Am 27. Oktober feiert die "Rheingold"-Neuproduktion von Tobias Kratzer Premiere an der Bayerischen Staatsoper. Markus Brück verköpert darin Alberich. Der Bariton erzählt, wie tief er sich in die Figur hineinversetzt und warum selbst ein Bösewicht Mitgefühl wecken kann.
Bildquelle: Katrin Penschke/Bayerische Staatsoper
BR-KLASSIK: Wie würden Sie Alberich in ein paar Worten charakterisieren? Was ist das für ein Typ?
Markus Brück: In unserer Inszenierung ist er ein Mensch, der am Ende seiner Weisheit angelangt ist. Er hat er keine Lebenshoffnung und keine Ideologie mehr. Er besitzt keine Vorbilder, was ihn auf gewisse Weise Wotan, dem obersten Gott, näherbringt. Beide Figuren – Alberich und Wotan – sind Gegenspieler, die jedoch in der gleichen Lage sind. Der eine ist sterblich, der andere nicht. Alberich ist, könnte man sagen, ein Versager, der immer wieder auf sein Versagen hingewiesen wird. Er wird von den Rheintöchtern getriezt und bis aufs Blut gereizt, bis ihm keine andere Chance mehr bleibt. Er erwartet nichts mehr vom Leben und sagt sich: "Dann verzichte ich eben auf Liebe und Lust", ohne zu wissen, was das bedeutet. Er bekommt nicht nur keine Liebe und Lust, sondern das Tragische ist, dass er beides auch gar nicht mehr empfinden kann. Das reißt ein tiefes Loch in ihm auf, das ihn kolossal verändert.
BR-KLASSIK: Das Publikum könnte also durchaus Mitleid mit Alberich empfinden?
Markus Brück: Selbst der übelste Charakter muss für das Publikum nachvollziehbar bleiben, und man darf ein gewisses Verständnis dafür haben, wie er zu dem geworden ist, der er ist. Bei Alberich ist Mitleid durchaus angebracht, denn ihm wird übel mitgespielt. Natürlich zieht er sich die größte Wunde selbstverschuldet zu, durch diesen Schwur. Doch wie er später von Wotan und Loge behandelt wird, ist wirklich unterirdisch.
BR-KLASSIK: In unserer heutigen Zeit, in der wir so sehr auf Aufklärung und Akzeptanz bedacht sind, ist es doch interessant, dass so viele Menschen von einem derart ichbezogenen Komponisten fasziniert sind. Braucht es diese Wahnsinnigen?
Markus Brück: Es braucht diese Genies auf jeden Fall, egal in welchem Bereich. Wir sehen das ja auch in der Politik, Kunst oder Gesellschaft: Konsequenz ist wichtig, und das war bei Wagner der Fall. Er hat nicht nur Opern geschrieben, er hat auch ein Opernhaus dafür gebaut, wo das alles möglich ist. Ein Haus, in dem die Musik so platziert ist, dass sie akustisch optimal zu hören ist und die Sänger nie vom Orchester übertönt werden.
Diese Konsequenz ist absolut auf die Spitze getrieben. Das fehlt, und das braucht es. Natürlich muss nicht jeder so sein, um ihm folgen oder sich für ihn begeistern zu können. Aber das sind auch Vorbilder, an denen sich andere dranhängen können. Leider fehlen uns heutzutage oft solche positiven Vorbilder. Die konsequenten Charaktere, die gehen meiner Meinung nach in die verkehrte Richtung und das ist abartig, was man da hört. Wenn manche Politiker in Thühringen immer noch mit Aussagen agieren können, die gesetzlich verboten sind oder als Geschichtslehrer tätig sein dürfen, das erklärt sich mir nicht mehr. Und da sieht man, welchen Sog das entwickeln kann.
BR-KLASSIK: Es ist interessant, dass man beim Thema Wagner so schnell auf Politik kommt. Bei Mozart oder Händel passiert das nicht, oder?
Markus Brück: Bei Mozart und Händel nicht, richtig. Mozart ist für mich ein reiner Psychologe, wie er das musikalisch umsetzt. Man hört in die Menschen rein, die gerade singen und er unterstützt das mit seiner Musik. "Don Giovanni" ist für mich eine der genialisten Kompositionen. Man merkt genau, wann Donna Anna lügt und wann Don Ottavio ihr nicht mehr glaubt. Bei Wagner ist das anders. Wagner wird oft politisch missbraucht und ist uns zeitlich näher, was es schwieriger macht, sich zu distanzieren.
Lernen Sie die Oper "Rheingold" in unserem Comic-Video kennen.
BR-KLASSIK: Sie haben die Rolle des Alberich schon mehrfach gespielt. Was fasziniert Sie an der Partie besonders?
Markus Brück: Alberich ist schillernd, weil er mit sich selber nicht klar kommt. Er stellt sich immer wieder in Frage und verzweifelt. Für zehn bis 15 Minuten hat er in Nibelheim wirklich die Oberhand. Doch der Fall danach ist so extrem. Er glaubt, er hätte alles erreicht und ist da, wo er immer hin wollte. Diese Überlegenheit kann uns allen passieren. Man fühlt sich sicher, übersieht aber in der eigenen Arroganz und Blindheit etwas und stolpert. Ihm wird das letzte Hemd genommen und Alberich wird entblößt. Musikalisch fasziniert mich der Disput mit Wotan am Schluss des ersten Akts - noch vor dem Fluch. Alberich hält ihm den Spiegel vor, aber Wotan lacht nur. Alberich hat den Schwur auf sich genommen, aber Wotan nimmt ihm das Gold trotzdem ab. Diese Auseinandersetzung und der Konter von Wotan direkt danach ist faszinierend.
BR-KLASSIK: Wie begleitet Sie Alberich im Alltag?
Markus Brück: Ein Teil von mir selbst ist immer in der Partie. Es ist wichtig, etwas Persönliches hineinzulegen, um es für das Publikum nachvollziehbar zu machen. Sonst wäre es nur eine Schablone auf der Bühne. Alberich ist auch faszinierend, weil sich jeder in ihm wiederentdecken kann. Gescheitert sind wir alle schon mal und mussten damit umgehen. Jeder macht das auf seine Weise und Alberich geht mit seinem Scheitern auf extremste Weise um. Es ist natürlich alles überzogen, aber das macht es auch nachvollziehbar.
BR-KLASSIK: Gibt es einen Text von Alberich, der besonders schwierig ist?
Markus Brück: "Garstig glatter glitschiger Glimmer. Wie gleit' ich aus!" Das ist sehr, sehr schwer. "Mit Händen und Füßen nicht fasse noch halt' ich das schlecke Geschlüpfer." Das ist gleich in der Rheinmädchen-Szene. Später gibt es dann noch "Mit schmeichelnder Brunst an die schwellende Brust mich dir schmiege". Da habe ich Jahre gebraucht, bis ich das irgendwann richtig gesungen habe. Das ist furchbar, aber es ist halt Wagner.
Sendung: Live-Übertragung aus dem Münchner Nationaltheater, am 27. Oktober 2024, ab 19:30 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Montag, 28.Oktober, 09:36 Uhr
Reinhold Föckersperger
Das Rheingold hat keine
Herr Brück spricht vom "Schluss des ersten Akts" im Rheingold. Doch nach meiner Kenntnis kennt dieses Vorspiel des "Rings" nur Szenen, keine Akte. Die Darstellung des Alberich durch Herrn Brück in der gestrigen Premiere fand ich aber sehr beeindruckend und mutig.
Samstag, 26.Oktober, 09:24 Uhr
Beate Schwärzler
"...sie zwingt zur Lust sich der Zwerg".
Mich hat das Interview mit Markus Brück nicht überzeugt und es hat mir nichts erhellt.
Umso mehr aber der Kommentar von "T.R. - Undifferenziert."
Da stimmt jedes Wort, jedes Komma, - und das in einem übersichtlichen,
fein gegliederten Rahmen mit Text in Gänsefüßchen genau am richtigen Ort.
Eine Wohltat !
Mittwoch, 23.Oktober, 22:09 Uhr
T.R.
Undifferenziert
"Dann verzichte ich eben auf Liebe und Lust"
Brücks Aussage zu seiner Rolle zeugt nicht gerade von einem genauen Rollenstudium. Dass Alberich auf die Liebe verzichtet, stimmt ja, aber es ist völlig falsch, dass er auch auf die Lust verzichtet. Im Gegenteil, als er später sein Welteroberungspropramm hinausschleudert, wird deutlich, dass eine wesentliche Triebfeder seiner Ambitionen es ist, durch Macht und Reichtum sich Frauen zur Lust zu unterjochen:
"Denn dient ihr Männer erst meiner Macht,
eure schmucken Frau'n, die mein Frei'n verschmäht,
sie zwingt zur Lust sich der Zwerg,
lacht Liebe ihm nicht!"