Was darf man alles im klassischen Konzert? Die Pianistin Alice Sara Ott sagt: vieles. Solange es hilft, das elitäre Image der Klassik abzubauen. In unserer BR-KLASSIK-Community wurde über diese Ansicht leidenschaftlich diskutiert.
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Alice Sara Ott äußerte sich zuletzt in einem Interview mit BR-KLASSIK recht deutlich darüber, was sie von Dresscodes und Verhaltensregeln im Konzertsaal hält: "Man hat den Eindruck, dass die klassische Konzertszene sehr elitär ist. Dass es unausgesprochene Regeln und einen Dresscode gibt. Und all das macht es Menschen in meinem Alter schwerer, in diese Konzerte zu gehen". Ott aber möchte mit ihren Konzerten ein breiteres Publikum erreichen. Und eines, dass einfach genießen darf. Fernab von Konventionen. Also klatschen aus einem Impuls heraus, wenn so gefühlt, dann gerne auch zwischen den Sätzen. Oder in Jeans nach der Uni mal schnell ins Konzert gehen.
In der Facebook-Community von BR-KLASSIK haben diese Äußerungen geteilte Meinungen hervorgerufen. Die Grundsituation, die Ott beschreibt, und auch der Konflikt sind bekannt. So erinnert sich etwa die Userin Lara M. an "ein Klavierkonzert, bei dem ich klatschte und der Pianist mich entzürnt ansah und mir zu verstehen gab, dass mein Gefühlsausbruch unpassend wäre." Das habe sie zwar nicht daran gehindert, weiterhin Klassikkonzerte zu besuchen. Doch sie verstehe auch: "Manchmal nimmt ein Applaus auch die Energie auf der Bühne." Anders die Erfahrung von Heidi Luise L.: "Ich war so oft bei Violinkonzerten und der sehr sympathische Stargeiger hat wirklich gesagt... Sie können klatschen wann sie wollen. Mich hat's dann nicht mehr im Sitz gehalten."
Generell fällt auf, dass der Dresscode weniger als Voraussetzung für einen Konzertbesuch wahrgenommen wird als die Ruhe zwischen den Sätzen. Michael S. erklärt: "Ich mache mich gerne schick, wenn ich mir ein klassisches Konzert anhöre. Für mich macht hübsche Kleidung den Rahmen feierlicher. Muss ja kein Frack oder Smoking sein. Jean mit feschem T-Shirt und Sakko tuts auch. Kurze Hosen, Sandalen und ein (altes) T-Shirt halte ich für underdressed." Doch wie Sabine P. feststellt: "Dresscode? Den gibt´s seit 50 Jahren nicht mehr! Insbesondere bei jungen Leuten ist die Jeans oder der casual look überall üblich."
Die Kleidung greift aber auch weniger ins Konzertgeschehen ein als das Klatschen zwischen Sätzen. Denn Beifall hören ja auch alle anderen Konzertbesucherinnen und Konzertbesucher. Michael S. erklärt zwar, dass es bis ins 19. Jahrhundert war es durchaus üblich gewesen sei, "dass man zwischen den Sätzen oder nach einer Kadenz applaudiert hat." Doch er findet es "schöner, wenn ich mir ein Konzert von Anfang bis Ende ungestört anhören kann." Auch Wolfgang P. findet: "Dass man zwischen den Sätzen nicht klatscht, hat doch nichts mit elitär zu tun, sondern mit musikalischem Verständnis. Ein Konzert ist nun mal eine Einheit und die Stille zwischen den Sätzen gehört dazu. Klatschen zerstört den wunderbaren Effekt von c-moll zu E-dur und wieder zurück nach c im 3. Klavierkonzert von Beethoven, klatschen zerstört den Kontrast aus tieftraurig bei II auf ausgelassen fröhlich in III in Mozarts KV 488 und es gibt dutzende weitere Beispiele." Angela B. ist da anderer Meinung: Sie habe früher im Chor in der örtlichen Kirche gesungen. Beifall sei damals ein Stilbruch und fast ein Skandal gewesen. Doch es habe Standing Ovations gegeben, die Begeisterung sei einfach so groß gewesen. Bezüglich der heutigen Klatsch-Etikette fragt sie: "Warum kann man sich hier nicht auch öffnen? Beharren auf Verhaltensregeln schließt immer aus, wie in Kommentaren hier zu lesen ist." Darauf weist auch Stefan S. hin: Wer Wert darauflege, dass in den Satzpausen nicht applaudiert wird, berufe sich ja auf eine "höhere Kennerschaft / Zugehörigkeit zur Gruppe der Kenner." Außerdem weist er auf den finanziellen Aspekt hin, der bei hohen Kartenpreisen ja auch immer potenzielles Publikum ausschließe.
Arno D. fasst dann ganz locker und treffend zusammen: "Beim Klatschen passe ich mich an, um den Hörgenuss nicht zu stören. Bei der Kleiderordnung mache ich was ich will, um dem Sehgenuss was zu bieten..." Und so zeigt sich in der Diskussion auf Facebook letztendlich eine doch ganz alte Moralvorstellung: Kants kategorischer Imperativ. Oder etwas vereinfacht ausgedrückt: Die eigene Freiheit endet da, wo sie die anderen einschränkt.
Kommentare (1)
Sonntag, 19.Februar, 13:59 Uhr
Frank Frei
Weltfremd?
Frau Ott scheint nicht besonders viel Kontakt mit Menschen außerhalb ihrer Blase zu haben. Es gibt enorm viele junge Leute, die großes Interesse haben Zusammenhänge zu verstehen und auch gerne respektieren, dass man etwa einen Liederzyklus möglichst nicht durch Applaus unterbricht. Ein Konzertbesuch hat natürlich seine Regeln und Konventionen, aber das hat auch der Besuch eines Rockkonzerts oder eines Fußballstadions. Ebenso genießen es nicht wenige junge Menschen, sich für besondere Gelegenheiten gut anzuziehen. Die Auslastung der Konzerte wird nicht steigen, wenn man da in Zukunft auch in Badehose hingehen kann.