Die BBC Proms sind ein Mekka für Musikliebhaber. Spitzenorchester aus der ganzen Welt spielen hier jeden Sommer für das Publikum – informell, preisgünstig, ohne Dresscode. Was dieses Festival noch auszeichnet und was es so einzigartig macht, dem ist BR-KLASSIK-Reporterin Annekatrin Hentschel nachgegangen.
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Porträt
Die BBC Proms in London
Die Royal Albert Hall erinnert mit ihrer großen freien Fläche in der Mitte, direkt vor der Bühne, ein wenig an einen Zirkus. Rundherum sind bestuhlte Bereiche, die Sitze aus weinrotem Samt, darüber Logen wie in einer Oper. Ganz oben befinden sich Stehplätze in der Galerie, wo auch gerne mal ein kleines Picknick ausgebreitet wird. Unter der Decke schweben die sogenannten Mushrooms – runde Scheiben aus schalldämpfendem Material, die aussehen wie Pilze. Beim Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin unter Vladimir Jurowski ist das Haus gut gefüllt. In der Arena steht das Publikum locker nebeneinander, schaut gespannt in Richtung Bühne, einige haben ein Lächeln im Gesicht, wippen kaum sichtbar hin und her.
Überwältigt und entspannt zugleich erlebt eine Gruppe junger Leute ihre erstes Proms-Konzert: "Es ist so eine entspannte Atmosphäre – nicht so steif wie in anderen Sälen – wie bei uns zu Hause in Dublin zum Beispiel. Es ist einfach schön in so einer lockeren und lässigen Atmosphäre ein Konzert zu erleben. Es ist unglaublich, man hört immer von der Royal Albert Hall und den BBC Proms, jetzt hier zu sein, das ist irgendwie surreal." Mit leuchtenden Augen erzählen sie, dass sie extra aus Irland angereist sind, um einmal bei den Proms dabei zu sein. Im Flugzeug haben sie am Morgen eines der günstigen 8 Pfund Tickets für die Arena ergattert. Mehr ist im Budget nicht drin. Aber sie genießen es, so dicht am Orchester zu stehen, wie in einem Rockkonzert – nur, dass alle ziemlich stillstehen und sehr konzentriert sind.
Das konzentrierte Stillstehen, das sei ein Markenzeichen der Prommer, erklärt mir eine andere Frau im Publikum, die ich am späten Nachmittag schon vor der Halle treffe. "Wir erleben zusammen, wie ein einzigartiger Klang entsteht – direkt vor uns. Alle, die wie ich einen Stehplatz in der Arena haben, sind besonders konzentriert, weil wir so nah dran sind – auf Tuchfühlung mit den Musikerinnen und Musikern. Da hören und erleben wir diese Besonderheiten, die uns eine Aufnahme nicht gibt." Das gebe es eben woanders nicht, dass einen der Solist beim Spielen direkt anschaue oder ein kleines Lächeln zuwerfe, sagt sie.
Konzerte der diesjährigen BBC Proms erleben Sie am 6. September und am 8. September – jeweils ab 18:05 Uhr in der Festspielzeit auf BR-KLASSIK im Radio.
Die Orchester, die bei den Proms auftreten, schätzen die Konzentration des Publikums sehr. Den Dirigentinnen und Dirigenten geht es ebenfalls so. Es ist das Erste, was Vladimir Jurowski in den Sinn kommt, als er das Publikum in der Royal Albert Hall beschreibt. Für ihn ist es ein sehr spezielles Gefühl: "Die Stille, die diese 6.000 Menschen erzeugen, das ist das Erstaunlichste. Nicht der laute Applaus, sondern die Stille", sagt er vor dem Konzert mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. "Hier ist alles relativ nah – hier ist es nur das Meer an Köpfen, das man sieht. Man muss sich bisschen dran gewöhnen, deshalb habe ich dem Orchester vom ersten Probentag an gesagt, hier darf man nicht defensiv spielen." Reinpowern, statt ängstlich zu sein, ist Vladimir Jurowskis Devise bei den BBC Proms, die in diesem Jahr zum ersten Mal von Frauen beim Auftakt und bei der "Last night of the Proms" dirigiert werden.
Einen Dresscode gibt es nicht bei den Proms und so ist neben einer breiten Altersspanne auch klamottentechnisch alles zu sehen – bis zu Sandalen und Shorts. Das heißt aber nicht, dass auch das Orchester etwas legerer auftreten darf. Frack und Kleid, das gehört für die Prommer unbedingt dazu. Genauso wie ein paar kuriose Rituale, die sich über die vergangenen Jahre etabliert haben.
Concert Manager David Weber erklärt mir, was im Konzert so alles passieren kann: "Wenn das Soloklavier von der Seitenposition in die zentrale Position umgerollt wird und die Bühnenarbeiter den Deckel nach oben klappen, dann ruft das Publikum "hief ho". Ein kleiner Überraschungsmoment ist auch das Stimmen: Der Konzertmeister spielt das A auf dem Flügel an und plötzlich wird laut applaudiert und gepfiffen.
Wir erleben zusammen, wie ein einzigartiger Klang entsteht.
Trotz der konzentrierten Stille, zeigt das Proms-Publikum am Abend wie laut es sein kann, wenn das Konzert gelungen ist. Und auch beim Orchester ist man begeistert: "Einfach nur geil“, sagt Patrik Hofer, Trompeter im Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. "Es hat total Laune gemacht. Das Orchester war super motiviert, der Chefdirigent hat von Anfang an gelächelt. Die Stimmung hat sich vom Publikum auf den Dirigenten und auf das Orchester übertragen. Ich habe die Energie auf der Bühne gespürt."
Sendung: "Leporello" am 1. September ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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