Simon Rattle tritt erstmals als Chef mit dem BRSO in London auf. Bei den Proms, der traditionellen Sommerkonzertreihe, ist er ein alter Bekannter. Wie die britischen Zuschauer auf ihren Landsmann blicken und was sie vom Auftritt des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks halten.
Bildquelle: BR/Markus Konvalin
Es ist ein nasser Sommerabend, doch das hält die Londoner nicht davon ab, vor der stolzen Royal Albert Hall Schlange zu stehen. Der Grund: Simon Rattle und das Symphonieorchester des BR. Robin und June Carmichael warten in Regenjacken und Turnschuhen. Das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks sei bekannt dafür, fantastisch zu sein. Vor allem aber sind die beiden wegen Chefdirigent Sir Simon Rattle gekommen, er sei ein großartiger Dirigent und einer von ihnen, auch wenn der Brite in Deutschland lebt und arbeitet. Tom, ein Anfang 30-jähriger Politikanalyst, ist von der Arbeit gekommen und steckt noch im Anzug. Das Orchester aus München und Simon Rattle in London, das sei eine seltene Gelegenheit, erklärt er.
Die BBC Proms in London. | Bildquelle: picture alliance / empics Drinnen, in der pompösen rot-goldenen Konzerthalle, sind die mehr als 5200 Sitze ausverkauft. Hunderte Zuschauer haben noch günstige Tickets ergattert und stehen dicht gedrängt vor der Bühne, die dann endlich Sir Simon betritt. Zunächst spielt das BRSO die Großbritannienpremiere von "Aquifer", ein Werk des britischen Komponisten Thomas Adès. In der Pause danach besprechen die Zuschauer das moderne Stück zu Eis und Bier im Plastikbecher, wie üblich bei den Proms. Bombastisch sei der Start gewesen, mit so viel Percussion, sagt ein Zuschauer. Ihr habe die Tiefe gefallen, sagt seine Sitznachbarin. Und Anwalt John Roberts, der fließend Deutsch spricht, vergleicht die Münchner schon mit den Berliner Philharmonikern. Letztere seien seichter, "die Bayern sind mehr wie die Londoner, sehr gut, aber vielleicht nicht ganz so poliert".
Dann spielen die Musiker die vierte Sinfonie des österreichischen Komponisten Anton Bruckner. 55 Minuten hören Tausende Zuschauer völlig gebannt zu, während Dirigent Simon Rattle mit den wilden weißen Locken selbst bei den intensivsten Passagen zu lächeln scheint. Draußen an der frischen Luft kommen die Zuschauer kaum aus dem Schwärmen heraus: Ein Musikerpaar aus London findet die Geigen fantastisch. Es sei ihr liebstes Orchester der Welt. Am besten hätten ihr die Streicher gefallen, ein reicher, runder Klang wie Kammermusik. Die Vergleiche reichen bis zu teuren Autos. "Wie ein Aston Martin", sagt Politikanalyst Tom, der nun versuchen will, noch Karten für das nächste Promenadenkonzert von Rattle und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu kriegen. Auf dem Programm: Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 6.
Sendung: "Allegro" am 6. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (5)
Montag, 09.September, 19:31 Uhr
Trappe
@ Hubel
Bravo Herr Dr. Hubel, das nenne ich einmal eine qualifizierte wie differenzierte Kritik. Nachvollziehbar, präzise und substanziell. Da können sich selbst die großen Kritiker der SZ oder FAZ etwas abschneiden.
Meiner Meinung nach, wohl wissend, hier eine Mindermeinung zu haben, halte ich Herrn Rattle auch für überbewertet, mir ist vieles zu pauschal und manches gar zu effekthascherisch. Wenn man Thielemann, Gatti oder auch frühere große Aufnahmen hört, fesselt mich Rattles Bruckner nicht.
Sonntag, 08.September, 21:53 Uhr
Dr. Helmut Hubel
Rattles Bruckner 4 bei den Proms
Um meine Kritik zu erläutern:
- Der erste Satz soll "bewegt, nicht zu schnell" gepielt werden (Anweisung Bruckner).
- Charakteristisch in diesem zwei Halbe alla breve -Satz ist das 2:3 (Halbe oder zwei Viertel : Halbe Triole). Wenn das nicht klar gepielt ist, fehlt die rhythmische Prägnanz und die tragende Struktur.
- Der 3. Satz (Scherzo/Trio" soll "bewegt" (Bruckner) und nicht "sportlich schnell" gespielt werden!
- Der 4. Satz hat viele Umarbeitungen erfahren. Aber die zweite Aufführung unter Mottl in Karlsruhe (10.12.1881), deren Vorlage Rattle gefolgt ist, ist keinesfalls die beste Fassung. Im letzten Teil wird einfach ein Abschnitt weggelassen. Warum hat Rattle nicht auf die sorgfältige Edition von Leopold Nowak mit den Fassungen von 1878/80 zurückgegriffen?
Samstag, 07.September, 17:47 Uhr
Dr. Reinhard
Vergleiche
Vergleiche von Orchestern mit berühmten Automarken, Fussballvereinen (Stichwort Champions League) finde ich unglaublich ermüdend. Es ist ja in Ordnung, wenn der BR Eigenlob bringen möchte, aber dieses Zitat von Unbekannt so eindimensional als Schlagzeile herauszuposaunen finde ich nicht angemessen (neudeutsch "uncool").
Samstag, 07.September, 13:55 Uhr
Trappe
Aston Martin
Ein hochkarätiger Sportwagen muss aber auch erst einmal gefahren werden können, um die PS auf die Straße zu bringen. Das sehe ich bei Rattle nicht.
Freitag, 06.September, 20:24 Uhr
Dr. Helmut Hubel
Rattle und Bruckner in London
Meine Frau und ich haben in BBC3 das Konzert am 5.9. in der Albert Hall gehört. Wenige Tage zuvor konnten wir auch Die Berliner Philharmoniker unter Petrenke mit Bruckner 5 im Radio hören.Während Petrenkos Bruckner (ausgezeichnet gespielt) wie ein "Bruckner 5 unter Mikroskop" klang, mit guten Tempi und genauester Dynamik usw., fand ich Rattles 4. Bruckner enttäuschend. Das Orchester hat zwar sehr gut gespielt, aber ich fand es einen "Bruckner verdünnt mit Wassser". Die Tempi waren z.T. merkwürdig, insb. der erste Satz zu schnell. Rattle wollte offensichtlich zu viel Romantik vermeiden. Wer Klemperer oder Celibidache in Erinnerung hat, mußte bei so viel Blässe und Orientierungslosigkeit enttäuscht sein.