Bombenalarm vor dem Konzert, der Krieg ist Alltag, doch die Musik lebt fort: Die Münchner Cellistin Raphaela Gromes ist nach Kiew gereist, um dort ein Konzert mit dem Nationalorchester der Ukraine zu spielen. Eine erschütternde und tief bewegende Erfahrung über die große Kraft der Musik.
Bildquelle: picture alliance/dpa | Henning Kaiser
BR-KLASSIK: Raphaela Gromes, vergangenes Jahr im Dezember sind Sie nach Kiew gereist. Sie haben dort ein Konzert mit dem Ukrainischen Nationalorchester gespielt. Wie ist es dazu gekommen?
Raphaela Gromes: Ich habe dieses Orchester hier in Deutschland auf Tour gehört, vor ein paar Jahren als der Krieg schon begonnen hatte, und war total überrascht und begeistert von der Qualität des Orchesters. Ich bin danach zu Wolodymyr Sirenko, dem Chefdirigenten dieses Orchesters gegangen und habe ihm gratuliert. Und er hat gesagt, ich könnte jederzeit gerne nach Kiew kommen und dort ein Solokonzert mit dem Orchester spielen. Und das fand ich so eine liebe Einladung, dass ich das dann auch realisieren wollte. Es hat aber ein bisschen gedauert, bis es schließlich zu diesem Konzert kam.
BR-KLASSIK: Sie haben keine Sekunde überlegen müssen, ob Sie dort hinfahren, ins Kriegsgebiet?
Raphaela Gromes: Nein, das war mir ganz klar. Es war natürlich schon so, dass ich die Situation immer wieder auch mit Sorgen beobachtet habe. Es gab auch ein paar Tage, wo Kiew direkt angegriffen wurde und in diesen Tagen wäre ich auch nicht gefahren. Aber ich war auch in Kontakt mit einigen Ukrainern und Ukrainerinnen, die mir kurz bevor ich dorthin gefahren bin, gesagt haben, dass dort eigentlich Alltag herrscht. Es ist zwar auch Alltag, dass jeden Tag Luftalarm ist, es ist Alltag, dass man gefühlt jeden Tag in den Bunker gehen sollte. Nur tut das dort keiner mehr. Die Leute dort sagen, dass sie sich von Russland nicht mehr terrorisieren lassen wollen. Und nur wenn ganz schwere Bomben wirklich ganz nah sind, suchen die Menschen Schutz in den Bunkern. Aber im Grunde ist der Krieg dort Alltag geworden und zwar so, dass meistens nichts passiert im Zentrum von Kiew. Und diese Menschen haben mir dann auch Mut gemacht, dass ich tatsächlich dort hingefahren bin.
BR-KLASSIK: Das klingt jetzt einigermaßen entspannt. Waren Sie auch entspannt, als Sie über die Grenze gefahren sind?
Raphaela Gromes: Das war der Moment, bei dem ich in diesen ganzen fünf Tagen meiner Ukraine-Reise am wenigsten entspannt war. Und auch der Moment, als ich wieder zurückgefahren bin, denn da war mir wirklich schwer ums Herz. Auf dem Hinweg habe ich auch Panzer gesehen: Ich war mit dem Nachtzug von Warschau Richtung Kiew unterwegs, 16 Stunden Fahrt. Und als wir über die Grenze fuhren, wurde man erst mal von Soldaten und von Grenzbeamten kontrolliert – und da waren diese Panzer, die in Richtung Grenze standen.
Da habe ich zum ersten Mal begriffen, was das wirklich heißt, im Kriegsgebiet zu sein.
BR-KLASSIK: Wie haben Sie sich da gefühlt?
Raphaela Gromes: Da wurde mir dann doch sehr mulmig zumute und da habe ich zum ersten Mal begriffen, was das jetzt wirklich heißt, hier im Kriegsgebiet zu sein. Auf der anderen Seite habe ich mich auch besonders beschützt gefühlt, weil eben überall Soldaten, überall Panzer waren. Außerdem ist die Technik dort mittlerweile so weit, dass wenn irgendwas im Luftraum ist oder irgendwas von Russland Richtung Ukraine startet, dann gibt es sofort eine Warnung auf allen Handys und es fängt sofort die Sirene an zu heulen. Es ist ein hoch technologisierter Krieg, auch in der Abwehr.
BR-KLASSIK: Haben Sie sich so eine App installiert? Oder welche Sicherheitsvorkehrungen sind Ihnen angetragen worden?
Raphaela Gromes: Ja. Es gibt eine App, in der man genau angeben kann, in welcher Region man ist. Gleichzeitig habe ich dann aber auch von den Menschen dort gehört, dass diese App relativ unzuverlässig sei und dass es besser ist, einem bestimmten Telegram-Kanal zu folgen. Den habe ich mir dann auch installiert. Den habe ich übrigens immer noch und verfolge täglich die schlimmen Angriffe mit. Ich schreibe dann auch meinen Freundinnen und Freunden dort, frage, wie es ihnen geht. Gerade in den letzten Wochen hat die Intensität der russischen Angriffe ja leider noch mal zugenommen.
BR-KLASSIK: Sie haben für dieses Konzert in Kiew das Cellokonzert von Dvořák ausgewählt. Warum?
Raphaela Gromes: Das Dvořák-Konzert ist mein absolutes Lieblingskonzert, schon seit meiner Kindheit. Es ist DAS Cellokonzert schlechthin – ein wahnsinnig großes Werk, eine Dreiviertelstunde lang, sehr symphonisch. Cello und Orchester sind gleich wichtig, haben gleich große Parts nebeneinander. Es gibt auch sehr intime Kammermusikpassagen, wo das Solocello mit der Klarinette, mit der Geige, der Querflöte oder der Oboe in sehr intimem Dialog zueinandersteht. Dieses gemeinschaftliche Musizieren ist etwas, was mir bei diesem Konzert immer so unglaublich viel Freude macht. Und auch, weil in diesem Konzert alle Emotionen vorkommen.
Ehrlich gesagt waren wir alle einfach glücklich, das Konzert überhaupt spielen zu können.
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The Kyiv Concert - Dvorak Concerto with Raphaela Gromes & the Ukrainian National Symphony Orchestra
BR-KLASSIK: Wie war es dann konkret, an diesem Ort und unter diesen Umständen, das Konzert zu spielen?
Raphaela Gromes: Es war ein Wahnsinnserlebnis. Ich habe eine sehr genaue Erinnerung an diesen Nachmittag. Denn tatsächlich gab es einen der intensivsten Bombenalarme. Und ehrlich gesagt waren wir alle einfach glücklich, das Konzert überhaupt spielen zu können. Denn während eines Bombenalarms kann man ja kein Konzert spielen. Dann hätten die Zuschauer gar nicht das Zuhause verlassen können, um zum Konzert zu kommen. Und wir waren so glücklich, als wir wussten: Wir können jetzt einfach spielen. Eine große Erleichterung und auch Dankbarkeit.
Es war auch eine große Solidarität dort zu spüren. Übrigens auch auf der Straße, im Café oder im Restaurant. Alle Menschen untereinander sind so solidarisch und so aufmerksam, weil man eben weiß: Es kann jederzeit etwas passieren. Und jeder, der da ist, gehört irgendwie zu einer Art verschworenem Kreis. Dadurch habe ich auch eine große Dankbarkeit vom Publikum erlebt. Die Leute waren unglaublich berührt davon, dass ich diese Reise auf mich genommen habe und dort für sie gespielt habe. Danach haben sie mir sehr viele Geschenke überreicht. Also es war sehr, sehr emotional.
"Sich nur kurz wie in Friedenszeiten fühlen": Lesen Sie hier den BR-KLASSIK Artikel über die Macht der Musik im Krieg.
BR-KLASSIK: Neben Dvořák haben Sie auch Musik von ukrainischen Komponistinnen und Komponisten gespielt. Warum war Ihnen das wichtig?
Raphaela Gromes: Das gehörte für mich zum Kulturaustausch und zu diesem Solidaritätsprojekt dazu. Das wollte ich ja auch mit diesem Konzert von Anfang an zeigen. Ich fand es auch spannend, mit einem ukrainischen Orchester zu spielen, noch dazu mit dem besten Orchester der Ukraine. Chefdirigent Wolodymyr Sirenko hat sehr viele ukrainische Werke uraufgeführt, zum Beispiel von Hanna Havrylets und von Valentin Silvestrov. Und ich dachte mir, ich kann ja auch sehr viel lernen vom Orchester und von Sirenko. Und mein Plan ist auch aufgegangen: Beim Dvořák-Konzert habe ich sehr viele Ideen mitgebracht und mit dem Orchester gearbeitet, bei den ukrainischen Stücken war es eher so, dass sie ukrainischen Musikerinnen und Musiker mich in ihre Welt mitgenommen haben.
Dieses Leiden muss einfach ein Ende haben und wir dürfen nicht wegschauen.
BR-KLASSIK: Nach dieser Reise haben Sie sich verabredet, dieses Konzertprogramm auch als Album aufzunehmen und damit gemeinsam mit dem Nationalorchester der Ukraine auf Tournee zu gehen. Was für ein Gedanke steckt dahinter?
Raphaela Gromes: Es geht auch darum, dass dieser Konzert-Moment eben so emotional war, dass mir klar wurde: Ich will ihn nicht einfach enden lassen. Wir müssen diese Zusammenarbeit unbedingt weiterführen. Und ich fand, dass dieses Dvořák-Konzert in Kiew eine ganz andere Intensität hatte, als ich sie oft vorher auf der Bühne erlebt hatte. Diese Intensität wollte ich ein Stück weit auffangen und dieses Projekt so einem größeren Publikum zugänglich machen. Gleichzeitig wollte ich meine Liebe zu Ukraine und auch zu diesen ukrainischen Werken noch mal zeigen, indem ich diese ukrainischen Stücke, die man hierzulande viel zu selten hört, aufgenommen habe. Dass jetzt auch das Ukrainische Nationalorchester hier mit mir auf so eine große Tour geht, bedeutet mir auch sehr viel. Ich möchte auch ein Stück weit darauf aufmerksam machen, was immer noch Schreckliches passiert. Tagtäglich sterben Menschen dort. Kinder in Krankenhäusern sterben, Frauen sterben, weil sie keine Versorgung bekommen können – oder werden vergewaltigt. Und natürlich sterben auch an der Front viele Menschen. Dieses Leiden muss einfach ein Ende haben und wir dürfen nicht wegschauen.
BR-KLASSIK: Sie haben auch an einer anderen Stelle nicht weggeschaut: Sie sind nach Browary in der Ukraine gereist, in ein SOS-Kinderdorf, und haben dort für Kinder und mit Kindern musiziert. Wie haben Sie diesen Teil Ihrer Reise erlebt?
Raphaela Gromes: Dieser Moment, als wir dieses Kinderdorf in der Nähe von Kiew besucht haben, war bestimmt der emotionalste der ganzen Ukraine-Reise. Es sind alles Kinder von Familien, die durch den Krieg zerstört wurden. Die meisten Kinder dort sind Waisen, andere haben noch Väter, die an der Front kämpfen. Ein Mädchen sagte, sie wünscht sich, dass ihr Vater an Weihnachten wieder heimkommt. Unser größtes Anliegen war, diesen Kindern mal für zwei Stunden eine Ablenkung zu geben.
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Weihnachten in der Ukraine: Raphaela Gromes musiziert mit Kindern aus dem SOS-Kinderdorf Brovary
BR-KLASSIK: Haben Sie seitdem etwas von den Kindern gehört?
Raphaela Gromes: Zwei von diesen Kindern sind jetzt tatsächlich an der Uni aufgenommen worden und studieren Geige. Die waren so angespornt von unserem Besuch, dass sie richtig viel geübt haben, sie dürfen jetzt nach Rumänien und Polen fahren, um dort mit Orchestern zu spielen. Das hat denen also richtig Auftrieb gegeben. Und solche Geschichten sind etwas, was uns sehr, sehr viel zurückgibt. Und was wir hauptsächlich geben wollen, ist vielleicht ein Leuchten und eine Kraft. Eine Erinnerung, die diese Kinder auch in den allerschwersten, düstersten Stunden immer bei sich tragen können und die ihnen dann hoffentlich etwas Kraft gibt.
BR-KLASSIK: Haben Sie vor, noch mal in die Ukraine zu fahren?
Raphaela Gromes: Ich würde wahnsinnig gerne zurückkehren. Ich bin auch schon in Kontakt mit dem Orchester für einen nächsten Termin. Wir haben aber gesagt, wir machen erst mal die Tour im November 2024. Für das SOS-Kinderdorf habe ich eine Patenschaft übernommen und bin in ständigem Kontakt, aber wenn es irgendwie geht, werde ich wieder hinfahren. Es ist natürlich auch ein großer Zeitaufwand: Man braucht zwei Tage hin, zwei Tage zurück. Aber es ist mir ein sehr großes Anliegen.
Raphaela Gromes' neue CD zusammen mit dem Ukrainischen Nationalorchester erscheint am 13. September 2024 bei Sony Classical, u.a. mit dem Cellokonzert von Antonin Dvořák und Werken ukrainischer Komponisten.
Tourdaten November 2024:
13.11. Ludwigshafen, 14.11. Philharmonie Berlin, 17.11. Philharmonie Essen, 18.11. Antwerpen, 19.11. Hamburg Elbphilharmonie, 21.11. Vaduz 24/25.11. München, 26.11. Ingolstadt
Sendung: "Allegro" am 9. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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