Offene Stellen, kranke Lehrer, Integrationsprozesse, Ganztagsunterricht. Die Lage an Grundschulen sei dramatisch, sagt Bildungsforscher Olaf Köller. Der Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz hält es deswegen für vertretbar, wenn dort statt Deutsch lieber eine Stunde Kunst ausfällt. Heißt es hier in Zukunft auch lieber Mathe statt Musik?
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Die Hilferufe kommen seit Monaten von Eltern und Schulleitern: Es fehlen Lehrkräfte. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes Simone Fleischmann spricht bereits von einer Bildungskatastrophe. Nach Corona veruchen die Lehrkräfte mit allen Mitteln, irgendwie die ganzen Lücken im Lehrplan zu schließen. Doch das ist in den Klassen an den Tafeln eigentlich nicht zu schaffen: hoher Krankenstand, viele Renteneintritte, zu wenig Lehrerinnen und Lehrer, aufwendige Integrationsprozesse und der gesetzliche Anspruch auf Ganztagsunterricht bis 2026 setzen den Lehrkräften zu.
Kultusminister Piazolo ist aber optimistisch, in zwei Jahren den Fachkräftemangel überwunden zu haben. Spätestens 2025 rechnet das Kultusministerium damit, "dass wir mehr ausgebildete Grundschullehreinnen und -lehrer haben, als Bedarf ist. Gerade im Grundschulbereich haben wir auch durch die Abschaffung des NCs sehr viele Studierende, sodass wir da positiv in die Zukunft schauen." Und das, obwohl Ende Januar ein Bericht der ständigen Wissenschaftlichen Kommission von einem deutschlandweiten Lehrermangel in den nächsten 20 Jahren ausgeht.
Im Grundschulbereich rechnen wir in zwei Jahren damit, dass wir mehr ausgebildete Grundschullehrerinnen und -lehrer haben, als Bedarf ist.
Bis es wirklich soweit ist, bleibt immer wieder auf der Strecke, was vermeintlich nicht zu den Kernfächern gehört. Zum Beispiel Musik. Dabei müsste gerade dieses Fach "in den Schulen stärker in den Vordergrund treten", sagte Stargeigerin Anne-Sophie Mutter erst kürzlich beim BR-KLASSIK-Kinoevent zum neuen Dokumentarfilm über ihr Leben. Den Kindern Umgang mit Musik zu ermöglichen, dürfe auch nicht mit Extrakosten für die Eltern verbunden sein. Es sei ungerecht, unsozial und unmoralisch, Menschen auf ihre monetären Fähigkeiten zu begrenzen, so Mutter weiter.
Es ist ungerecht, unsozial und unmoralisch, Menschen auf ihre monetären Fähigkeiten zu begrenzen.
"Schon heute bekommt nicht mehr jedes Kind in Bayern den Musikunterricht, der im Lehrplan steht. Ein vertiefendes Wahlfach Musik gibt es quasi gar nicht mehr", sagt Gabriele Puffer. Sie ist Vorsitzende im Verband Bayerischer Schulmusiker und Professorin für Musikpädagogik am Leopold-Mozart-Zentrum in Augsburg. "Viele Grundschulen haben Chöre und Orff-Gruppen, die mehr oder weniger flächendeckend ausfallen, weil einfach jede Lehrkraft dafür gebraucht wird, um den Pflichtunterricht abzudecken", so Gabriele Puffer.
Dabei ist die Grundschule die einzige Schulart, die jedes Kind in Deutschland besucht und besuchen muss. Wenn man hier nicht gemeinsam musiziert und ein Instrument ausprobiert, dann werden viele Kinder von kultureller Teilhabe ausgeschlossen und abgehängt. Kultusminister Michael Piazolo stellt fest: "Gerade bei einem Fach wie Musik haben wir sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Da gibt es leider Kinder, die in die Grundschule kommen und noch wenig Berührung [mit Musik] haben. Und dann gibt es andere, die von ihren Eltern gefördert werden und schon im Alter von sieben oder acht Jahren ein Instrument beherrschen und auch die Noten sehr gut lesen können. Da muss man in der Schule schon auch schauen, wie man diese Dinge verbindet".
Bildquelle: DPA Studien belegen: Musik hilft den Kindern psychologisch, sozial, emotional, aber auch beim sprachlichen Lernen. Es gibt also viele Gründe, das Fach bewusst in den Unterricht einzubinden. Doch das Personal ist dafür oft nicht gut genug ausgebildet. So dürfen Sport, Mathematik und Deutsch an Bayerns Grundschulen nur nach vertieftem Studium unterrichtet werden, Musik jedoch nach einem "Crashkurs" an der Universität von allen Lehrerinnen und Lehrern. Knapp 25 Prozent belegen das Fach hier inzwischen dennoch vertieft, nur zwei bis drei Prozent allerdings als Hauptfach. Das reicht in der Praxis bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Eine Lehrerin mit Hauptfach Musik kann es rein rechnerisch höchstens an jeder vierten Grundschule geben. Außerdem verfügt anscheinend nicht jede Grundschule über einen angemessen ausgestatteten Musiksaal. Nicht überall gibt es ausreichend viele und qualitativ hochwertige Musikinstrumente.
Grundsätzlich wird zu wenig Kreatives gemacht. Lieber wird sich mit den neuen Tablets beschäftigt.
Kinder sollen Musik in der Grundschule vor allem lustvoll begreifen und erspüren. So sollten Kinder zum Beispiel nach der zweiten Klasse mit Stimme, Instrument und Bewegung experimentiert haben. Aber dafür müssen die Lehrkräfte entsprechend ausgebildet sein. Denn das alles ist nur möglich, wenn man mit einem längerfristigen Plan kontinuierlich Musik unterrichtet.
Die Unterrichtsqualität wird besser, je besser man ausgebildet ist.
Zu diskutieren ist, ob die Kinder in der vierten Klasse nicht auch konkret das Notenlesen lernen sollten. Im Lehrplan Musik sind die Formulierungen dazu schwammig. Hier heißt es nur "Melodien zuordnen" und "Notation begreifen".
Bildquelle: picture alliance/dpa | Uli Deck Zusätzlich zur Aufwertung und Steigerung der Attraktivität des Fachs Musik an der Universität, dem Abbau von Hürden für Quereinsteiger und der stärkeren Werbung für den Beruf in Schulen könnte eine weitere Lösung auch die vertiefende Kooperation mit Musikschulen und Vereinen sein. Sie können den Musikunterricht im Ganztag weiter bereichern, wenn sie auch in der Nähe sind. Denn durch die Musik entdecken die Kinder auch etwas ganz wertvolles, meint Schülerin Lotte Dahlgren: "Ich würde mir etwas mehr Musik wünschen. Es schweißt doch einfach die Klassengemeinschaft zusammen, wenn man da schöne Sachen miteinander macht."
Es schweißt doch einfach die Klassengemeinschaft zusammen, wenn man da schöne Sachen miteinander macht.
Sendung: "Allegro" am 17. April 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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