Maria Callas war die größte Tragödin der Operngeschichte. Mit perfekter Technik, glühender Intensität und dramatischer Wucht. Und als Mensch eine einsame Seele – immer auf der Suche nach Glück, Liebe und Geborgenheit. Die neue Biografie "Maria Callas. Die Stimme der Leidenschaft" von Eva Gesine Baur erzählt vom Drama ihres Lebens.
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Bei diesem Leben kann einem schwindlig werden: 56 Bühnenaufritte, sieben Hauptpartien, 14 Konzerte, sieben Solo-Recitals. Und das bis zum März 1945. Da ist Maria Callas 21 Jahre alt.
30 Kapitel hat diese Biographie. Atemlos ziehen die Lebensstationen vorbei, die fast 500 Seiten sind gespickt mit zahllosen Anekdoten. Und doch zerfasert dieses Portrait nicht, sondern gewinnt mit jedem Kapitel an Schärfe, an Profil. Mit einem literarischen Kunstgriff schält sich schon bald die Komplexität dieser Frau heraus: Da kämpft unentwegt die stolze, oft starrsinnige Künstlerin Callas gegen die um Liebe, Nähe und Geborgenheit buhlende Maria.
Zum 100. Geburtstag von Maria Callas feiert BR-KLASSIK die Diva mit einem umfangreichen Online-Dossier. Darin erinnern wir mit Videos, Hintergrundinfos und Anekdoten an das Leben der Jahrhundertsängerin.
Maria Callas | Bildquelle: © picture alliance / AP Images Als Bühnenmensch ist die Callas ein Naturtalent. Mit 17 singt sie Puccinis "Tosca" im Freilufttheater von Athen. Und verinnerlicht sofort den Rat ihres klugen Regisseurs André Barsacq: "Bewege nie die Hand, wenn du ihr nicht mit dem Verstand und der Seele folgen kannst. Und reagiere auf der Bühne auf deine Kollegen stets so, als ob du ihre Worte zum ersten Mal hörtest. Denn so würdest du im wirklichen Leben schließlich auch reagieren."
Später wird die Callas nicht nur wegen ihrer Ausnahmestimme berühmt, sondern auch dafür, was sie auf der Bühne mit ihren Händen macht. Wie sie Pausen gestaltet. Wie sie schweigt. Als 1956 Jussi Björling an der New Yorker Met in Verdis "Trovatore" die große Arie des Manrico singt, fasziniert Opernchef Rudolf Bing nicht Björlings Gesang, "sondern das stille Zuhören der Callas. ‚Er wusste nicht, was er sang, aber sie wusste es.‘", erinnert sich Bing später.
Dieses Buch wird lieben, wer …
… gern liest, wie die Opernwelt mal getickt hat. Und wie sie vielleicht immer noch tickt.
Dieses Buch ist ein Lesegenuss, weil es …
… geistreich unterhält, nie langweilt – und uns unser eigenes Urteil fällen lässt.
Dieses Buch liest man am besten …
… mit Aufnahmen der Callas im Hintergrund, denn diese Sängerin ist das größte Gesamtkunstwerk der Operngeschichte.
Und natürlich weiß sie auch immer, was sie selber singt. Doch weil ihr Ehrgeiz sie schier auffrisst, sie immer alles will (und das am liebsten sofort), überfordert sie sich – und ihr Publikum, das diese Überforderungen als Eskapaden und Launen wahrnimmt. Die Autorin zeichnet eine im Grunde einsame Frau, eine Getriebene auf der Suche nach Perfektion, im Kampf mit sich selbst und mit allen anderen. "Wenn der Vorhang aufgeht, spüre ich die stickige Luft, den Schweiß, den Atem von all den Leuten", sagte Maria Callas. "Ich kann sie nicht sehen, aber ich weiß, dass sie da sind, 2500 Monster, die nach mir gieren. Es ist, als würden ihre Köpfe und Herzen dampfen. Ich spüre es wie eine Woge des Hasses, so als wünschten sie, ich wäre tot."
Eva Gesine Baur hat eine Reihe von Biografien über Komponisten und Künstlerinnen wie etwa Marlene Dietrich geschrieben. Am 2. Dezember 2023 ist Eva Gesine Baur zu Gast in der Sendung "Meine Musik" und spricht über ihre Callas-Biografie.
Maria Callas mit ihrem Ehemann Giovanni Battista Meneghini | Bildquelle: © picture alliance / Heritage Images Eva Gesine Baur schreibt stilistisch makellos, witzig – und sehr lakonisch. Das Kurzportrait von Marias Mann Giovanni Battista Meneghini liest sich so: "Jung war er nicht mehr, schön war er nie gewesen, charismatisch auch nicht." Natürlich kommen sie alle vor: Onassis, die Regisseure Visconti und Pasolini, Klatschkolumnistin Elsa Maxwell. Aber alle organisch eingebunden – in Geschichten, die geistreich unterhalten, berühren, Betroffenheit auslösen. Das Buch räumt auch auf mit Mythen: vom heimlich zur Welt gebrachten Kind oder von der lustvoll gelebten Feindschaft mit der Rivalin Renata Tebaldi. Was bleibt, sind 500 Seiten rasant und gekonnt erzähltes Lebensdrama.
Eva Gesine Baur:
Maria Callas. Die Stimme der Leidenschaft
Verlag C.H.Beck
Preis: Hardcover 29,90 €
Sendung: "Piazza" am 18. Februar 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK