Fünf Jahre war sie Generalmusikdirektorin in Nürnberg. Nun geht die Karriere der 34-Jährigen Dirigentin weiter zum Konzerthausorchester Berlin. BR-KLASSIK blickt zurück auf ihre Zeit an der Staatsoper.
Bildquelle: Lutz Edelhoff
Da zieht sie nun dahin. Ganz unaufgeregt. Ohne Schlachtruf "Berlin! Berlin! Wir ziehen nach Berlin!“ Aber genau das tut sie. Joana Mallwitz, in Kürze Nürnbergs Ex-Generalmusikdirektorin, kam, um Nürnberg, um die Franken, um ganz Bayern zu verzaubern. Um von hier aus ihrer beeindruckenden Karriere die ganz große Schubkraft zu verleihen. Was für ein Stempel, den sie, diese charismatische gewinnende, strahlende Persönlichkeit mit ihrer dirigentischen Umarmung der Musik, der Staatsphilharmonie Nürnberg aufgedrückt hat.
Fünf Jahre nur lieh sie ihren Glanz, der sie bereits bei Antritt ihres Amtes umwehte, diesem Orchester, diesem Haus, dem Staatstheater Nürnberg. Da kam 2018 eine junge Persönlichkeit, die nur fünf Jahre zuvor, mit smarten 27 Jahren, zur jüngsten Generalmusikdirektorin Europas nach Erfurt berufen worden war. Fünf Jahre blieb sie den Franken treu, nun zieht sie erneut weiter. Die Enttäuschung nicht nur in Nürnberg war groß, als sie ihren frühen Weggang bekannt gab. Doch er war vorhersehbar.
Damals, 2018, kurz vor ihrer ersten Opernpremiere als GMD in Nürnberg mit Prokofjews "Krieg und Frieden“, habe ich mein erstes Interview mit Joana Mallwitz geführt. Als ich mich zur Vorbereitung in ihre Biographie versenkte, wurde mir ehrlich gesagt ganz schwindelig und mir kam das Bild des frühen, des sehr frühen Vogels in den Sinn. So früh, dass sie eigentlich immer schon da ist, wenn sie eigentlich erst ankommt. Symptomatisch für diese Frau, die in der Musik Unbedingtheit, Entschlossenheit lebt, mit der sie sowohl Kraft und Extase als auch Wärme und Zärtlichkeit in Musik verwandeln kann. Und die einen klaren Plan hat.
Bildquelle: Bettina Stöss Joana Mallwitz liebt und lebt "ihre“ Partituren. Insbesondere die der deutschen Romantik, aber natürlich auch Mozart, Beethoven. Mozarts "Le nozze di Figaro" wurde zu ihrer umjubelten Abschiedsvorstellung. Sie kennt sie in- und auswendig, weiß jede Nuance, über die sie jedes Mal neu und weiter nachdenkt, um der Idee, der letzten Wahrheit, dem letzten Geheimnis der Noten immer näher zu kommen. Davon ist sie begeistert, ja auch berauscht. Da ist sie akribisch. Doch sobald sie am Pult steht, lässt sie los. Dann ist alles wie von selbst da. Dann ist bei ihr alles auf die Entkleidung der Noten in fesselnde Musik fokussiert.
Ich bin generell aufgeregter vor Proben als vor Vorstellungen. Der Moment aber, wo ich auf’s Pult trete, ist ein Moment der Befreiung und der Erleichterung.
Von den Partituren redet sie wie von ganz engen Freunden, deren noch so kleine Charaktereigenschaften ihrer Entdeckerfreude nicht verborgen bleiben. Partituren sind für sie keine Notenungetüme, sondern Partner, Freundinnen, lebendige Wesen, mit denen sie durch Dick und Dünn wandert. Mit denen sie auch gerne zu abenteuerlichen Expeditionen aufbricht. Zunächst allein, um das Terrain zu erkunden, um dann das Publikum als Seilschaft mitzunehmen. Legendär ihre außergewöhnliche Präsenz als Meisterin der didaktischen Verführung, mit der sie ihr Publikum im Vorfeld der Philharmonischen Konzerte durch Gipfelwerke der symphonischen Klassik führte. Selbst am Klavier, erläuternd, einladend, überwältigend, inspirierend, dirigierend – und die Musiker und Musikerinnen der Staatsphilharmonie Nürnberg folgten ihr mit Begeisterung.
Dieses Format der Expeditionskonzerte wurde ihre Rettung, als die Pandemie Anfang 2020 die Musik wie so vieles andere unseres Lebens in die Knie zwang und die Theater, Opernhäuser und Konzertsäle schweigen mussten, leer blieben. In Kooperation mit BR-KLASSIK Franken entwickelte sie gemeinsam mit unserem Team die Expeditionskonzerte zum digitalen Format. Unter schwierigsten Bedingungen und unter Einhaltung aller geltenden Hygienevorschriften gelang es in dieser Zeit, zunächst Beethovens 7. und anschließend Beethovens 6. Symphonie, die Pastorale, ins digitale Zeitalter zu transformieren. Und da konnte sie es ganz direkt, hautnah zeigen, mit welch gewinnender Strahlkraft und immenser, ganz leichtfüßig daherkommender tiefer Kenntnis der Musik, sie Menschen zu den Gipfelwerken der Klassik verführen kann. Diese beiden Videoformate wurden mit annähernd einer Million Abrufe zum absoluten Erfolgsformat.
Es ist das Allerwichtigste, dass man zugeht auf die Menschen und dass man sie zu sich holt.
Erfolge feierte sie in der durch die Pandemie stark verkürzten Zeit in Nürnberg aber vor allem auch mit den von ihr präferierten Opern. Was sie auch hier anfasste, veredelte sie zu Gold. Schon 2019 kürte sie das Fachmagazin "Opernwelt“ zur "Dirigentin des Jahres“: Prokofjews "Krieg und Frieden“ oder Wagners "Lohengrin“, Debussys "Pelléas et Mélisande“, Strauss‘ "Der Rosenkavalier“ und "Die Frau ohne Schatten“ und zuletzt noch die dahinstürmende, temporeiche "Nozze di Figaro“ von Mozart – alles durchweg musikalische Höhenflüge, die den Atem stocken ließen und die das Nürnberger Staatstheater in den Fokus der internationalen Opernwelt rückten. Monteverdis "L‘Orfeo“, der nach vollendeter Einstudierung ebenfalls der Pandemie zum Opfer fiel, führte sie stattdessen im Digitalformat abermals in Kooperation mit BR-KLASSIK Franken zum virtuellen Höhenflug.
Nürnberg feierte den Mallwitz-Effekt und musste doch klaglos hinnehmen, als die Generalmusikdirektorin bezeichnenderweise kurz nach dem Moratorium des von ihr glühend vorangetriebenen und so dringend benötigten neuen Konzerthauses die Reißleine zog und ihren Weggang aus der Stadt verkündete. Ein Schelm, der Böses dabei denkt…
Ich habe ja jetzt das große Privileg, dass ich nicht mehr alles nehmen muss, was kommt.
Ja, sie ist rigoros. Mit sich, mit der Musik, auch mit Interviewanfragen und mit ihrer Karriere. Die sie will, die sie planvoll verfolgt, und die ihr nun weltweit offensteht. Salzburg hat sie wie so viele internationale renommierte Opern- und Konzerthäuser längst entdeckt. Da passt am Ende die umfangreiche Verpflichtung als Generalmusikdirektorin nicht ins künstlerische Kalkül. Die neue Aufgabe als Chefidrigentin und Künstlerische Leiterin des Konzerthausorchesters Berlin lässt für Gasteinladungen da weitaus mehr Spielraum. Denn die Welt will sie! Und die vorhersehbaren Hürden, die durch die Generalsanierung des Nürnberger Opernhauses und eine längst noch nicht in Stein gemeißelte Interimsspielstätte ins staatsphilharmonische Leben der kommenden Jahre bis mindestens 2031 ins Haus stehen, die bleiben Joana Mallwitz mit dem Weggang glücklicherweise erspart.
Es waren musikalisch berauschende fünf Jahre mir einer klugen und begeisternden Dirigentin in Nürnberg. Nach dem Klassik Open Air am 30. Juli 2023, in dem sie sich von ihrem Publikum im Luitpoldhain und weltweit übertragen im Hörfunk und im Videolivestream sowie ab 22 Uhr zeitversetzt im BR Fernsehen verabschiedet, ist die Nürnberger Ära Mallwitz endgültig vorbei. Nach dem Rausch folgt bekanntlich der Kater… Das wird für Nürnberg sehr schmerzhaft.
Sendung: "Piazza" am 29.04.2023, 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Freitag, 28.April, 11:08 Uhr
Apfelböck
Mallwitz
Sie hätten ruhig etwas deutlicher werden sollen. Auch das Gezerre um Opernhaus und Interimspielstätte hat Mallwitz den Abschied aus Nürnberg erleichtert. Und die Provinzpolitiker von beiden OBs angefangen bis zum Abgeordneten Doktor Markus Söder, der beim Jubiläumskonzert der Philharmoniker nicht einmal den Namen Mallwitz über die Lippen brachte, haben kräftig dazu beigetragen, dass ihr die Stellung beim Hauptstadt-Orchester dritter Klasse attraktiver erschien als GMD in der fränggischn Brofinz zu bleiben. Kaspar Apfelböck, ein Münchner in Schwabach.
Donnerstag, 27.April, 18:30 Uhr
Roland
Ich erlaube mir eine kleine Richtigstellung: Frau Mallwitz übernimmt in Berlin das Konzerthausorchester und nicht das Deutsche Symphonieorchester.