Die Pianistin Ragna Schirmer spielt am 18. Juni beim Mozartfest Würzburg das Klavierkonzert von Robert Schumann. Der hatte es einst für seine Frau Clara komponiert. Was verrät das Konzert über die Beziehung des Ehepaares? Wieviel von der Pianistin Clara Schumann steckt darin? Und was bedeutet es für Ragna Schirmer, selbst in die Rolle der Interpretin zu schlüpfen?
Bildquelle: Frank Eidel
BR-KLASSIK: Ragna Schirmer, das Klavierkonzert von Robert Schumann haben Sie wahrscheinlich schon tausend Mal gespielt. Wie halten Sie Ihre Interpretation frisch?
Ragna Schirmer: In der Tat spiele ich dieses Konzert schon sehr lange, sehr gerne und sehr oft. Aber in den letzten Jahren habe ich verstärkt das Klavierkonzert von Clara Schumann gespielt. Und ich habe geguckt: Seit etwa zehn Jahren habe ich Robert Schumann in dieser Form nicht mehr unter den Fingern gehabt. Das ist für mich jetzt superspannend im Vergleich zu dem Konzert von Clara. Man entdeckt teilweise sich überlappende Formen und romantische Gesten. Und dann gibt es aber auch wieder das ganz Eigene bei Robert. Das Thema bezieht sich ja auf den Namen Clara – beziehungsweise auf Chiarina, die Koseform. Für mich ist dieses Konzert auch eine Liebeserklärung an Clara.
BR-KLASSIK: Sie haben sich ja generell sehr viel mit Clara Schumann beschäftigt. Sie ist ein Schwerpunkt in Ihrem künstlerischen Leben. Inwiefern erfährt man in dieser Komposition denn etwas über Clara als Interpretin? Oder als verliebte und geliebte junge Frau?
Künstlerehepaar Robert und Clara Schumann | Bildquelle: picture alliance / akg-images Ragna Schirmer: Zunächst mal erfährt man hauptsächlich etwas über die Pianistin Clara. Robert Schumann hat größten Wert darauf gelegt, dass man seine Werke, wenn man sie zur Aufführung bringt, wirklich durchdrungen hat – nicht nur technisch, sondern auch geistig und emotional. Er schreibt ja auch in seinen musikalischen Haus- und Lebensregeln, was er von einem Pianisten erwartet, in welcher Art und Weise der üben und sich vorbereiten solle. Und da er Clara und ihre Übungen am Tag natürlich immer mitbekam, wusste er, wozu sie fähig ist – technisch und natürlich auch emotional. Clara hat täglich vier bis fünf Stunden Fingerübungen durch alle Tonarten gemacht und dann entsprechend aus dieser Souveränität heraus die Gestaltung. Das Klavierkonzert ist nicht nur eine Liebeserklärung, sondern es ist vor allen Dingen eine Auseinandersetzung: ein Disput mit diesem Künstlerleben, mit dem Zusammenleben eines Komponisten und einer Interpretin. So verstehe ich das.
BR-KLASSIK: Heißt das für Sie, dass Sie auch fünf Stunden am Tag Tonarten und Tonskalen üben, um dieses Werk zu spielen?
Ragna Schirmer: Einerseits ja. Ich versuche natürlich schon, diesen ganz, ganz hohen Anspruch an mein Üben zu erfüllen. Andererseits leben wir heute in einer gänzlich anderen Zeit. Clara hat eine große Zahl von Konzerten gespielt, verglichen mit anderen Interpreten ihrer Generation. Aber für sie lag zwischen zwei Konzerten auch eine enorm lange Zeit des Reisens. Insofern stand das Üben und das Auftreten damals in einem anderen Verhältnis als heute. Ich habe zum Beispiel gerade erst zwei Konzerte von Mendelssohn gespielt, jetzt spiele ich das von Schumann. Das heißt, für mich bestehen die Fingerübungen auch darin, einfach im Konzertleben aktiv zu sein und mich selbst für und auf der Bühne fitzuhalten. Man muss dann natürlich aufpassen, dass die Hände nicht all die unterschiedlichen Motive und Strukturen verwechseln. So gesehen muss man sich immer wieder ganz speziell auf das eine Werk des Abends einstellen.
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Ragna Schirmer - Clara - Piano Concerto in A Minor, Op. 7: III. (Offizielles Musikvideo)
Ich versuche, die Menschen zu erinnern, was unser Leben lebenswert macht
BR-KLASSIK: Beim Mozartfest Würzburg geht es in diesem Jahr um "Schuld und Vergebung". Blickt man in die Welt, hat man das Gefühl, dieses Motto erfährt tragische Aktualität. Welche Rolle spielt das Thema Schuld und Vergebung für Sie?
Ragna Schirmer: Da sind wir Musiker natürlich in einer ganz besonderen Situation. Die Kultur beinhaltet ja auch die Kultiviertheit. Und da ist die Frage, wie wir miteinander umgehen, wie wir in Gemeinschaft sein wollen, wie wir uns in Harmonie verhalten. Die aktuelle Lage ist eigentlich eher eine Disharmonie. Das ist bedrückend und bedrohlich. Als Interpretin von Musik, also einer Vermittlerin des Schönen, versuche ich mich eben auf die Werte zu stützen, die ich lebe. Und ich versuche, durch berührende Momente die Menschen zu berühren und sie an das zu erinnern, was unser Leben lebenswert macht. Damit hoffe ich einen winzigen, aber immerhin mir möglichen Beitrag dazu zu leisten, dass wir auch miteinander so umgehen, dass jeder das nach seinen Möglichkeiten schönste Leben leben kann.
Dienstag, 18. Juni 2024 um 20 Uhr
Kaisersaal der Residenz, Würzburg
Camerata Salzburg
Ragna Schirmer Klavier
Giovanni Guzzo Violine und Leitung
Wolfgang Amadeus Mozart Ouvertüre zum Dramma serio »La clemenza di Tito« KV 621
Robert Schumann Klavierkonzert a-Moll op. 54
Felix Mendelssohn Bartholdy Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 11 (MWV N 13)
BR-KLASSIK: Sie sind erst kürzlich in Japan gewesen und beschäftigen sich auch seit einiger Zeit mit fernöstlicher Philosophie und Kontemplation. Wie wirkt sich das auf Ihr Leben und Ihr Spiel aus?
Ragna Schirmer: Diese Japantour hat mir unfassbar viele neue Sichtweisen geöffnet, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Thema "Offene Türen" zum Beispiel spielt in Japan eine große Rolle. Man geht durch geöffnete Türen. Sie schließen sich nur, wenn man einen Fehler macht. Das hat sehr viel mit Dankbarkeit, mit Spiritualität zu tun. Auch wenn ein Japaner einen Raum verlässt, dreht er sich kurz um und bedankt sich für das, was er gerade erleben durfte. Das hat mir wieder vor Augen geführt, dass man mit dieser Grundhaltung der Dankbarkeit durch das Leben gehen kann.
BR-KLASSIK: Lässt sich davon etwas in Ihr Leben transferieren?
Ragna Schirmer | Bildquelle: © Robert Dämmig Ragna Schirmer: Als Musikerin lebe ich ja in der Kreativität, und ich versuche, alle Erfahrungen und Erlebnisse, die ich mache, in mein Leben zu integrieren. Das lässt sich auch gar nicht vermeiden. Wenn ich stundenlang übe und mich mit mir selbst und musikalischen und emotionalen Abläufen auseinandersetze, dann mache ich mir natürlich zwangsläufig Gedanken über mein Leben. Ich halte es schlichtweg für unmöglich, dass irgendwelche Dinge passieren, die nichts mit uns machen. Wir sind uns dessen vielleicht manchmal nicht bewusst. Aber jeder Tag, den wir erleben, ist ja in irgendeiner Form in unserem Gedächtnis verhaftet. Und genau das beeinflusst dann auch wieder das Zukünftige. Das geht gar nicht anders. Wenn ich eine Stelle mit drei verschiedenen Fingersätzen übe, dann weiß die Hand auf der Bühne nicht, welchen der drei sie jetzt nehmen soll. Ich muss mich also für einen entscheiden. Den mache ich mir dann zur Gewohnheit. Ich parke ihn in meinem Bewusstsein. Trotzdem sind die anderen beiden im Unterbewusstsein noch da. Da kann es passieren, dass sie eines Tages wieder aufploppen. Ich glaube, so ist das mit allem, was wir erleben und tun.
Man muss sich selbst immer wieder neu justieren.
BR-KLASSIK: Klavierspielen begleitet Sie seit Jahrzehnten. Es ist wahrscheinlich Ihre langlebigste Beziehung. Wie gelingt es Ihnen, nicht in einer Bubble zu leben?
Ragna Schirmer: Das gelingt ganz automatisch, denn das Leben ist ja nicht einseitig. Auch in der Auseinandersetzung mit der Bühne, mit der Musik, mit mir selbst erlebe ich immer wieder Phasen oder kurze Momente des Zweifels, wo etwas einfach nicht gelingt. Dann muss man sich selbst wieder neu justieren. So schwierig das in dem Moment auch sein mag. Aber genau das sind die Momente und die Phasen, die am Ende dann das Schöne wieder bestärken. Das heißt: Diese Ambivalenz aus dem, was wunderbar ist und einen mit Freude erfüllt und dem, was zweifeln lässt und misslingt, die ist einfach da. Sich da immer wieder neu zu justieren, ist schon spannend genug.
BR-KLASSIK: Frau Schirmer, wenn Sie ein Konzert spielen, dann stehen Sie in gewisser Weise für ein Produkt, nämlich für klassische Klaviermusik auf höchstem Niveau. Wie gehen Sie denn damit um, eine Art Dienstleisterin zu sein?
Ragna Schirmer: Wir sind Interpreten. Wir geben etwas wieder, was andere erschaffen haben. Das heißt, da ist der Künstlerbegriff natürlich schon mal mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Man erschafft ja nicht kreativ, sondern gibt etwas wieder – interpretiert mit eigenen Mitteln der Emotionalität und der Technik natürlich. Clara sagt selbst gegen Ende ihres Lebens: Das, was Robert erschaffen hat, bleibt. Was sie als Pianistin getan hat, wird vergehen. Es gibt viele Interpreten, die schon zwei Generationen später nicht mehr als schöpferische Künstlerpersönlichkeiten wahrgenommen werden. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Aber es ist trotzdem eine Aufgabe, Musik hörbar und für die Menschen lebendig zu halten. Das ist umso wichtiger, wenn Werke 150, 200 oder 300 Jahre alt sind und trotzdem aktuell gehört werden möchten. Das spricht ja für die Qualität dieser Musik. Und diese Qualität ist dann eben zu bedienen. So gesehen empfinde ich mich schon als Dienstleisterin, aber eben als Dienerin des Schönen. Und damit kann ich wunderbar leben.
Sendung: "Leporello" am 18. Juni 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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