Die Uraufführung war letztes Jahr in Namibia, nun steht in Berlin die Europapremiere von "Chief Hijangua" bevor. Eine Oper, die die gemeinsame Geschichte Namibias und Deutschlands thematisiert. Vier Jahre lang haben Regisseurin Kim Mira Meyer und Komponist Eslon Hindundu darauf hingearbeitet.
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Namibias erste Oper
Interview mit Kim Mira Meyer
Musik verbindet Menschen, Kontinente, Konfessionen. Musik ist eine Sprache ohne Worte, und Musik kann Welten bewegen. Seit Jahren arbeiten Regisseurin Kim Mira Meyer und Komponist und Dirigent Eslon Hindundu an einer Koproduktion, die ihre Heimatläner verbindet: Namibia und Deutschland. 2022 wurde die erste namibische Oper in der namibischen Hauptstadt Windhoek uraufgeführt, beklatscht und bejubelt. Nun kann das deutsche Publikum sich ein Bild machen. Zusammen mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin dirigiert Eslon Hindundu seine Oper. Regie führte bei "Chief Hijangua" Kim Mira Meyer. Sie ist Spielleiterin am Staatstheater am Gärtnerplatz und hat in den vier Jahren der Produktion auch eine persönliche Entwicklung hinter sich, wie sie im BR-KLASSIK-Interview verrät.
BR-KLASSIK: Hinter Ihnen liegt ein langer Produktionsweg. Die Premiere in Namibia war ja schon, jetzt Deutschland, Europa. Wie hat das denn eigentlich alles seinen Anfang genommen?
Kim Mira Meyer: Eslon Hindundu und ich haben uns 2019 bei den Opernfestspielen in Immling kennengelernt. Er war im Chor, ich war Regieassistentin. Wir haben uns angefreundet und haben viel über Oper gesprochen. Da hat er mir erzählt, dass er den Traum hat, die erste Oper seines Landes zu schreiben. Ich liebe verrückte Ideen, und es ist dann aus diesem Projekt erst mal eine Freundschaft entstanden. Irgendwann haben wir dann hier in München einen Verein gegründet (Momentbühne e.V.), und eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. So hat sich das Projekt über mittlerweile vier Jahre hinweg langsam aufgebaut. Und jetzt sind wir hier in Berlin und spielen die Europapremiere.
BR-KLASSIK: In der Regel arbeitet man als Regisseurin ja mit den Werken verstorbener Komponisten und kann da auch relativ frei verfahren. Wie ist es denn bei einer Uraufführung, wenn der Komponist stets dabei ist? Wie haben sich denn die Proben gestaltet?
Kim Mira Meyer: Es ist sehr, sehr intensiv, aber auch sehr schön und sehr herausfordernd. Wir haben ja grundsätzlich die Situation, dass wir im Kollektiv arbeiten. Das heißt, ich als Regisseurin habe auch einen Co-Regisseur aus Namibia. Das ist zwingend notwendig, da ich mir natürlich nicht anmaßen kann, zu entscheiden, wie ein Village in Namibia lebt und wie ich das szenisch auf die Bühne bringen kann. Deswegen arbeiten wir kooperativ. Und Eslon Hindundu hat als Komponist natürlich auch sehr klare Vorstellungen. Daher können wir auch nur so arbeiten, wie wir es tun: ohne Hierarchien, damit man alles offen ansprechen kann. So hatten wir auch im Probenprozess schon Streitgespräche und sehr emotionale Momente, die aber wichtig waren, damit wir im Dialog dann das Beste aus der Oper herausholen können.
Das Ensemble Recherche aus Freiburg beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Postkolonialismus und mangelnde Diversität in der Musik. Und hat deshalb ein besonderes Konzert auf die Bühne gebracht.
BR-KLASSIK: Zu diesem "auf Augenhöhe“ arbeiten hat auch gehört, dass die Proben in beiden Ländern statt gefunden haben. Wie war das denn zu bewerkstelligen?
Bildquelle: Mario Thorhauer Kim Mira Meyer: Auch das war eine Riesenherausforderung. Aber das war uns so wichtig, denn über die Chorproben hinaus, die schon in Namibia stattgefunden haben, sind Michael, mein Co-Regisseur, und ich tagelang durch Namibia gereist. Das war auch eine Riesenaktion, von Windhoek acht Stunden in seinem winzigen Auto in den Norden Namibias zu fahren, wo die Himba People leben. Die Menschen leben heute noch so wie die Herero gelebt haben vor der Kolonialzeit. Wir haben uns dann ganz viel mit diesen Menschen dort unterhalten und recherchiert und Gespräche geführt, um das und diese Energie auch auf die Bühne zu bringen, im ersten Akt, wenn wir sehen: Wie war denn das eigentlich, bevor die Deutschen kamen?
Ich lerne jeden Tag dazu.
BR-KLASSIK: Bei der Aufarbeitung des Kolonialismus ist große Sensibilität gefragt. Und man bekommt es bei solchen Projekten immer wieder mit, dass Menschen aus Europa beispielsweise sagen, dass sie bei der Arbeit selbst auf so eingefahrene Klischees bei sich selbst gestoßen sind, mit denen sie halt aufgewachsen sind. Haben Sie solche Beobachtungen auch bei sich gemacht?
Kim Mira Meyer: Ich lerne jeden Tag noch so viel dazu, und es ist halt auch so schön, weil nur so können wir genau diese ganzen Vorurteile und auch Ängste, die im Raum schweben, überhaupt angehen. Wir bemerken, dass wir – aus Namibia, Südafrika und Deutschland – eine unterschiedliche Vorstellung davon haben, was Ästhetik auf der Bühne bedeutet.
Und natürlich kann ich jetzt herkommen und zum Beispiel einen Kommentar zum Kostüm machen, das aus Namibia kommt, aber die namibische Kollegin nimmt es ganz anders wahr. Und so muss man ständig mit kulturellen Gewohnheiten agieren, die in Namibia ganz anders sind als bei uns. Eigentlich finden wir ständig einen Kompromiss aus Namibia und Deutschland. Und diesen Kompromiss werden wir auf der Bühne sehen. Wir haben keine rein namibische, keine rein deutsche Inszenierung und künstlerische Umsetzung. Wir sehen alle Perspektiven, sowohl die deutsche als auch die namibische.
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Chief Hijangua - Eine namibische Oper in vier Akten - Trailer
BR-KLASSIK: Letztes Jahr hat ja schon die Welt-Uraufführung stattgefunden, im namibischen Nationaltheater in Windhoek. Wie hat das Publikum dann bei der Premiere reagiert?
Kim Mira Meyer: Das war unfassbar berührend, weil wir zweimal ausverkauft waren, zweimal Standing Ovations und im Anschluss an die Aufführung eine Riesenfeier hatten. Wir wussten ja auch nicht, wie das ankommen wird. Es war ja ein riesiger Kampf, alle haben 24/7 gearbeitet, damit das rechtzeitig auch auf die Bühne kommt. Es war ein wahnsinnig berührender Moment. Und es war so schön, wie positiv es in Namibia angekommen ist. Das ist, glaube ich, auch der Grund, warum wir es heute in Berlin spielen können.
BR-KLASSIK: Ursprünglich war das ja mal für München geplant. Wieso ist es jetzt in Berlin?
Kim Mira Meyer: Ach, das kann ich gerne sehr ehrlich beantworten. Wir haben viele Probleme gehabt, in München Unterstützung zu finden, es nach München zu bringen. In Berlin hatten wir sehr viel, wir wurden mit offenen Armen willkommen geheißen, haben sehr viel Unterstützung erfahren, sowohl von der Lotto-Stiftung, die uns fördert, als auch vom Senat und generell auch von ganz vielen Institutionen her. Das Rundfunkorchester Berlin ist großartig.
In München hätten wir es im Deutschen Theater spielen wollen. Wir hatten auch Unterstützung vom Deutschen Theater, aber es ist leider bisher an der Kommunikation mit der Politik in München gescheitert.
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The Cast of Chief Hijangua
Sendung: "Allegro" am 15. September 2023, um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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