Routinen seien nichts für ihn – sonst schlafe er schlecht, sagt Pianist Pierre-Laurent Aimard. Bei den Salzburger Festspielen präsentierte er einen Klavierabend zum 150. Geburtstag von Arnold Schönberg – mit einem üppigen, modernen Programm, das knapp drei Stunden dauerte.
Bildquelle: SF/Marco Borrelli
BR-KLASSIK: Sie spielen bei den Salzburger Festspielen eine sehr lange Liste von Werken, die auch nicht kurz sind. Etwa "Gaspard de la nuit" von Ravel. Andererseits bin ich mir ziemlich sicher, dass sie da eine klare Linie vor Augen hatten, als Sie das Programm zusammengestellt haben.
Pierre-Laurent Aimard: Mit Markus Hinterhäuser (Intendant der Salzburger Festspiele, Anm. d. Red.) haben wir uns gefragt, wie wir Schönberg feiern könnten in diesem Jahr, wo wir selbstverständlich seinen 150. Geburtstag zelebrieren. Ich wollte sehr gerne sein ganzes Klavierwerk in Salzburg spielen - die fünf Opus, die ja eigentlich seine Veränderungen in Schreibweise und Stil sehr gut darstellen. Jedes dieser fünf Stücke habe ich mit ein oder zwei Stücken aus derselben Ära kombiniert, die jedes Stück irgendwie beleuchten.
BR-KLASSIK: Wie hängen zum Beispiel "Gaspard de la Nuit" und Schönberg zusammen?
Pierre-Laurent Aimard bei den Salzburger Festspielen 2024 | Bildquelle: SF/Marco Borrelli Pierre-Laurent Aimard: Wir sind in den Jahren des Expressionismus. Schönberg, der mit seinem Opus 11 zum ersten Mal ein atonales Stück schreibt, repräsentiert einen mitteleuropäischen Expressionismus. Daneben spiele ich die 9. Sonate von Skrjabin, die ein paar Jahre später den russischen Expressionismus repräseniert. Und die auf eine andere Art und Weise mit ihrem harmonischen System die musikalische Sprache erneuerte. Und mit "Gaspard de la Nuit" haben wir den Fall eines französischen, expressionistischen Werks. Das ist viel seltener, vielmehr eingerahmt, sehr transparent organisiert, zeitlich sehr geregelt, aber auch von ähnlichen Monstern, wenn ich das so sagen kann, inspiriert.
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BR-KLASSIK: Es ist ja trotz allem ein langes Programm. Es sind knapp drei Stunden Musik, die Sie da spielen. Erfordert das von Ihnen eine bestimmte konditionelle Kraft?
Pierre-Laurent Aimard: Ja, man muss sich wohl vorbereiten. Aber sie sprechen so, als wäre das die einzige Art und Weise, einen Klavierabend zu präsentieren – zum Glück nicht. Es gibt hunderte Möglichkeiten, einen Abend zu konzipieren.
Der Markt entscheidet alles
BR-KLASSIK: Warum glauben Sie denn, dass wir heute immer so auf 90 Minuten gepolt sind, um es mal ein bisschen überspitzt zu formulieren?
Pierre-Laurent Aimard: Der Markt entscheidet alles.
BR-KLASSIK: Und wer bestimmt den Markt? Ich meine, Sie setzen ja jetzt auch so ein umfangreiches Programm fest. Und die Menschen werden kommen.
Pierre-Laurent Aimard: Klar, die Menschen sind interessiert, nicht nur an Gewohnheiten oder Routinen, sondern an Frischheit und Kreativität. Es gibt immer einen Kampf gegen Routinen. Diese Systeme bestehen seit Ewigkeiten.
BR-KLASSIK: Und sie sind jemand, der gegen die Routine ist?
Pierre-Laurent Aimard: Ich hoffe. Sonst werde ich schlecht schlafen. Wenn wir ein bisschen herumschauen, sehen wir, wie formell und konservativ unsere klassische Welt der klassischen Musik ist. Und ja, da wollen wir ein bisschen Bewegung reinbringen.
Sendung: "Leporello" am 6. August 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Sonntag, 11.August, 21:42 Uhr
Woodtli Marianne
dreistündiges Konzert
Das Programm von Herrn Aimard ist wohldurchdacht, sehr interessant. Als Ausnahmepianist kann er sich diese Dauer leisten.
Donnerstag, 08.August, 18:39 Uhr
Asinus
Aussage
Ich denke, er widerspricht sich ein bisschen - ich halte ihn für einen der besten französischen Interpreten von Franz Schubert - der ja auch das Tor zur Moderne geöffnet hat.