierenden "Andante comodo e rubato" ("Moonlight") soll laut Artikulationsvorschrift jeder Takt mit einem wehmütigen Schweller versehen werden. In Kombination mit Flöte und Harfe tritt auch das Xylophon auf – mit Todesvorstellungen verknüpft. Als sei hier nicht das Naturspektakel gemeint, sondern der subjektive Eindruck davon, vor der Kulisse des dramatischen Bühnengeschehens.
Szene aus "Peter Grimes" an der Bayerischen Staatsoper in der Inszenierung von Stefan Herheim (2022) | Bildquelle: Wilfried Hösl Die Physiognomie von Peter Grimes ist schließlich, im Rahmen eines veritablen Seelengemäldes ("Storm"), mit der Schilderung eines Unwetters verwoben. Das Zitat des Leitmotivs mit dem einprägsamen Nonen-Stoßseufzer steht dabei für das sehnsuchtsvoll Introvertierte im Wesen des sonst so rauen Gesellen. Der zugeordnete Gesangstext lautet: "What harbour shelters peace?" oder "We strained into the wind, heavily laden." Der Daseinskonflikt des Fischers zwischen Wunsch und Wirklichkeit, seine Konfrontation mit der Dorfbevölkerung spiegelt sich in einer Grundkonzeption Brittens. Kreuz- und b-Tonarten folgen aufeinander. Pointiert treten Tritonus-Spannungen auf. Polytonalität kommt zum Einsatz. Auf metrischer Ebene findet ein bizarrer Wechsel von Zweier- und Dreiertakt statt. Das Faszinosum besteht darin, dass diese strukturellen Merkmale der Musik, ihr changierendes Moment, als Chiffre für die Situation des tragischen Helden verstanden werden können. Gleichzeitig aber auch als Chiffre für die unberechenbare Janusköpfigkeit des zwielichtigen Meeres - dem Leben gegenüber gebärdet es sich bald spendend, bald vernichtend.
Am Sonntag, 6. März, ab 18:00 Uhr überträgt BR-KLASSIK die aktuelle "Peter Grimes"-Premiere der Bayerischen Staatsoper live im Radio und Video-Livestream.
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